Türkische Lira Scheine.
analyse

Lira auf Rekordtief Türkische Inflation in Wahrheit noch viel höher?

Stand: 05.02.2024 15:24 Uhr

Die türkische Lira fällt nach dem abrupten Wechsel an der Spitze der Notenbank auf ein Rekordtief. Unterdessen zweifeln Experten die offiziellen Inflationsdaten in der Türkei massiv an.

Von Angela Göpfert, ARD-Finanzredaktion

Der Kampf der Türkei gegen hohe Inflationsraten ist noch lange nicht gewonnen - im Gegenteil: Im Januar stiegen die Verbraucherpreise im Jahresvergleich um 64,9 Prozent - nach 64,8 Prozent im Dezember. Das teilte das nationale Statistikamt heute in Ankara mit. Doch kann man den offiziellen Inflationsdaten überhaupt trauen? Zuletzt haben internationale Beobachter vermehrt Zweifel an der Zuverlässigkeit der Daten geäußert.

Erdogans Personalwechsel machen misstrauisch

Hintergrund sind die zahlreichen Personalwechsel, die Präsident Recep Tayyip Erdogan im Statistikamt Turkstat veranlasst hatte, auch Führungskräfte wurden ausgetauscht.

Hinzu kommt: Früher korrelierten die von Turkstat gemessene Inflationsrate und der Lebenshaltungskostenindex der Handelskammer Istanbul sehr stark - beide Indikatoren bewegten sich in der Vergangenheit stets bis auf leichte Abweichungen quasi auf dem gleichen Niveau.

Forscher sehen Inflationsrate mehr als doppelt so hoch

Im Frühjahr 2022 entkoppelten sie sich dann aber ohne ersichtlichen Grund plötzlich; seither liegt der Istanbuler Indikator notorisch deutlich höher als die offizielle Inflationsrate. Zum Vergleich: Im Januar notierte der Lebenshaltungskostenindex bei 76,2 Prozent und damit mehr als elf Prozentpunkte über der Inflationsrate.

Laut unabhängigen Experten von der Forschergruppe ENAG dürfte aber auch dieser Wert noch viel zu niedrig angesetzt sein. Sie beziffern die Inflation im Januar auf 129,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat.

Warum die Inflation in der Türkei so hoch ist

Die hohe Teuerung in der Türkei zu Jahresbeginn kommt derweil nicht überraschend, Experten hatten vor einer solchen Entwicklung angesichts der unerwartet kräftigen Anhebung des Mindestlohns gewarnt. Der monatliche Mindestlohn stieg zum Januar auf 17.002 Lira (516 Euro) - ein Plus von 49 Prozent im Vergleich zu dem im Juli festgelegten Niveau.

Hinzu kommt die schwache Lira, die seit Monaten schon die Verbraucherpreise steigen lässt. Schließlich verteuert eine schwache heimische Währung den Import von Gütern und Rohstoffen wie Öl aus dem Ausland. Das lässt wiederum die Verbraucherpreise steigen. Ökonomen sprechen daher mit Blick auf die Türkei auch von einer "importierten Inflation".

Türkische Lira fällt auf Rekordtief

Zu Wochenbeginn fällt die türkische Lira auf ein Rekordtief zum Dollar: In der Spitze müssen 30,70 Lira für einen Dollar gezahlt werden - so viel wie noch nie. Mit dem neuerlichen Kursverfall der Lira reagiert der Devisenmarkt auf die jüngsten Entwicklungen an der Spitze der türkischen Notenbank.

Zentralbankchefin Hafize Gaye Erkan war wegen Korruptionsvorwürfen - die sie allerdings bestreitet - zurückgetreten. Die international erfahrene Finanzexpertin galt vielen Ökonomen und Marktbeobachtern als Hoffnungsbringerin im Kampf gegen die hohe Inflation in dem Land, hatte die türkische Zentralbank unter ihrer Ägide doch eine beispiellose Kehrtwende vollzogen: Seit Juni vergangenen Jahres hob Erkan die Leitzinsen von 8,5 auf 45 Prozent an.

Erkans Nachfolger machte bei Fed und Amazon Karriere

Gerät mit Erkans Rücktritt nun der Kampf gegen die Inflation in der Türkei in Gefahr? Immerhin musste Erkan offenbar nicht wie zahlreiche ihrer Vorgänger gehen, weil ihre Geldpolitik Präsident Erdogan plötzlich nicht mehr passte.

Ihr Nachfolger Fatih Karahan machte - wie auch Erkan selbst - in den USA Karriere, stieg beim Online-Riesen Amazon zum Chefökonom auf und war zudem zehn Jahre lang für die Federal Reserve Bank of New York tätig. Karahan gilt wie Erkan als Vertreter einer konventionellen Geldpolitik. Der türkische Finanzminister Mehmet Simsek kündigte an, die Wirtschaftspolitik werde ohne Unterbrechung fortgesetzt.

Hoffen auf Kontinuität in der türkischen Geldpolitik

"Es gebe daher gute Gründe zu erwarten, dass das Team Simsek-Karahan nun weiter liefern werde, was das Team Simsek-Erkan geliefert hat", ist Devisen-Experte Tatha Ghose von der Commerzbank überzeugt. Dabei ist es Ökonomen zufolge keine Raketenwissenschaft, was getan werden muss, um der hohen Inflation wieder Herr zu werden: Hohe Leitzinsen, gegen die sich Präsident Erdogan so lange gewehrt hatte, sind danach unumgänglich.

Doch eine solche strikte Geldpolitik kann nur dann Erfolg haben, wenn sie es auch schafft, den Verfall der Lira zu stoppen und das Vertrauen der Anleger in die türkische Währung zurückzugewinnen. Neuerliche Personalwechsel an der Notenbankspitze - aus welchen Gründen auch immer - sind dazu nicht gerade angetan.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 05. Februar 2024 um 13:35 Uhr in der Wirtschaft.