Umstrittenes Bahnhofs-Großprojekt Wer zahlt die Extra-Milliarden für Stuttgart 21?
Stuttgarts neuer Tiefbahnhof soll Ende 2025 in Betrieb gehen. Er wird vier Mal so teuer wie ursprünglich geplant. Wer für die enormen Mehrkosten aufkommt, ist noch völlig unklar.
Das Bahnprojekt Stuttgart 21 soll mit neuem Tiefbahnhof und einem neuen digitalen Bahnknoten das Schienennetz im Südwesten spürbar verbessern. Schnellere und bessere Verbindungen sind geplant, und die Kapazität der Züge soll gesteigert werden. Doch Kritiker hatten auch dies immer vorausgesagt: Aus den anfangs geplanten zweieinhalb Milliarden Euro Kosten in den 1990er-Jahren sind inzwischen knapp zehn Milliarden Euro geworden. Eine Vervierfachung. Wer für dafür aufkommt, ist unklar.
Der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Günther Oettinger (CDU), hatte das Projekt 2009 politisch durchgeboxt, indem er der Bahn für den Bau von Stuttgart 21 knapp eine Milliarde Euro zugesagt hatte. Oettinger hat den umstrittenen Finanzierungsvertrag für Stuttgart 21 unterschrieben.
"Wir dachten, wir würden 2016 fertig"
Der Vertrag sieht Kosten in Höhe von 4,5 Milliarden Euro vor. "Das waren 2009 die Berechnungen von Fachleuten. Man hat die Kalkulationen aufgebaut auf die bekannten Tatsachen", sagt Oettinger heute, 14 Jahre später, im Gespräch mit dem ARD-Magazin Plusminus. Dass der gesamte Bau so viel teurer werden würde, hatte man nicht kommen gesehen. "Wir dachten, wir würden 2015 oder 2016 fertig werden. Jetzt sind es zehn Jahre später." Auch diese Verzögerung habe zu Kostenerhöhungen geführt.
Der Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim widerspricht. Das Milliarden-Projekt sei bewusst schöngerechnet worden, um Stuttgart 21 politisch durchzusetzen. "Nach dem Motto: Wow, wir brauchen das. Dann ist das beschlossen worden, und dann galoppieren die Kosten." Und als die Kosten dann immer weiter gestiegen seien, habe niemand den Mut gehabt, das Projekt auf den Prüfstand zu stellen.
Nur eine schwammige Klausel
Wer die Mehrkosten zahlt, darüber wird seit Mai vor dem Verwaltungsgericht in Stuttgart gestritten. Die Bahn klagt gegen ihre Partner in der Politik, allen voran das Land Baden-Württemberg. "Das ist bisher einmalig", sagt Monheim. Das Problem dahinter: Nur ein einziger schwammiger Satz im Finanzierungsvertrag von 2009, die sogenannte Sprechklausel, regelt, was passiert, wenn das Projekt teurer wird als die vereinbarten 4,53 Milliarden Euro. Dort heißt es: "Im Falle weiterer Kostensteigerungen nehmen die EIU (Eisenbahn-Infrastruktur-Unternehmen) und das Land Gespräche auf."
Da die Landesregierung unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und die weiteren Partner schon sehr früh angekündigt hatten, dass man nicht bereit sei, mehr Geld zu bezahlen, soll der Streit nun gerichtlich geklärt werden - Ausgang offen. Der Prozess, so erwarten beide Seiten, wird sich über Jahre durch alle Instanzen ziehen und könnte viele Millionen Euro kosten.
Oettinger will sich im Interview mit Plusminus nicht weiter zu diesem Streit äußern. "Das mögen Richter entscheiden", sagt er. "Und vielleicht werde ich dort als Zeuge auftreten." Bisher ist Oettinger aber laut eigener Aussage und auch laut Auskunft des Verwaltungsgerichts nicht als Zeuge vorgeladen worden.
Wird der Bahnhof funktionieren?
Die Bauarbeiten befinden sich laut Bahn im Endspurt. Doch die Kritikpunkte und Sorgen bleiben. Der Bahnhof sei viel zu klein, sagt Verkehrswissenschaftler Monheim. Er sei völlig ungeeignet für die Verkehrswende und für den geplanten Deutschlandtakt. Indirekt hat die Bahn bereits zugegeben, dass die Pläne nicht aufgehen. Sie will weitere Tunnel bauen und noch mehr Geld ausgeben.
Auch das digitale Sicherungssystem ETCS (European Train Control System) soll helfen. Es wird zurzeit im gesamten Bahnknoten verbaut. Mit ETCS, so die Bahn, soll die Kapazität um 30 Prozent gesteigert werden. Auf wenigen Fernverkehrsstrecken in Deutschland ist ETCS schon in Betrieb. Doch immer wieder würden dort Züge umgeleitet, könnten sich nicht im neuen System anmelden, berichten Lokführer gegenüber Plusminus. Interne Bahnmitteilungen, die dem SWR vorliegen, belegen dies.
Ein Lokführer sagt: "Wenn die Bahn die Probleme nicht bis zur Eröffnung von Stuttgart 21 in den Griff bekommt, dann wird es täglich vorkommen, dass Züge spontan um Stuttgart herumgeleitet werden müssen, weil sie in den neuen digitalen Knoten nicht einfahren können."
Eröffnung mehrfach verschoben
Mehrfach musste die Bahn den Eröffnungstermin verschieben. Jetzt sind immerhin 51 Kilometer Bahn-Tunnel unterhalb der Landeshauptstadt gegraben, sodass Stuttgart 21 im Dezember 2025 in Betrieb gehen könne, sagt die Bahn.
Doch schon jetzt ist klar: Teile des Projektes - wie der neue Flughafenbahnhof - sind dann noch nicht fertig und werden lange Zeit eine Baustelle bleiben. Und die Magistrale von Zürich nach Stuttgart wird für viele Jahre in einem kleinen Vorortbahnhof enden. Wer dann von dort aus in den neuen Tiefbahnhof fahren will, muss die Stadt- oder die S-Bahn nutzen.