Siemens Energy "Wirtschaftsweise" trotz Kritik in Aufsichtsrat berufen
Die Ökonomin und Regierungsberaterin Veronika Grimm ist trotz erheblicher Kritik von Kollegen in den Aufsichtsrat von Siemens Energy gewählt worden. Der frühere Mutterkonzern stimmte gegen die Energieexpertin.
Veronika Grimm, eine versierte Expertin auf dem Gebiet der Energiepolitik, ist gestern auf der Hauptversammlung des Energietechnikkonzerns Siemens Energy in den Aufsichtsrat berufen worden. Die Personalie hatte im Vorfeld für Kritik gesorgt. Denn Grimm ist seit 2020 auch Wirtschaftsweise, berät also als Mitglied des Sachverständigenrats die Bundesregierung in wirtschaftlichen Fragen.
Die anderen Mitglieder des Sachverständigenrats sehen in dem Aufsichtsratsmandat von Grimm einen unlösbaren Interessenkonflikt. Es kam daher zu einem Streit, der in den vergangenen Tagen öffentlich lautstark ausgetragen wurde. Die Ratsvorsitzende Monika Schnitzer und weitere Mitglieder forderten Grimm auf, entweder auf das Mandat bei Siemens Energy oder auf ihren Posten im Sachverständigenrat zu verzichten.
Kanzleramt und Experten hatten keine Bedenken
Grimm selbst erklärte daraufhin, sie habe im Vorwege im Bundeswirtschaftsministerium und im Kanzleramt prüfen lassen, ob das Aufsichtsratsmandat mit ihrer Rolle im Sachverständigenrat vereinbar sei. Dort habe es keinerlei Bedenken gegeben.
Nach der Hauptversammlung erklärte Siemens Energy, die Berufung Grimms sei von renommierten Governance-Experten überprüft worden. Diese hätten Grimms Berufung befürwortet und "kein Problem" in ihrer Doppelrolle als Aufsichtsratsmitglied und Wirtschaftsweise gesehen.
Späte Kritik an Grimms Doppelrolle
Hinzu kommt: Schon früher waren Wirtschaftsweise als Aufsichtsräte in deutschen Aktiengesellschaften aktiv gewesen, ohne dass es öffentliche Kritik daran gegeben hätte.
Bemerkenswert ist dabei auch, dass die Kritik der anderen Sachverständigen an Grimms Aufsichtsrats-Ambitionen erst jetzt aufkam. Schließlich hatte Siemens Energy die Entscheidung für die Berufung Grimms bereits im vergangenen Herbst getroffen und kurz vor Weihnachten bekanntgegeben. Sie sei eine "ausgewiesene Expertin für Energiemärkte und Energiemarktdesign", hieß es damals.
Grimm stellt sich Siemens-Energy-Aktionären vor
Zu Beginn des virtuellen Treffens der Aktionäre stellte sich Grimm gestern auch den Aktionären vor. Sie habe den bisherigen Weg von Siemens Energy aufmerksam verfolgt, betonte die Nürnberger Professorin. "Siemens Energy gehört für mich zu den weltweit spannendsten Unternehmen. Mit seinem umfassenden Portfolio spielt es eine entscheidende Rolle bei der globalen Verwirklichung der Energiewende."
Aktionärssprecher empfingen die Energiemarktexpertin freundlich. So erklärte etwa Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), sie könne sich keine kompetentere Frau als Grimm für diesen Posten wünschen.
Gegenstimme des Großaktionärs
Und doch kam es auf der Hauptversammlung bei der Wahl Grimms in den Aufsichtsrat noch zu einem kleinen Eklat: Grimm erhielt nur 76,4 Prozent der Stimmen. Insidern zufolge soll der Siemens-Energy-Großaktionär Siemens gegen Grimm gestimmt haben.
Offiziell hieß es von Siemens Energy zunächst nur, dass "ein einzelner Aktionär" gegen die Berufung gestimmt habe. Ohne dieses Votum hätte die Zustimmung bei über 99 Prozent gelegen.
"Zuvor nicht bekannte Bedenken"
Kurz darauf bestätigte der frühere Mutterkonzern Siemens, dass er mit Nein votiert habe. "Im Vorfeld des Abstimmungsverfahrens sind zuvor nicht bekannte Bedenken öffentlich gemacht geworden, die sowohl den Erfolg von Professor Grimm als Aufsichtsratsmitglied für Siemens Energy als auch als Mitglied des Expertenausschusses beeinträchtigen würden", teilte Siemens zur Begründung mit.
Sowohl die "Wirtschaftswoche" als auch das "Handelsblatt" berichten unter Berufung auf Unternehmenskreise, dass sich Siemens daran gestört habe, dass die anderen Wirtschaftsweisen von der Nominierung überrascht worden seien. Grimm hätte ihren Plan, sich als Kontrolleurin bei Siemens Energy zur Wahl zu stellen, vorab im Sachverständigenrat abstimmen müssen.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung soll die Politik in ökonomischen Fragen beraten. Die Mitglieder sind unabhängige Expertinnen und Experten. Der Bundespräsident ernennt sie nach Vorschlag der Bundesregierung für fünf Jahre - Wiederberufungen sind möglich.
Die Mitglieder erstellen regelmäßig Gutachten zur konjunkturellen Lage Deutschlands. Diese enthalten auch Prognosen und sollen wirtschaftliche Fehlentwicklungen aufzeigen. Jeweils im November veröffentlichen die Wirtschaftsweisen ein umfangreiches Jahresgutachten. Hinzu kommen Sondergutachten und Expertisen zu ausgewählten Themen.