Russische Wirtschaft Die Schattenseiten der Rubel-Stärke
Trotz Sanktionen ist der Rubel so stark wie seit Jahren nicht. Doch der Währungskurs täuscht über die Probleme der russischen Wirtschaft hinweg - und könnte dem Land noch zum Verhängnis werden.
Aus Russland kommt gerade eine Erfolgsmeldung nach der nächsten. Der Leitzins ist wieder auf Vorkriegsniveau. Die Inflation ist gedrosselt, der Rubel so stark wie seit einem halben Jahrzehnt nicht mehr. Russland könnte, so rechnet es der britische "Economist" vor, einen Handelsbilanzüberschuss von 250 Milliarden Dollar erwirtschaften.
All das könnte den Eindruck erwecken, als wirkten die Sanktionen nicht wie geplant. Tatsächlich aber warnen Wirtschaftsexperten vor voreiligen Schlüssen. Zwar habe die Zentralbank die schwierige Zeit nach Kriegsbeginn höchst professionell gemanagt, analysierte Natalija Subarewitsch, Professorin für Wirtschaftsgeographie an der Staatlichen Universität Moskau, im Youtube-Kanal "Lebendiger Nagel". Doch die größten Herausforderungen stünden Russland noch bevor.
Importe stark zurückgegangen
Die Behörden suchten sich immer diejenigen Indikatoren heraus, die für sie von Vorteil sind, sagt die Wirtschaftsprofessorin: "Ja: Wir hatten jetzt wirklich drei Wochen lang eine Inflation von Null. Das stimmt." Aber zur Wahrheit gehöre eben auch, dass dies auf die sinkende Nachfrage aus der Bevölkerung zurückzuführen sei. "Wirtschaftlich ausgewogen wäre deshalb zu sagen: Ja, wir haben keine Inflation, sogar eine Deflation, weil wir einfach aufgehört haben zu kaufen."
Nur wenige hätten einen derart enormen Anstieg der Energiepreise vorausgesagt, so Subarewitsch. "Das führte zu einen enormen Währungszufluss in das Land, während die Importe schrumpften, stark schrumpften." Dies wiederum sei für den erwarteten Handelsbilanzüberschuss von 250 Milliarden Dollar verantwortlich.
Während Gas und Öl teuer exportiert werden, kann Russland durch die Sanktionen kaum etwas importieren. Es nimmt also mehr ein, als es ausgegeben kann. Der Handelsbilanzüberschuss könnte damit dieses Jahr doppelt so hoch ausfallen wie noch im letzten Jahr.
Es fehlen Teile für die Industrie
Tatsächlich aber wären genau diese Importe dringend notwendig. Gerade im Maschinenbau, im Verkehr oder der Energiewirtschaft fehlen Komponenten und Ersatzteile. Die Produktion stocke, die Wirtschaft stagniere, so Subarewitsch.
Erst in diesen Tagen begründete Gazprom die Drosselung der Gas-Liefermenge nach Deutschland mit fehlenden Teilen. Siemens, so der Vorwurf des russischen Gas-Konzerns, habe eine im Ausland reparierte Verdichterstation nicht wie geplant nach Russland zurückgeschickt. Siemens verwies darauf, dass diese wegen der Sanktionen nicht geliefert werden könne.
Starke Währung verteuert die Ausfuhren
Hinzu kommt, dass viele Russen in Wirklichkeit arbeitslos seien - auch wenn sie auf dem Papier weiterhin einen Teil ihres Lohnes oder Äcker zum Anbauen von Gemüse erhielten. All das tauche in den Statistiken nicht auf, kritisiert Subarewitsch.
So könnte am Ende der starke Rubel dem "Energie-Exportmeister" Russland zum Verhängnis werden. Denn dieser verteuert auch die Exporte. Außerdem sei der Rubel de facto nicht konvertierbar, erklärt die Wirtschaftsprofessorin.
Rubel wird künstlich hoch gehalten
Auch Sergej Suwerow warnte auf dem Online-Nachrichtenportal "Meduza", dass der Kurs des Rubels nicht marktüblich sei. Der Wert des Rubels sei mittlerweile völlig von der Wirtschaftslage losgelöst, so Suwerow. Das Bruttoinlandsprodukt könnte laut der russischen Zentralbank dieses Jahr um zehn Prozent sinken, der Wert des Rubels müsste damit eigentlich korrelieren. Der Rubel wird demnach künstlich stark gemacht.
Wie der Wert des Rubels in Wirklichkeit ist, könne er nicht sagen, sagt der Wirtschaftsexperte Suwerow. Klar ist für ihn nur: Ohne einen derart starken Rubel läge die Inflation wohl eher beim Doppelten. Bei rund 30 bis 40 Prozent.