Urteil zu Aufklärungspflicht BGH stärkt Rechte von Immobilienkäufern
Immobilienkäufer wollen wissen, welche Kosten auf sie zukommen. Doch wie weit gehen die Aufklärungspflichten der Verkäufer? Dazu hat der BGH jetzt ein Urteil gefällt.
Immobilienverkäufer müssen potenzielle Käufer über relevante Fakten informieren und unter Umständen gezielt etwa auf anstehende Sanierungskosten hinweisen. Das gilt auch für Fälle, in denen Unterlagen digital hinterlegt werden, entschied der Bundesgerichtshof (BGH). Die Karlsruher Richterinnen und Richter verschärften damit die Aufklärungspflichten der Verkäufer und stärkten die Rechte der Käufer.
Auswirkungen auf alle Unternehmenstransaktionen
Aus Sicht von Maximilian Findeisen von der Anwaltskanzlei Norton Rose Fulbright hat das nicht nur für Immobilienverkäufe, sondern für alle Unternehmenstransaktionen Auswirkungen: Künftig müssten Verkäufer wesentliche Umstände und Informationen für die Kaufentscheidung sorgfältiger vorbereiten sowie frühzeitig und eindeutig aufklären, so der Rechtsanwalt.
"Die Karlsruher Richter schieben der bislang üblichen Praxis der Verkäufer, sich allein durch eine übermäßige und bisweilen auch sehr kurzfristige Offenlegung von Unterlagen von jeglicher Haftung frei zu zeichnen, einen Riegel vor", meint Findeisen.
"Verkäufer müssen nun Käufer auf Mängel stoßen"
Der stellvertretende Bundesgeschäftsführer und Justiziar des Immobilienverbandes Deutschland (IVD), Christian Osthus, sieht die Folgen des Urteils ähnlich. Es genüge nicht mehr, dass der Verkäufer alle relevanten Tatsachen jenseits von Sach- und Rechtsmängeln Käufern quasi ungefiltert vor die Füße kippe. Vielmehr könne man die BGH-Entscheidung so verstehen, dass der Verkäufer den Käufer künftig mit der Nase auf solche Mängel stoßen müsse.
Welche Umstände das genau sind, ist vom Einzelfall abhängig, erklärt die Vorsitzende Richterin des fünften BGH-Zivilsenats, Bettina Brückner. Im konkreten Fall hatte eine Firma mehrere Gewerbeeinheiten in einem großen Gebäudekomplex - dem Ihme-Zentrum in Hannover - für mehr als 1,5 Millionen Euro gekauft. Sie fühlt sich arglistig getäuscht, weil sie zu spät erfahren habe, dass hohe Kosten für die Instandhaltung des Gemeinschaftseigentums auf sie zukommen könnten.
Verkäuferin hatte nicht ausreichend aufgeklärt
Es geht dabei um die Haftung der Verkäuferin wegen Verschuldens bei Vertragsschluss - weil sie nicht ausreichend aufgeklärt habe. Denn die Verkäuferin hatte das Protokoll zu einer wichtigen Eigentümerversammlung erst drei Tage vor Vertragsabschluss in einen digitalen Datenraum gestellt. Aus Sicht der Klägerin geschah das "klammheimlich" und wurde ihr somit "untergeschoben". Weil es ein Freitag war, war es zudem der letzte Arbeitstag vor der geplanten Unterzeichnung.
Für die Sanierungsarbeiten waren bis zu 50 Millionen Euro angesetzt worden. Weil die Mehrheitseignerin nicht zahlen wollte, landete der Fall vor Gericht. Das Verfahren endete mit einem Vergleich, nach dem die Eigentümer der Gewerbeeinheiten eine Sonderumlage zahlen sollten.
BGH hebt vorheriges Urteil auf
Die Klägerin hat daraufhin den Kaufvertrag angefochten. Das Oberlandesgericht Celle sah die Verantwortung allerdings vor allem bei der Käuferin. Die obersten Zivilrichterinnen und -richter Deutschlands stellten sich nun jedoch auf deren Seite, hoben das Urteil weitgehend auf und verwiesen es zur neuen Verhandlung zurück. Die Verkäuferin hätte ungefragt über den Kostenumfang aufklären müssen, der bei 50 Millionen Euro "zweifelsohne von erheblicher Bedeutung" sei, so die BGH-Richter.
Im Fachjargon ist von "offenbarungspflichtigen Umständen" die Rede. Die Pflicht zur Aufklärung darüber könne zum Beispiel dann entfallen, wenn bei einer Besichtigung dem Käufer Mängel ins Auge springen oder im Zusammenhang mit Mängeln ein Sachverständigengutachten überreicht werde, so Richterin Brückner. "Dagegen kann ein Verkäufer nicht ohne weiteres erwarten, dass der Käufer Finanzierungsunterlagen oder einen ihm übergebenen Ordner mit Unterlagen zu dem Kaufobjekt auf Mängel des Kaufobjekts durchsehen wird", heißt es in der Erläuterung.
Datenraum reicht nicht
Diese Rechtsprechung sei auch auf andere Fälle mit Datenräumen zu übertragen. "Der Umstand allein, dass der Verkäufer einen Datenraum einrichtet und den Kaufinteressenten den Zugriff auf die Daten ermöglicht, lässt nicht stets den Schluss zu, dass der Käufer den offenbarungspflichtigen Umstand zur Kenntnis nehmen wird." Vielmehr komme es im Einzelfall darauf an, wie der Datenraum und der Zugriff hierauf strukturiert und organisiert sei.
IVD-Justiziar Osthus meint, aus der Entscheidung lasse sich letztlich ableiten, dass man den Käuferhorizont mehr im Blick haben müsse. "Und wenn man etwas hervorhebt oder sagt, sollte man dies als Verkäufer auch dokumentieren, um einen Schadenersatzanspruch des Käufers zu vermeiden", so Osthus' Schlussfolgerung.
Aktenzeichen: V ZR 77/22