Berge bei Stephenville in Neufundland
Hintergrund

Geplante Wasserstoff-Lieferungen Hoffnung auf Kanada als Energiepartner

Stand: 22.08.2022 08:50 Uhr

Kanada will seine Energie in den kommenden Jahren vor allem aus Erneuerbaren Energieträgern gewinnen. Grüner Wasserstoff soll dabei eine zentrale Rolle spielen. Auch Deutschland hofft, davon profitieren zu können.

Noch ist er Zukunftsmusik - der Sound der Windturbinen auf Neufundland. Wenn sie sich bald zwischen bewaldeten Hügeln und Küste drehen, dann sollen die weißen Riesen mehr als lediglich Strom erzeugen. Der Windpark, den die kanadische Firma "World Energy GH2" auf der Insel plant, soll für die "grüne", die CO2-freie Erzeugung von Wasserstoff genutzt werden. Eine Anlage dafür soll in der kleinen Hafenstadt Stephenville entstehen.

Dem grünen Wasserstoff hat sich die Regierung von Premierminister Trudeau auch in ihrer Energie-Strategie verpflichtet. Kanada will zum Schwergewicht in diesem Sektor werden. Auch wenn grüner Wasserstoff noch eine verschwindend kleine Rolle spielt: Denn bislang werden noch 95 Prozent des Wasserstoffs aus der Dampfreduzierung von Erdgas gewonnen - der sogenannte "blaue" Wasserstoff. Um das zu ändern, sollen Anlagen wie die in Neufundland geplante entstehen. Und dann auch exportiert werden.

Tina Hassel, ARD Berlin, zzt. Montreal, zur zukünftigen Energiepartnerschaft mit Kanada

tagesschau24 14:00 Uhr

Export von Neufundland in die Welt

Nach dem Willen von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck soll das Gas, das beispielsweise in der Chemieindustrie eingesetzt werden kann, auch eine große Rolle bei der Energiewende in Deutschland spielen. Auf dem Kanada-Reiseplan von ihm und Bundeskanzler Olaf Scholz hat grüner Wasserstoff das Flüssiggas gerade von der Agenda verdrängt.

Denn Wasserstoff soll demnächst in großen Mengen vom Tiefseehafen in Stephenville nach Deutschland transportiert werden. Das sehen zumindest die Pläne des angepeilten Wasserstoff-Abkommens von Deutschland und Kanada vor, erklärt Les Jacobs, Vize-Präsident der Abteilung Forschung und Innovation an der Ontario Tech University: "Die großartige Idee, die Produktion von Windenergie mit Wasserstoff zu verbinden und Energie aus Neufundland zu exportieren, ist sehr attraktiv. Denn Neufundland ist so klein, dass der Energieverbrauch der weniger als rund einer Million Menschen nicht groß ist."

Vorbehalte von Naturschützern

Die Bedingungen seien ideal. Zum einen gibt es in der Region stabile Windströme. Zum andern kann die Wasserversorgung einer ehemaligen Papierfabrik für die Hochleistungsproduktion genutzt werden. Noch dazu verspricht der Konzern der Insel Hunderte Jobs durch das Projekt. In einer ersten Phase will die Firma dafür 164 Onshore-Windkraftanlagen in der Region errichten. Irgendwann sollen es 500 werden. Doch in der Bevölkerung gibt es auch Gegenwind - etwa von Naturschützer Paul Wylezol, Präsident der "International Appalachian Trail Association".

"Prinzipiell haben wir gar nichts gegen Windturbinen und Windkraft", sagt Wylezol. Doch die Organisation habe ein Problem mit dem Standort. "Das hier ist eine spektakuläre Gegend. Und nördlich liegt ein Teil des Unesco-Weltkulturerbes. Die Gegend, um die es geht, liegt mittendrin. Wir wollen sie schützen." Gerade erst haben sich die Naturschützer bei der Unesco um den Status eines "globalen Geoparks" beworben. Es geht dabei um die bewaldeten Lewis-Hügel, wo nach derzeitigen Planungen die ersten Windturbinen stehen sollen.

Teure Investitionen nötig

Neufundland habe 108.000 Quadratkilometer, auf denen solche Windturbinen aufgestellt werden können. Man müsste doch nicht die besten Stücke Land dafür hergeben, damit andere den Profit machten, meint Wylezol - auch an den Bundeskanzler gerichtet: "Wir verstehen die Lage, in der Deutschland sich befindet: Deutschland muss unabhängig von russischem Öl werden. Wir wollen helfen. Aber nicht auf unsere Kosten." Zudem fordern Wylezol und sein Verband einen Fonds, aus dem mögliche Schäden an der Natur wieder beseitigt werden können.

Andere Bedenken äußert Bruno Pollet, Präsident des Internationalen Verbunds für Wasserstoff-Energie und Professor an der Universität von Quebec. Das Abkommen zwischen Kanada und Deutschland sei ein guter Schritt, doch er müsse realistisch betrachtet werden: "Kanada braucht zunächst die Infrastruktur, um große Mengen an grünem Wasserstoff zu erzeugen - nicht nur für den Eigenbedarf, sondern um es auch noch zu exportieren. Und dann auch noch über so eine große Entfernung wie nach Deutschland."

Überbrückbare Probleme

Für den Wasserstoff bedarf es spezieller Hochdrucktanks. Noch gibt es dafür aber weder Lagerterminals geschweige denn eine Idee, wie der Transport in großem Stil aussehen könnte. Überbrückbare Probleme - wenn auch nicht bis übermorgen, meint Stefan Kaufmann. Der CDU-Politiker war bis vor zwei Wochen der Wasserstoffbeauftragte des Bundes und oft vor Ort in Kanada: "Wir brauchen dann natürlich die Schiffe, die den Wasserstoff als Ammoniak oder als flüssigen Wasserstoff an die Häfen in Europa transportieren." Und diese Schiffe gebe es bereits, betont er.

Darum befürwortet er das Abkommen. Die Frage sei vor allem: "Wie wird der Wasserstoff auf kanadischer Seite grün produziert - und dann natürlich in Nähe der Tiefseehäfen", so Stefan Kaufmann.

Hundert Prozent Ökostrom in drei Jahren

Kanada plant den Bau von 30 Wasserstoff-Hubs im ganzen Land. Schon jetzt erzeugt das nordamerikanische Ölland nach Angaben der deutsch-kanadischen Handelskammer rund 67 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energiequellen. Und der Großteil stammt aus Wasserkraft. In drei Jahren will Trudeaus Regierung das Land zu hundert Prozent mit Ökostrom versorgen.

"Kanada ist dabei natürlich ein sehr interessantes Partnerland", sagt Wasserstoffexperte Kaufmann: "Es gibt große Potenziale in Quebec und im östlichen Teil des Landes. Aber: Wie schnell kann es gehen, bis der erste grüne Wasserstoff nach Deutschland geliefert wird?"

Die ersten Windturbinen für die Anlage in Stephenville sollen nach Planung des Konzerns nächstes Jahr stehen. Doch bislang ist dafür noch nicht einmal die Studie zur Umweltverträglichkeit fertig. Bis das Projekt also Früchte trägt, kann es noch einige Jahre dauern, sagen Fachleute wie Pollet vom Internationalen Verbund für Wasserstoff-Energie: "Momentan scheint mir das alles noch weit hergeholt. Es muss noch soviel passieren. Der Deal ist fantastisch - aber er wird nicht über Nacht umgesetzt werden." Viel hänge auch davon ab, wie das Milliardenprojekt finanziert werde. Auch Deutschland müsse seinen Teil dazu beitragen.

Antje Passenheim, Antje Passenheim, ARD New York, 22.08.2022 08:15 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 22. August 2022 um 09:00 Uhr.