Atomkraftwerk Isar II
mittendrin

AKW Isar II wird abgeschaltet Ein roter Knopf beendet das Atomzeitalter

Stand: 02.03.2023 17:25 Uhr

In sechs Wochen steigt Deutschland aus der Atomenergie aus. Was für andere längst überfällig ist, ist für die Angestellten am AKW Isar II ein schwerer Schritt. Den Ausstieg können sie nur schwer nachvollziehen.

Von Philip Kuntschner, BR

Das Bild, das sich Stefan Zöttl jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit bietet, ist kontrastreich. Die rauschende Isar, dazu Bäume und Felder - niederbayerische Natur, beinahe malerisch.

Jäh durchbrochen wird dieses Bild aber am Ende der Straße, die von der Gemeinde Niederaichbach eben zu genau jenem Arbeitsplatz führt, an dem Stefan Zöttl seit mehr als 30 Jahren tätig ist. Das Atomkraftwerk Isar II mit seinem 165 Meter hohen Kühlturm, dessen Wasserdampfwolke kilometerweit sichtbar ist.

#Mittendrin im AKW Isar II – Was macht das Aus der Kernenergie mit den Mitarbeitern?

Philip Kuntschner, BR, tagesthemen, tagesthemen, 01.03.2023 22:15 Uhr

Ende ist in Sicht

Jeden Morgen der Kontrollblick auf die Wasserdampfwolke. "Wenn die zu sehen ist, dann ist die Welt noch in Ordnung", sagt Zöttl. Die Wolke sagt unmissverständlich: Die Anlage läuft. In genau sechs Wochen wird damit Schluss sein. Am 15. April steigt Deutschland aus der Atomenergie aus, die letzten noch aktiven Kraftwerke Emsland in Niedersachsen, Neckarwestheim II in Baden-Württemberg und Isar II in Bayern werden heruntergefahren.

"Das wird ein komisches Bauchgefühl", ist sich Zöttl sicher. Damit steht er nicht alleine. Rund 450 Menschen arbeiten am Standort, der vom Energiedienstleister Preussen Elektra betrieben wird. Im Kraftwerk wird deutlich: Hier stehen sie hinter der Atomenergie und dem Block Isar II. "Bayern braucht Kernenergie". Diese Aufschrift ist gleich an mehreren Wänden zu sehen. "Andere Länder wären froh, ein so gut gewartetes und modernes Kernkraftwerk zu haben", sagt Stefan Zöttl. "Und wir machen unseres kaputt."

Keine Vorfreude bei den Mitarbeitern - im Gegenteil

Für den gelernten Industriemechaniker ist die Entscheidung, aus der Kernenergie auszusteigen, nicht nachvollziehbar. Seit 31 Jahren arbeitet er nun hier. Seither war es seine Aufgabe in der Instandhaltung, Maschinenteile zu warten und zu reparieren. Genau das Gegenteil erwartet ihn aber in Zukunft - mit dem Rückbau. Für ihn der schlimmste Begriff, wie er selbst sagt. Er will ihn nicht hören.

Ähnlich überzeugt von der Kernenergie ist auch Franz Jaeger. Seit 38 Jahren arbeitet er für dem AKW-Standort auf dem Gebiet der Gemeinden Essenbach und Niederaichbach im Landkreis Landshut. Den Block Isar II kennt er seit dem ersten Tag. Jaeger war 1988 bei der Inbetriebnahme der Anlage dabei. "Und jetzt muss ich sie zerstören. Aber nicht, weil sie kaputt ist, sondern weil man es so will und es so bestimmt hat." Bei Jaeger löse das ein flaues Gefühl im Magen aus. Frust sei das nicht, eher eine Mischung aus Enttäuschung und Unverständnis.

Sein ganzes Berufsleben hat er hier verbracht. Er kümmert sich um die Reaktorleistungsleittechnik, überwacht auf der Warte die Stabstellungen der Steuerstäbe im Reaktor. Eine hohe Verantwortung, derer er sich immer bewusst sei, betont Jaeger. Das könne er hier über jeden sagen. Die Warte gilt als Herzstück der Anlage. Hier werden alle Vorgänge im Reaktor überwacht und gesteuert - das Kontrollzentrum mit Hunderten Knöpfen, Anzeigen, Kippschaltern und Monitoren. Schichtleiter und Reaktorfahrer sind rund um die Uhr hier.

Kontrollraum im AKW Isar II

Ein Blick in die Warte des Atomkraftwerks: Von hier aus wird alles überwacht und kontrolliert.

Eines der leistungsstärksten AKW weltweit

Am Eingang der Warte hängen Auszeichnungen. Zehn Mal wurde Isar II zum Weltmeister gekürt, als leistungsstärkstes Atomkraftwerk der Welt. Kein Block hat in diesen Jahren mehr Strom erzeugt. Darauf sind sie hier stolz.

Nicht die Stromerzeugung, sondern die Sicherheit der Anlage habe aber oberste Priorität. Dieser Satz fällt hier immer wieder, gebetsmühlenartig. "Wir müssen das so deutlich sagen", rechtfertigt Franz Jaeger. Viel zu oft seien meldepflichtige Ereignisse in der öffentlichen Darstellung überhöht worden, findet er.

Wenn Menschen Angst vor der Atomkraft haben, müsse man das ernst nehmen, so Jaeger. Diese Angst aus einem bestimmten Interesse heraus weiter zu schüren, sei aber falsch. "Wir alle leben hier in der Gegend. Denken unsere Kritiker ernsthaft, wir würden dann mit unserer Verantwortung leichtfertig umgehen? Es ist doch auch unsere Heimat. Wir sind es, die Isar II sicher betrieben haben."

Ein roter Knopf für den Ausstieg

Am 15. April wird hier auf der Warte ein langer und aufwendiger Prozess eingeleitet. Oft schon wurde Isar II für Revisionen heruntergefahren, um dann, Tage oder Wochen später, wieder ans Netz zu gehen. Diesmal ist es endgültig.

"ReSA" für "Reaktorschnellabschaltung" steht auf dem roten Knopf im AKW Isar II.

"ReSA" für "Reaktorschnellabschaltung" steht auf dem roten Knopf im AKW Isar II.

Am Ende besiegelt ein abschließender Druck auf einen roten Knopf den Atomausstieg. "ReSA" steht darauf - "Reaktorschnellabschaltung." Wer ihn drücken wird, ist noch offen. Klar ist: Es wird ein historischer Knopfdruck. Eine Zäsur in der Bundesrepublik, die auf den Ausbau der erneuerbaren Energien und den Ausstieg aus fossilen Quellen und der Kernkraft setzt. Aber auch für die Belegschaft der Kraftwerke.

Stefan Zöttl und Franz Jaeger werden auch in Zukunft hier arbeiten. Ihre Erfahrung wird beim Rückbau gebraucht, sagen sie. Wer nicht in Rente geht, wird von der Betreiberfirma Preussen Elektra weiter beschäftigt. Im Moment ist sie noch Energiedienstleister. In sechs Wochen dann ein reines Rückbauunternehmen.