Die Digitalanzeige eines Stromzählers in einem Privathaushalt.

Tarife der Energieversorger Was Strom gerade kosten sollte

Stand: 06.03.2023 11:21 Uhr

Die Preise an den Strombörsen haben sich stärker normalisiert als von Experten erwartet. Nicht alle Versorger geben das an ihre Kunden weiter. Was Verbraucher bei den Tarifen beachten sollten.

Von Michael Houben, hr

Die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hatte zwar erwartet, dass sich die Lage auf den Strommärkten wieder beruhigt - "weil es genug Kapazitäten und anders als beim Gas keine wirklichen Knappheiten gibt". Dass es aber so schnell geht, überrascht auch sie.

Strompreis-Jojo

Michael Houben, MDR, Plusminus 21:45 Uhr

Nur noch 13 Cent statt 90 Cent

Weniger überrascht ist die Expertin, dass die Börsenstrompreise massiv sinken, obwohl in wenigen Wochen die letzten AKW vom Netz gehen. "Das geht im europäischen Rauschen unter. Wir hätten die auch schon Anfang des Jahres abschalten können. Dann hätten wir auch ausreichende Kapazitäten gehabt."

Insbesondere FDP und CDU/CSU hatten gefordert, die Laufzeiten müssten noch weit über den April hinaus verlängert werden, um die Preise zu senken. Nun ist trotz baldigen Atomausstiegs der Börsenpreis für künftige Strommengen, der im vergangenen August auf bis zu zu 90 Cent je Kilowattstunde gestiegen war, auf zuletzt nur noch 13 Cent gesunken. 

Überhöhte Preise auf Kosten der Steuerzahler?

Wenn ein Stromversorger bei Vertragsverlängerungen oder für Neukunden seriös kalkuliert, kann er Haushaltskunden einen Endpreis ab etwa 35 Cent anbieten. Viele Anbieter tun das auch - aber nicht alle. Noch vorletzte Woche verlangten einer Stichprobe des ARD-Wirtschaftsmagazins Plusminus zufolge die Frankfurter Mainova fast 46 Cent, die Kölner Rheinenergie mehr als 50 Cent und die Aschaffenburger Stadtwerke sogar mehr als 65 Cent. Andere Anbieter agieren ähnlich.

Der Experte Hermann-Josef Tenhagen von "Finanztip" hat einen Verdacht:  "Wer heute solche Tarife verlangt,  hat sich entweder derbe verkalkuliert oder versucht, uns Steuerzahler zu beteiligen." Immerhin wird ja der Teil des Preises, der über 40 Cent liegt, dank Strompreisbremse vom Staat übernommen. Doch die gilt nur für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs. Jede Kilowattstunde mehr muss voll bezahlt werden. Darum sollten Kunden wirklich zu einem Anbieter wechseln, der mit Preisen deutlich unter 40 Cent je Kilowattstunde die aktuellen Börsenpreise nutzt, ohne sich selbst unangemessen hohe Gewinne zu verschaffen.

Endkundentarife mit Börsenpreisbindung

Mittlerweile gibt es auch eine wachsende Zahl neuer Anbieter, die den Preis direkt auf Basis der jeweiligen Börsenstrompreise kalkulieren. Dazu addieren sie die gesetzlichen Netzentgelte und Umlagen. Der entstehende Kilowattstundenpreis ändert sich von Monat zu Monat, kann aktuell sogar unter 30 Cent je Kilowattstunde liegen.

Kunden, die solche Tarife bereits im letzten Jahr abgeschlossen hatten, mussten insbesondere in den Monaten August und September plötzlich massive Preisanstiege hinnehmen - in einem konkreten Fall von vorher 111 Euro pro Monat auf plötzlich 295 Euro. Verbraucherschützer Tenhagen warnt daher, dass solche Tarife wirklich nur für Haushalte geeignet seien, die solche Schwankungen verkraften können.

Allerdings war der Spuk für diese Kunden bereits im Oktober wieder vorbei, während normale Stromkunden mit Jahresverträgen plötzlich massive Preiserhöhungen für ein ganzes folgendes Jahr hinnehmen mussten. Laut Expertin Kemfert liegt dies daran, dass die erstgenannten Tarife Preissenkungen unmittelbar an Kunden weitergeben, während dies bei vielen konventionellen Angeboten oft erst mit Verspätung passiere.

Strompreise nach Tageszeit

Ganz neu sind Tarife mit stündlich wechselnden Preisen. Sie folgen direkt der Strombörse, deren Kurs je nach aktuellem Verbrauch, Menge von Wind- und Solarstrom sogar in 15-Minuten-Schritten schwankt. Damit dies als Grundlage für Haushalte dienen kann, braucht man sogenannte "Smart Meter". Diese Strommessgeräte melden über das Internet den jeweiligen Verbrauch kontinuierlich an den Versorger. Nachteil: "Smart Meter" sind in Deutschland praktisch noch nicht vorhanden.

Der Stromversorger Tibber bietet seit kurzem ein kleines Zusatzmodul, das jeden digitalen Stromzähler an das Datennetz anbindet. Damit schwankt der Strompreis von Tibber aktuell je nach Tageszeit zwischen circa 17 und 36 Cent. Die tiefen Preise werden vor allem Nachts erreicht, bei viel Wind und Sonne gelegentlich auch mittags. Hohe Preise fallen meist in den Morgen- und Abendstunden an. 

Ein von Plusminus besuchter Kunde dieses Anbieters lädt damit vor allem ein E-Auto. Eine App sorgt automatisch dafür, dass dies nur bei günstigen Preisen passiert. Auch Wasch- und Spülmaschine im Haushalt besitzen eine Zeitvorwahl, mit denen er den Stromverbrauch automatisch auf günstige Zeiten verlagert. Nach eigener Angabe spart der Haushalt so gegenüber dem monatlichen Börsenpreistarif noch einmal bis zu zehn Prozent.

Dynamische Tarife eigentlich längst Pflicht

Der Preis bei Tibber ist insgesamt günstig, weil der Anbieter pro Kilowattstunde wirklich nur Börsenpreis und gesetzliche Umlagen und Steuern verlangt; Gewinn zieht er allein aus einer monatlichen Grundgebühr von 3,99 Euro. Die aus Norwegen und Schweden stammende Firma kann nach eigenen Angaben trotzdem rentabel arbeiten, weil in den Ländern, in denen solche Tarife bereits üblich sind, auch der Netzanbieter dafür bezahlt: für die Netzstabilisierung, die den Verbrauch auf Zeiten lenkt, in denen genug Strom im Netz ist. Ein Effekt, den auch die DIW-Expertin Kemfert für wichtig hält. Darum sollte der Gesetzgeber auch in Deutschland die Einführung solcher Tarife forcieren.

Tatsächlich wären auch große deutsche Stromversorger mit mehr als 200.000 Kunden schon seit letztem Sommer verpflichtet, solche dynamischen Tarife anzubieten - inklusive Smartmeter vom Netzbetreiber. Eine Stichprobe unter elf Anbietern zeigt jedoch, dass die meisten diese gesetzliche Pflicht bisher ignorieren. Konkrete Strafen drohen deswegen nicht.

Die wenigen deutschen Stromversorger, die solche Tarife anbieten, verlangen so hohe Preise, dass es sich für Kunden kaum lohnt. Darauf verweist auch Verbraucherschützer Tenhagen. Dynamische Tarife seien allenfalls für größere Verbraucher lohnenswert: Gewerbetreibende oder Privathaushalte mit E-Auto, Wärmepumpe oder ähnlichem. Sie sollten sich entsprechende Angebote anschauen, dabei aber unbedingt auf die - auch dort vorhandenen - Preisunterschiede achten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 06. März 2023 um 12:00 Uhr und „Plusminus“ am 01. März 2023 um 21:45 Uhr im Ersten.