Manfred Korman mit seiner Einbürgerungsurkunde

Holocaust-Überlebende werden Deutsche "Ihr wolltet mich loswerden - ich bin zurück"

Stand: 02.07.2024 13:08 Uhr

Sie wurden deportiert und ihrer deutschen Identität beraubt. Trotzdem - oder gerade deswegen - wollen Jahrzehnte später weltweit immer mehr Jüdinnen und Juden wieder die deutsche Staatsangehörigkeit haben.

In das Gefühl von Zufriedenheit mischt sich auch Genugtuung. Als der alte Mann mit dem weißen Haar die Urkunde vor der Bundesflagge an seine Brust drückt, hat er Tränen in den Augen. Für Manfred Korman schließt sich ein Lebenskreis. 92 Jahre mussten vergehen, bis er wieder Staatsbürger des Landes wurde, in dem er geboren ist: Deutschland.

"Ich wurde im Dezember 1931 in Deutschland geboren, wurde 1938 aus Deutschland deportiert. Ich konnte nie Bürger in dem Land werden", sagt Korman. Er wurde in Hamburg geboren und nach Polen deportiert, wo sein Vater herkam. Als Manfred sieben Jahre ist, rauben die Nazis seiner jüdischen Familie die deutsche Identität.

Der Junge überlebt den Holocaust zusammen mit seinem Bruder, weil die Mutter sie auf einen rettenden Kindertransport nach England setzt. Später treffen sie sich in den USA wieder. In den 1990er Jahren besucht US-Bürger Korman zum ersten Mal seine alte Thoraschule in Hamburg - in der damals der Fachbereich Bibliothekswesen der Fachhochschule Hamburg untergebracht war. "Da lag in Gedenken an die Schule ein Buch aus. Ich schrieb hinein: Ihr wolltet mich loswerden - ich bin zurück", sagt Korman.

Frieden finden durch wiedererlangte Staatsbürgerschaft

Die gestohlene Staatsbürgerschaft wollte er zurück - "um Frieden zu finden," sagt er. Ein Weg nach vorn, auch für seinen Sohn Jerome, der sich darauf freut, als Musiker bald mit deutschem Pass durch Europa zu reisen. Auch Kormans Enkeltochter Arielle lässt sich einbürgern. "Ich bin stolz, hier mit Menschen zusammenzutreffen, die gemeinsam ein neues Kapitel der Geschichte schreiben. Ich möchte Teil davon sein. Ich bin voller Gefühle - es ist schmerzhaft und es ist wunderschön. Es bedeutet mir viel", sagt sie.

Viele von ihnen haben jahrzehntelang mit dieser Entscheidung gerungen. Für sie war es ein langer Weg bis zu dem Moment, an dem der deutsche Generalkonsul David Gill ihnen feierlich ihre Urkunde überreicht. 82 Holocaust-Überlebende, ihre Kinder und Enkel werden an diesem Abend im Generalkonsulat in New York deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger.

Es ist ein Recht, dass das Grundgesetz ihnen 1949 zugesichert hat. Für viele ist es ein Stück Versöhnung. Doch die Motive sind so vielfältig wie ihre Geschichten und ihre Herkunftsorte, weiß Generalkonsul Gill. "Sie knüpfen dort an, wo die Vorfahren herkamen - und in den Fällen, wo Menschen, die noch in Deutschland geboren sind, hier wieder Deutsche werden, ist es auch ein bisschen, den Lebenskreis schließen."

Die Zahl der Anträge auf deutsche Staatsbürgerschaft steigt

Es bedeutet aber auch, den Kindern und Enkeln die Möglichkeit zu geben, in Deutschland zu studieren oder zu arbeiten. Für andere ist ein deutscher Pass auch eine Rückversicherung, sagt Gill. "Wir haben eine Bewegung nach oben gesehen, das erste Mal im Jahr 2017, als Donald Trump Präsident wurde und manche gesagt haben: Das ist nicht unbedingt mein Präsident, lasst uns nach Alternativen umschauen."

Dass so viele Holocaust-Überlebende und ihre Nachfahren zumindest per Pass nach Deutschland zurückkehren, sieht Gill auch als Vertrauensbeweis. Für immer mehr Menschen würden Deutschland und Europa in einer immer unübersichtlicher werdenden Welt zum sicheren Hafen. "Insgesamt werden die Verhältnisse unsicherer und unübersichtlicher. Das hat dazu geführt, dass wir von ungefähr 350 Anträgen im Jahr 2016 auf mittlerweile 1.000 Anträge pro Jahr hier allein in New York gekommen sind", sagt Gill.

Es entspricht einem weltweiten Trend: Noch 2018 ließen sich 1.430 Jüdinnen und Juden mit deutschen Wurzeln wieder einbürgern. Bis zum vergangenen Jahr hat sich diese Zahl mehr als vervierfacht. Für Manfred Korman ist der deutsche Pass auch ein Stück Zukunft. Die Deutsche Staatsbürgerschaft schließe zwar keine Kapitel, sagt er - doch sie hilft ihm, in Zukunft besser damit umzugehen.