Umstellung der Landwirtschaft Trinkmilch nur noch aus Tierwohlställen
Mehr Tierwohl, auch bei der Milch: Das gibt es jetzt auch bei den Eigenmarken von Supermärkten und Discountern. Der gesamte Handel hat umgestellt auf eine bessere Haltungsstufe.
Wer im Supermarkt oder Discounter seine Milch kauft, sieht auf den Packungen immer häufiger ein neues Label: Haltungsstufe 3. Die vierstufige Haltungsform-Kennzeichnung mit 1 als gesetzlichem Standard und 4 als Premiumkategorie wurde nun auf die Trinkmilch ausgeweitet - bisher gab es sie für Fleisch.
Discounter wie Lidl und Aldi nutzen die neuen Label und zeigen damit vor allem: "Nur Milch aus Deutschland kommt in die Tüten", betont Henrik Wiedenroth, mitverantwortlich für den Umstellungsprozess beim Discounterriesen Lidl. Und auch Mitbewerber Aldi setzt auf deutsche Ställe. Überall in Deutschland werden deshalb Milchbauern mit Wohlfühlställen gesucht.
Nur glückliche Kühe im Stall?
Einer von ihnen ist Michael Dörr aus dem hessischen Roßdorf. 300 Milchkühe stehen bei ihm im Stall. Hier gibt es jede Menge Platz, die Kühe können sich frei bewegen, haben viel Licht und Luft. Die großen Ventilatoren unter dem Stalldach drehen sich ab zwölf Grad Celsius Temperatur, denn: "Kühe mögen es nicht, wenn es warm ist", erklärt der Landwirt.
Mit dem Umbau zu mehr Tierkomfort hat er schon vor 20 Jahren begonnen. "Aus Überzeugung", sagt er, "auch wenn es nicht mehr Geld brachte." Durch die Umstellung des Handels jetzt hat er das Gefühl, endlich belohnt zu werden. Drei Cent mehr pro Liter Milch zahlen die Händler ihm für das Produkt von glücklicheren Kühen - dokumentiert durch Haltungsstufe 3, die gelb auf der Milchpackung erscheint.
Tierwohl als Existenzbedrohung?
Doch von den gut 51.000 Milchbetrieben in Deutschland liefert gerade mal ein Drittel Haltungsstufe 3. "Da wird die Frage nach der Tierwohlstufe schnell zur Existenzfrage", erzählt der Milchbauer mit Verweis auf Kollegen mit älteren Ställen.
Und der Verband der Milcherzeuger Bayern (VMB) blickt mit "Sorge" auf die flächendeckende Einführung der höheren Haltungsstufe. Denn gerade im Freistaat arbeitet die Hälfte der Bauern mit Boxenställen ohne Außenklima - und damit maximal auf Haltungsstufe 2. Und so wird es problematisch für die Landwirte, die nicht schnell oder überhaupt nicht umstellen können. Denn spätestens Ende des Jahres soll das gesamte Trinkmilchsortiment der Eigenmarken der Discounter auf die höhere Stufe umgestellt sein.
Das Milliardengeschäft mit der Milch
Der Milchmarkt in Deutschland ist riesig - der Versorgungsgrad liegt bei 120 Prozent. Milch gibt es für die 163 Molkereien im Land also mehr als genug. Trotzdem fahren derzeit die Milchwagen durch die halbe Republik, um Haltungsstufe 3 dort einzusammeln, wo es sie eben gibt. Allein bei Landwirt Dörr kommt der Milchlaster über 200 Kilometer aus dem aus dem Hohenloher Land herbeigefahren. Die Molkereien müssen den Handel bedienen, und "dann spielt, es keine Rolle, woher die Milch kommt", fügt der Landwirt kopfschüttelnd hinzu.
Immerhin: Weil der Markt an Tierwohlmilch klein und die Handelsnachfrage groß ist, gibt es für die Bauern mehr Geld. Ihr Zuschlag pendelt je nach Molkerei zwischen drei bis vier Cent pro Liter. Die Verbraucher und Verbraucherinnen dagegen zahlen für die Milch der Eigenmarken mit Haltungsstufe 3 nicht mehr Geld. Gut für das Image des Lebensmittelhandels.
Regional versus Wohlfühl-Milch
Doch so gut, wie es klingt, ist es nicht immer: Denn nicht jede Molkerei ist vom Vorpreschen des Lebensmittelhandels begeistert. Auch die hessische Molkerei Schwälbchen nicht. Hier setzen sie bewusst nicht auf Haltungsstufe 3, sondern auf Regionalität. 200 Landwirte liefern die Milch. Und für die, betont Vorstandschef Günter Berz-List, trage sie "auch Verantwortung."
Regionalität und Verbundenheit stehen bei der hessischen Molkerei vor dem Tierwohl. "Wir wollen unsere Bauern mitnehmen, und wir stellen gerade auf mehr Tierwohl um. Aber eben nicht auf 3", erläutert Günter Berz-List. Vom gesetzlichen Standard rauf auf Tierwohlstufe 2 sei für viele Landwirte der erste Schritt.
Und Käse, Joghurt und Quark?
Ein Blick in einen dieser Ställe, in denen Kühe bei Haltungsstufe 2 gehalten werden: Sie sind nicht 365 Tage angebunden, sondern können sich bewegen und kommen - wenn machbar - zeitweise auf die Weide. Stolz erzählt der Chef des Familienunternehmens, dass ihre Bauern seit Jahren gentechnikfrei füttern, auch wenn das eigentlich keine Voraussetzung bei Haltungsstufe 1 und 2 ist. Für Schwälbchen ist das trotzdem wichtig. Und noch etwas treibt die Molkerei um: Milch ist nicht gleich Milch.
Die geringste Menge der von deutschen Kühen produzierten Milch wird zu Trinkmilch. Der größte Teil wird weiterverarbeitet zu Joghurt, Quark oder Käse. Und diese Menge stammt überwiegend aus Haltungsstufe 1 und 2.
Nun setzen bereits die ersten Lebensmittelkonzerne auch beim Käse ihrer Eigenmarken auf eine höher Haltungsstufe. Zur Wahrheit gehört aber auch: Da steckt dann nicht mehr immer nur Milch aus bäuerlicher Landwirtschaft aus Deutschland drin.