Inflation Die vergessene Mittelschicht
Das Alltagsleben ist deutlich teurer geworden. Die Preise steigen zwar langsamer, aber sie steigen. Das bekommen vor allem Familien mit mittleren Einkommen zu spüren.
Ein Einkaufszentrum wie Tausende andere auch in Deutschland: das King-Park-Center im Mainzer Stadtteil Hartenberg. Neben einem Restaurant, einer Änderungsschneiderei und einem Eisladen gibt es hier auch Lebensmittel. Isa kommt mit ihren beiden Kindern gerade vom Einkaufen. Sie packt Eier und Gemüse in den Kofferraum ihres Wagens. "Die Preise sind definitiv gestiegen. Ich schaue auch sehr genau, wo ich kaufe", erzählt die 40-Jährige. "Wir schränken uns nicht massiv ein, versuchen aber zu sparen. Wir verzichten auf Essengehen, weil es im Supermarkt so teuer geworden ist."
Ein paar Parkplätze weiter steigt Barbara Saday mit ihren zwei Kindern aus dem Auto. "Ich finde, die Preise sind extrem überteuert. Das ist einfach zu viel. Alles ist so teuer geworden. Wenn das so weitergeht, muss man sich Sorgen machen." Auf Nachfrage, ob ihr die Unterstützungsmaßnahmen der Bundesregierung für Familien gegen die Inflation etwas geholfen haben, antwortet Saday: "Davon habe ich gar nichts mitbekommen. Aber vielleicht liegt es daran, dass ich selbstständig bin?"
Am Eingang zum Einkaufszentrum sitzt eine weitere Kundin mit ihren beiden Kindern und macht eine Pause nach dem Einkauf. Auch die 33-Jährige, die namentlich nicht genannt werden möchte, macht sich über die gestiegenen Preise ihre Gedanken: "Was sollen wir machen? Wir müssen essen, und deshalb müssen wir auch einkaufen. Wir schauen sehr auf die Preise und sind zunehmend im Discounter unterwegs. Als Familie ist es inzwischen ein teures Unterfangen, alle satt zu bekommen."
Studie: Mittelschicht kommt bei Inflation schlecht weg
Das Stimmungsbild vom Mainzer Hartenberg täuscht nicht. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung kommt in einer Studie zu ähnlichen Ergebnissen: Danach ist die Kaufkraft für Familien mit mittleren Einkommen in den vergangenen Jahren gesunken - und das, obwohl es mehrere Entlastungspakete der Bundesregierung gegeben hat.
Unter anderem wurde die Einkommenssteuer gesenkt, und Unternehmer konnten ihren Angestellten eine steuerfreie Inflationsausgleichsprämie zahlen. Die Ampel wollte so die Folgen der sogenannten kalten Progression ausgleichen. Dabei geht es um das Problem, dass Gehaltserhöhungen durch die Inflation aufgezehrt werden, man auf das höhere Gehalt aber höhere Steuern zahlen muss; die eigene Kaufkraft sinkt.
Bestimmte Gruppen profitierten
Das Ergebnis der IMK-Untersuchung: Von den Beschlüssen der Bundesregierung hätten etwa Geringverdiener, kinderlose Paare und Gutverdiener-Familien profitiert. "Hohe Preissteigerungen gab es vor allem 2022 und 2023", so Silke Tober. Sie hat die IMK-Studie mitverfasst. "Die gute Nachricht: Die meisten Haushalte haben inzwischen wegen steigender Löhne, Nachlässe bei Steuern und Abgaben kaum noch eine Kaufkraftlücke."
Familien mit einem mittleren Einkommen verzeichneten dagegen ein Minus, so die Untersuchung. In Zahlen heißt das konkret: Eine Familie mit zwei Kindern, bei der beide Elternteile arbeiten und die gemeinsam auf ein Jahresbruttoeinkommen von 58.990 Euro kommen, musste einen Kaufkraftverlust von 492 Euro im Jahr hinnehmen. Die hohe Teuerung wurde also nicht kompensiert.
Auch eine Alleinerziehende mit einem Kind, die brutto auf 43.693 Euro kommt, steht mit weniger da, so das IMK. Als Gründe nennt Tober: "Familien mit einem mittleren Einkommen haben nicht so stark von der Einkommensteuersenkung profitiert. Auch das Kindergeld wurde nicht so stark angehoben." Zudem seien die Hauptpreistreiber der vergangenen Jahre Lebensmittel und Energie gewesen. Und hier gelte die Faustformel: Je geringer das Einkommen, desto gewichtiger sind diese beiden Posten. Untere Einkommen seien hier stärker entlastet worden, aber eben nicht die Mittelschicht.
Ist höheres Kindergeld die Lösung?
Die IMK-Studie spricht von einer "sozialen Schieflage". Deshalb fordern die Forscher mehr direkte Hilfen - konkret beim Kindergeld. Das sei in den vergangenen Jahren nicht stark genug erhöht worden, um die Inflation auszugleichen. "Am zielgenauesten für Familien wäre eine Erhöhung des Kindergeldes. Da kommt das Geld auch direkt an", erklärt Tober.
Auch über die gestiegenen Sozialversicherungsbeiträge sollte die Bundesregierung nachdenken. "Hier dürfen die Beiträge nicht mehr weiter steigen. Versicherungsfremde Leistungen müssten vermehrt über Steuern aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Das ist ein weiterer Ansatz." Das Kindergeld soll zum Jahreswechsel um fünf Euro auf 255 Euro monatlich steigen. Für das IMK ist das zu wenig.
Das zuständige Bundesfinanzministerium sieht das ganz anders. Ein Sprecher erklärt auf Anfrage von tagesschau.de: "Das Kindergeld wurde ab 2023 auf 250 Euro erhöht (...). Zusätzlich wurde der Kinderzuschlag erhöht. Im Juli 2022 hat die Bundesregierung außerdem den Kindersofortzuschlag für von Armut betroffene Kinder eingeführt." Zudem sei auch der Kindergrundfreibetrag erhöht worden.
Bundesbank: Inflation hartnäckig
Die Inflation wird nach Einschätzung der Bundesbank in den nächsten Monaten nicht weiter zurückgehen. Die Teuerung werde zwar schwanken, aber insgesamt nicht weiter sinken, teilte die Bundesbank in ihrem aktuellen Monatsbericht mit. "Dies liegt auch an der hohen Volatilität der Ölpreise im vergangenen Jahr", heißt es darin.
Zudem wurden im Dienstleistungsbereich die Löhne zuletzt deutlich erhöht. Auch deshalb sei nicht mit einem Rückgang der Teuerung zu rechnen, heißt es aus Frankfurt. Auch die Europäischen Zentralbank (EZB) sieht die Entwicklung ähnlich - das gelte auch für den Euroraum. Die finanziellen Aussichten für Familien mit einem mittleren Einkommen dürften also trüb bleiben. Das Bundesfinanzministerium erklärt in seiner Antwort abschließend: "Entlastungen von mittleren Einkommen und Familien bleiben (...) unverändert eine besondere Priorität der Bundesregierung."