Branche in der Krise Hat verpackungsloses Einkaufen noch eine Zukunft?
In den letzten Jahren mussten mehrere Unverpackt-Geschäfte schließen, weitere kämpfen um ihre Existenz. Nach dem Hype um das Konzept für verpackungsloses Einkaufen sind viele Ladenbesitzer nun mit der Realität konfrontiert.
Dorit Hinrichsen hat sich mit ihrem Unverpackt-Geschäft "Loses Mundwerk" in Hamburg einen Traum erfüllt. Schon länger spielte sie mit dem Gedanken, einen Laden für verpackungsfreies Einkaufen zu eröffnen - vor etwas weniger als zwei Jahren wagte sie es. In ihrem Geschäft finden Kunden diverse Lebensmittel wie Reis und Nudeln, aber auch Waschmittel, Seifen und andere Utensilien des täglichen Bedarfs. Wer einkauft, füllt die Waren in seine eigenen Behälter ab.
Das Problem: Die Kundschaft für Hinrichsens großen Traum bleibt aus. "Wir kämpfen gerade wirklich ums Überleben", erzählt die Ladeninhaberin. Gerade jetzt in der Ferienzeit kommen laut Hinrichsen manchmal nicht einmal zehn Kunden pro Tag in das Geschäft: "Das ist bei Öffnungszeiten von zehn Stunden pro Tag wirklich sehr, sehr frustrierend und macht mir auch psychisch sehr zu schaffen. Das muss man erstmal wegstecken. Man sitzt den ganzen Tag hier und es ist sehr, sehr wenig zu tun." Unter der Woche hat ihr Geschäft von 9 bis 19 Uhr geöffnet, auch samstags sind die Türen offen.
Branche in der Krise
Hinrichsen ist nicht allein mit ihren Sorgen. Wer sich durch die Instagram-Accounts von deutschen Unverpackt-Geschäften klickt, liest immer wieder alarmierende Nachrichten: "Für immer geschlossen" oder "Abverkauf aller noch vorhandenen Produkte". In den Kommentaren stehen dann oft Beileidsbekundungen der noch bestehenden Geschäfte. Auch Medienberichte mit Hilferufen aus der Branche mehren sich.
Chrissi Holzmann vom Verband "Unverpackt e.V." beobachtet diese Entwicklung auch: "Die Branche im Allgemeinen ist nicht mehr ganz so stark, wie sie vor Corona war." Aktuelle Zahlen des Verbandes belegen: Im Jahr 2023 haben zwar bisher auch vier Läden eröffnet, aber eben auch 20 geschlossen. 103 Projekte gelten als "in Planung".
Für das Jahr 2022 zählte der Verband 70 Schließungen unter Verbandsmitgliedern. Dem stehen 44 Ladeneröffnungen von Verbandsmitgliedern im selben Zeitraum gegenüber. Holzmann von "Unverpackt e.V." setzt diese Zahlen aber auch in Zusammenhang mit der allgemeinen Krise des Einzelhandels. Zudem sei die Unverpackt-Branche eine sehr junge Branche, da überstehe nicht jeder Laden die ersten fünf Jahre.
Wocheneinkauf - lieber schnell und einfach?
Die Unverpackt-Geschäfte stehen laut der Expertin Petra Süptitz vom Marktforschungsinstitut GfK gleich vor mehreren Herausforderungen. So beobachtet sie zum Beispiel in der Konsumentenforschung, dass viele Verbraucherinnen und Verbraucher gerne schnell ihre Einkäufe erledigen wollen.
Unverpackt-Geschäfte seien da manchmal nicht ganz so praktisch: "Man muss seine Behälter mitbringen. Man muss sich vorher überlegen, was man braucht. Dann sind die Läden oft nicht unbedingt dort, wo ich wohne." Bei Hinrichsen im Geschäft gibt es beispielsweise kein frisches Obst und Gemüse, dafür muss ihre Kundschaft dann noch einen weiteren Stopp einlegen. Dagegen schildert Hinrichsens Kundschaft ihr aber auch, dass das Einkaufen hier mehr Spaß mache, insbesondere für Kinder.
Inflationssorgen kommen für viele vor Klimawandel
GfK-Expertin Süptitz sieht auch noch einen weiteren Grund für die Zurückhaltung der Konsumenten: "Die Menschen sind extrem preissensibel geworden in diesen Zeiten. Das führt dazu, dass die Verbraucher stärker auf Angebote achten, Preise vergleichen."
Laut der GfK-Studie "Consumer Life" für 2023 sorgen sich Konsumenten mehr um die Inflation und darum, ihre Rechnungen begleichen zu können als um den Klimawandel. In Zeiten der Inflation müssen manche Verbraucher wohl beginnen zu priorisieren: teurere Bio-Produkte fürs Klima oder günstigere Discounterprodukte für das inflationsgebeutelte Portemonnaie?
Krisenmüdigkeit der Verbraucher
Im Gespräch mit ihrer Kundschaft beobachtet auch Hinrichsen dieses veränderte Konsumverhalten: "Es gibt schon einige Kunden, die den Einkauf reduziert haben, die auch mitgeteilt haben: 'Ich kann nicht mehr alles bei dir kaufen. Ich versuche, bestimmte Sachen weiterhin zu kaufen, weil ich das Konzept und dich unterstützen möchte, aber ich kann es halt nicht mehr. Ich muss auf mein Geld achten.'"
Zu der ganz konkreten Sorge um den Geldbeutel kommt in manchen Fällen wohl auch eine gewisse Krisenmüdigkeit der Verbraucher. Holzmann vom Verband "Unverpackt e.V." vermutet, dass die Kundschaft in Zeiten von Krieg gegen die Ukraine und Inflation genug von Krise hat: "Das erschüttert natürlich so ein bisschen die Realität und verändert Prioritäten. Da ist auch die Klimakrise und die Plastikkrise bei vielen vielleicht einfach zu viel."
Selbst abfüllen statt umweltschädlicher Verpackungen: Der Hype um Unverpackt-Läden scheint deutlich abgenommen zu haben.
Konzept hat weiterhin Potential
Petra Süptitz vom Marktforschungsinstitut GfK glaubt aber nicht, dass das Konzept Unverpackt grundsätzlich gescheitert ist. Nachhaltigkeit und speziell der Klimawandel seien nach wie vor ein wichtiges Thema bei den Verbrauchern, insbesondere auch das Thema Verpackungen.
Die Unverpackt-Läden könnten also noch eine Chance haben: "Ich glaube definitiv nicht, dass das Konzept aus der Zeit gefallen ist, sondern wir sehen, dass wenig Verpackung einen Nerv der Konsumenten trifft. Es trifft eigentlich ziemlich genau den Zeitgeist." Wichtig seien aber Standort, Zielgruppenansprache und Sortiment.
Auch Holzmann glaubt weiter an ihre Branche. Sie empfiehlt aber, nicht blauäugig in das Business reinzugehen, einen guten Standort zu wählen und vielleicht auch erstmal keine allzu große Ladenfläche anzumieten. Darüber hinaus sei auch viel Aufklärungsarbeit für das Konzept wichtig - zum Beispiel durch Vorträge in Schulen. Und sie betont: "Wir kochen auch nur mit Wasser und wir sind keine Öko-Oase, wo man nicht mit dem Auto hinkommen darf oder wo man komisch angeschaut wird."
Zusätzlicher Geschäftszweig
Vielleicht kann auch ein zusätzlicher Geschäftszweig helfen: Dorit Hinrichsen in Hamburg versucht, über Geschenkartikel und Kinderspielzeug mehr Kundschaft in das Geschäft zu locken und dann den einen oder anderen nebenbei auch noch für die Unverpackt-Idee zu begeistern.
Auf die nächsten Monate blickt sie dennoch mit Sorge: "Der August wird noch sehr, sehr schwierig, weil immer noch Ferien sind. Ich hoffe, dass dann das Weihnachtsgeschäft losgeht und wir da ein bisschen aufatmen und etwas positiver ins nächste Jahr blicken können. Aber ans Aufgeben mag ich einfach noch nicht denken."