Geplante Stammstrecke in München Das bayerische S-Bahn-Milliarden-Desaster
In München soll eine zweite S-Bahn-Stammstrecke entstehen. Von dem Bau nahm die breite Öffentlichkeit bislang wenig Kenntnis. Dabei könnte die Strecke Schätzungen zufolge teurer werden als Stuttgart 21 oder der BER.
In München droht, fast unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit, ein Milliarden-Desaster um den Bau einer zweiten S-Bahn-Stammstrecke unter der Innenstadt. 8,5 Milliarden Euro soll der Tunnel kosten. Andere Schätzungen, auch von CSU-Landtagsabgeordneten, gehen inzwischen von bis zu 14 Milliarden Euro aus.
Damit würde dieser Tunnel teurer als Stuttgart 21 werden. Der neue, unterirdische Bahnhof in der baden-württembergischen Landeshauptstadt wird inzwischen auf knapp zehn Milliarden Euro geschätzt, der schlagzeilenträchtige Flughafen Berlin-Brandenburg kostet wohl rund sieben Milliarden.
Die Münchner S-Bahn-Stammstrecke könnte damit beide Großbauten kostenmäßig in den Schatten stellen. Dass dieses Projekt seit langem bundesweit unter dem Radar läuft, hängt wohl damit zusammen, dass hier keine ICEs fahren und keine Interkontinentalflieger landen werden.
Kostenexplosion und Bauzeitverlängerung
Noch Ende des vergangenen Jahrzehnts ging man von Baukosten in Höhe von 3,8 Milliarden Euro aus und einer Fertigstellung bis 2028. Nun wird der Steuerzahler mindestens fünf Milliarden Euro tiefer in die Tasche greifen müssen und der erste Zug wird wohl nicht vor 2037 fahren.
Umplanungen, allgemeine Kostensteigerungen und eine zu tief angesetzte Kostenschätzung zu Beginn sollen für das Desaster verantwortlich sein. Ob das wirklich so ist und warum die gestiegenen Kosten jahrelang der Öffentlichkeit verheimlicht wurden, das soll ein Untersuchungsausschuss im Bayerischen Landtag klären.
Aussage erhöht Druck auf Staatskanzlei und Bahn
In diesem Ausschuss wirft die frühere bayerische Verkehrsministerin Kerstin Schreyer, CSU, der Bahn Blockade vor. Die Staatskanzlei, mit Ministerpräsident Markus Söder an der Spitze, wiederum hat laut Schreyer zwar einen Runden Tisch zugesichert, der kam aber lange nicht zustande.
Als sie ihr Ministeramt im Februar 2020 angetreten habe, sei schnell klar gewesen, dass es nicht rund laufe mit der zweiten Stammstrecke, sagt Schreyer als Zeugin im Untersuchungsausschuss. Was ihr zufolge vor allem fehlte: belastbare Zahlen der Deutschen Bahn zu den gestiegenen Kosten und dem verzögerten Zeitplan.
Bayerns Ex-Verkehrsministerin Kerstin Schreyer musste als Zeugin im Untersuchungsausschuss zur zweiten Münchner S-Bahn-Stammstrecke aussagen.
Im Herbst 2020 seien dann auf Arbeitsebene sogar Informationen geflossen. Der Inhalt: eine Verzögerung des Projekts von 2028 auf 2033 und eine Kostensteigerung von 3,8 auf fünf Milliarden Euro. Kurz darauf habe sie sich am Rande eines gemeinsamen Termins in Nürnberg mit dem damaligen Bahn-Vorstandsmitglied Ronald Pofalla unterhalten. Dieser habe die Zahlen für "gegenstandslos" erklärt.
Spitzengespräch gesucht
Schreyer suchte nach weiteren Gesprächspartnern, unter anderem nach ihrem Parteifreund und damaligen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer. Diesen will sie angeschrieben und angerufen haben. Scheuer allerdings hatte vor dem Ausschuss ausgesagt, sich an ein Telefonat mit ihr nicht zu erinnern und ein entsprechendes Schreiben nicht erhalten zu haben.
Prompt haben die Grünen im Landtag Strafanzeige gegen Scheuer gestellt, wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage. Nächste Woche sollen der aktuelle Verkehrsminister Christian Bernreiter, der frühere Ministerpräsident Horst Seehofer und der aktuelle, Markus Söder, vor dem Untersuchungsausschuss aussagen.
Bauprojekt mit vielen Gegnern
Dabei ist der Bau der bis zu 40 Meter tiefen zweiten Stammstrecke seit Jahrzehnten umstritten: Läuft der Tunnel doch parallel zur bereits bestehenden Stammstrecke und einer U-Bahn-Linie. Einen S-Bahn-Ring dagegen gibt es in München nicht. Wer von Westen kommt und nach Norden will, muss mit der S-Bahn durch die Innenstadt. Daran wird sich auch mit der neuen Stammstrecke nichts ändern.