Prestigeprojekt in München Teuer, teurer, Tunnelbau
Stuttgart 21 oder der Berliner Flughafen BER - Großprojekte werden schnell mal teurer und dauern länger. Diese Erfahrung macht man jetzt auch in Bayern mit einem Bahnprojekt. Wie konnte das passieren?
Das Münchner S-Bahn-System platzt aus allen Nähten: Täglich sind 800.000 Menschen in und um München mit der S-Bahn unterwegs - statt der ursprünglich vorgesehenen 200.000 Fahrgäste. Das Netz ist auch in die Jahre gekommen: Verspätungen und Störungen sind an der Tagesordnung.
Eine zweite Stammstrecke unter der Münchner Innenstadt soll da Abhilfe schaffen. So wurde das eigentlich schon vor mehr als 20 Jahren entschieden, gebaut wird aber erst seit 2017. Damals gingen Auftraggeber, der Freistaat Bayern, und der Bauherr, die Deutsche Bahn, von Kosten in Höhe von 3,84 Milliarden Euro aus, einschließlich eines Risikopuffers in Höhe von 660 Millionen.
Sieben Kilometer langer Tunnel
Die knapp vier Milliarden Euro sollte zu 60 Prozent der Bund übernehmen. Der errechnete Nutzen-Kosten-Faktor lag über eins, das Vorhaben war damit förderfähig. Einen großen Teil sollte der Freistaat zahlen, einen eher symbolischen, in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro, die Stadt München und die Bahn selbst. Das sollte reichen, um den gut sieben Kilometer langen Tunnel zu bauen. Alles schien im Plan, Lastwagen fuhren über Flüsterasphalt zur Baustelle, vor Abfahrt wurden die Reifen abgesprüht, um das Münchner Stadtbild nicht zu verschandeln und möglichst wenig Staub aufzuwirbeln.
Allerdings wurden die ursprünglichen Planungen des Baus ständig geändert: Aus Sicherheitsgründen wurde zwischen die zwei neuen Tunnelröhren eine Dritte geplant, eine Rettungsröhre, damit die Fahrgäste in durchschnittlich vierzig Metern Tiefe sich auch sicher fühlen. Die Stadt München wünschte sich einen Umbau am Hauptbahnhof, um eine bisher nur projektierte, neue U-Bahn-Linie in die geplante zweite Stammstrecke integrieren zu können. Die Kosten dafür, geschätzt eine halbe Milliarde Euro, sollte die Stadt tragen.
Auch am Ostbahnhof und am Marienplatz wurde umgeplant. Damit kamen die Planer den demonstrierenden Anwohnern entgegen. Dennoch, hieß es, alles bleibe im Kostenrahmen, lediglich die Fertigstellung verzögere sich um zwei Jahre - auf 2028.
Bayerns Ministerpräsident Söder (rechts) und Bahnchef Lutz bei der Pressekonferenz zur zweiten S-Bahn-Stammstrecke in München.
Es wird teurer und dauert länger
Doch dabei ist es nicht geblieben. Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter überraschte die Öffentlichkeit Mitte des Jahres, dass die Stammstrecke wohl doch mehr als sieben Milliarden Euro kosten und erst acht Jahre später als vorgesehen fertig wird. Konkreter wollte er nicht werden: Belastbare Zahlen lägen ihm von der Bahn nicht vor. Allerdings musste sein Haus einräumen, schon seit zwei Jahren von möglichen Kostensteigerungen in erheblicher Höhe gewusst zu haben.
Die Bahn bestätigte inzwischen die Summe. Bahnchef Richard Lutz nannte als Gründe für den Anstieg der Baukosten, die drastisch gestiegene Bau- und Materialkosten, Projekterweiterungen und einen deutlich erhöhten Risikopuffer.
Die Opposition hat da ein paar Fragen
Trotz der massiven Kostensteigerung hält die bayerische Staatsregierung an dem Prestigeprojekt fest. "Wir stehen zur zweiten Stammstrecke", sagte Ministerpräsident Markus Söder. Sie sei von zentraler Bedeutung für die Zukunft Bayerns. Mit Blick auf die Kostenteilung Bund und Freistaat sagte Söder, es sei nun klar, dass der Bund weiterhin 60 Prozent der Kosten trage, "auch für die Mehrkosten". Verkehrsminister Bernreiter bezifferte den Kostenanteil für Bayern "von Stand jetzt" mit 3,7 Milliarden Euro.
Das Ganze ist längst hochpolitisch. Die CSU-geführte Staatsregierung muss sich viele Fragen gefallen lassen. Etwa, ob es einen Zusammenhang zwischen der von CSU-Chef Söder angestrebten Kanzlerkandidatur und der langen Funkstille in Sachen Kostenexplosion beim bayerischen Prestigeprojekt gegeben hat. Die Opposition im bayerische Landtag will auch wissen, wer, wann, was, wusste und nicht damit herausrücken wollte. Mit den bisherigen Antworten sind Grüne, AfD, SPD und FDP nicht zufrieden, sie drohen mit einem Untersuchungsausschuss. Der hätte zwar nur wenig Zeit, bis zur Landtagswahl im Herbst 2023 müsste er seine Arbeit abgeschlossen haben. Allerdings könnte er für unangenehme Schlagzeilen im Wahlkampf sorgen - zumindest für die CSU und ihren Koalitionspartner, die Freien Wähler.
Stuttgart 21, BER, München?
Bayern droht in Sachen Stammstrecke künftig in einem Atemzug mit Großprojekten wie Stuttgart 21 und dem Berliner Flughafen BER genannt zu werden. Tatsächlich spielt die Münchner zweite Stammstrecke in der gleichen Liga: Stuttgart 21 soll am Ende knapp zehn Milliarden Euro kosten, der Berliner Flughafen schlug mit sieben Milliarden zu Buche, da könnte der Freistaat mit der zweiten Stammstrecke mithalten.
Ernsthaft infrage stellt das Projekt aber kaum jemand: Laut Verkehrsminister Bernreiter würde ein Baustopp rund drei Milliarden Euro kosten, ohne einer Lösung für den überlasteten öffentlichen Münchner Nahverkehr näher zu kommen. Das erinnert doch stark an die Argumentation bei Stuttgart 21.