Faire Preisgestaltung Die wahren Kosten unserer Lebensmittel
Dass die Inflation so hoch ist, liegt stark an den gestiegenen Lebensmittelpreisen. Achtete man allerdings mehr auf Fairness und Umwelt, müssten Nahrungsmittel eigentlich noch deutlich mehr kosten.
Viele Kühe hat der Milchviehhalter Matthias Pitzer nicht. Auf seinem Hof im hessischen Bad Endbach gibt es 50 Milchkühe und eine Handvoll Rinder für die Fleischzucht. Seine Milch produziert er nach Bio-Standard. Zu fressen gibt es frisches Gras von der Weide, die Kühe haben vergleichsweise viel Platz zum Leben. Viel bringt ihm das aber nicht im Preiskampf um die Milchpreise: "Der Preisdruck ist immens. Alles wird teurer für uns. Und auf der anderen Seite versucht der Verbraucher zu sparen."
"Preise sind komplett intransparent"
Immerhin: Pitzer ist Teil der Initiative "Du bist hier der Chef". Er gehört zu den Landwirten, bei denen eine Gruppe von Verbrauchern bestimmt, wie viel der Landwirt verdient und was die Milch im Handel kosten soll. Normalerweise weiß das der Landwirt nicht vorher, sagt der Kopf der Initiative, Nicolas Barthelmé. In der Regel seien es die Molkereien und der Einzelhandel, die den Preis machen: "Die Preise sind komplett intransparent für die Verbraucher. Sie wissen nicht, wohin das Geld fließt. Das ist ein Problem."
Bei der Milch von "Du bist hier der Chef" hat die Initiative entschieden, dass der Liter 1,59 Euro kosten soll. Beim Landwirt sollen 0,63 Euro bleiben. Durchschnittlich sind es 0,50 Euro. Das Problem seien hier nicht die Verbraucher, sondern der Einzelhandel, sagt Barthelmé: "Im Lebensmittelhandel werden Milliardenumsätze getätigt. Das Geld ist nur falsch verteilt." Außerdem: Tier- und Naturschutz gibt es nicht zum Nulltarif. Momentan kommt bei den Landwirten zu wenig an.
Folgekosten für die Gesellschaft
Doch eine faire Bezahlung der Landwirte allein würde nach Einschätzung von Wissenschaftlern der Uni Greifswald noch längst nicht zu den Preisen führen, die eigentlich im Laden gezahlt werden müssten. Umweltökonomin Amelie Mischalke forscht an den sogenannten "True Cost" für Lebensmittel. Diese "wahren Preise" sind die Kosten für ein Produkt, "die extern entstehen, aber von unserer Gesellschaft bezahlt werden".
Einfach erklärt: Wenn Verbraucher Dinge wie Äpfel oder Kleidung bezahlen, stecken hinter den eigentlichen Kosten noch andere "wahre Kosten", die wir als Gesellschaft mittragen. Dazu gehören zum Beispiel Folgeschäden an unserer Umwelt oder durch den Klimawandel, wenn bei der Produktion von Lebensmitteln hohe Emissionswerte anfallen oder etwa Grundwasser verunreinigt wird. Außerdem werden auch Gesundheitskosten eingerechnet, zum Beispiel als Folge von schlechten Arbeitsbedingungen - oder Auswirkungen von Lebensmitteln auf die menschliche Gesundheit.
Vor allem Fleisch wäre viel teurer
Die Forscher der Uni Greifswald rechnen vor: Wenn man beispielsweise bei Hackfleisch, das aktuell im Discounter pro Kilo im Schnitt acht Euro kostet, alle oben genannten Faktoren mit einfließen ließe, lägen die wahren Kosten fast 175 Prozent höher - Hack würde dann eben nicht acht Euro, sondern knapp 22 Euro pro Kilogramm kosten. Bei Milch wäre beim aktuellen Durchschnittspreis von 1,15 Euro ein Aufschlag von 112 Prozent vonnöten - das hätte einen Literpreis von 2,44 Euro zur Folge. Beim Kilo Äpfel - aktueller Preis 1,96 Euro - fiele der "True-Cost"-Aufschlag mit acht Prozent noch vergleichsweise gering aus, würde aber auch zu einem Preis von 2,12 Euro führen.
Die Anwendung eines solchen Konzepts ist nicht einfach. Die Idee ist jedoch, dass die Kosten vor allem bei den Verursachern anfallen, innerhalb der Lieferkette. Ein umweltschädliches Düngemittel würde zum Beispiel teurer werden und damit am Ende auch das Produkt. "Die Idee ist, dass sich Angebot und Nachfrage am Ende nachhaltig umstellen."
Was ist mit Menschen in sozialer Not?
Hier beginnt die Kritik: Was ist mit denen, die sich Lebensmittel heute schon nur noch schwer leisten können? "Ich halte es für absolut fragwürdig, soziale Not gegen eine ökologische und nachhaltige Lebensweise auszuspielen", sagt die Landesgeschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Hessen, Yasmin Alinaghi. Das Problem sei nicht, dass die Preise höher sein sollten, sondern dass die Sätze - etwa beim Bürgergeld - zu niedrig für prekär lebende Menschen seien.
An eine Umsetzung des "True-Cost"-Konzepts zu denken, ist noch zu früh. Dabei gehe es momentan mehr darum, den Diskurs in Gang zu setzen, sagt Umweltökonomin Amelie Mischalke. Einer Umsetzung müsste ein großer politischer Prozess vorangehen. Alleine in Deutschland könne man das Konzept wegen der Abhängigkeit vom globalen Handel nur schwer ohne internationale Zusammenarbeit durchsetzen. Trotzdem: "Anhand der Bepreisung wird klar, was alles in unserer Lebensmittelproduktion falsch läuft", sagt Mischalke.
Auf dem Hof packen alle mit an
Zustimmen würde da wohl auch Milchviehalter Matthias Pitzer. Aktuell hat er kaum Probleme bei der Produktion seiner Milch. Die Kosten seiner Produktion kann er niedrig halten, weil die ganze Familie anpackt. Der Urlaub bleibt dafür oft auf der Strecke, sagt er. Er sieht jedoch auch, dass es woanders schwieriger sein kann. Durch die höheren Preise für seine Milch kann er in den Tierschutz investieren.
Am Ende bleibt für ihn eine einfache Frage: "Möchte man für die Natur und die Betriebe wirtschaften oder will man nur große Mengen produzieren?"