Nahrungsmittelkonzern kriselt Nestlé-Chef Mark Schneider wird ausgewechselt
Der Aktienkurs im Sinkflug, die Umsatzprognose wankt, die Inflation zwingt Verbraucher zu sparen: Beim Nahrungsmittelkonzern Nestlé soll ein überraschender Chefwechsel neuen Schwung bringen.
Der Nahrungsmittelkonzern Nestlé erhält überraschend einen neuen Konzernchef. Nach rund acht Jahren an der Spitze des Schweizer Unternehmens tritt Mark Schneider zurück und verlässt den Konzern, teilte Nestle mit. Zum 1. September übernehme Laurent Freixe die Führung des Konzerns, zu dessen Markenportfolio Nespresso, Maggi, KitKat oder Perrier gehören.
Schneider leitete den größten Nahrungsmittelkonzern der Welt seit Anfang 2017. Er war damals vom deutschen Gesundheitskonzern Fresenius gekommen. Seine Ernennung war eine Überraschung, denn Nestlé hatte zuvor erst einmal einen externen Kandidaten zum Konzernchef gemacht. Schneider baute Nestlé mit einer Reihe von Verkäufen und Zukäufen um und setzte dabei vor allem auf wachstumsstärkere Bereiche und gesündere Lebensmittel.
Freixe, der Konsumentenversteher
Freixe, der gegenwärtig das Lateinamerikageschäft leite, solle 2025 auch in den Nestle-Verwaltungsrat gewählt werden, teilte der Konzern mit. "Er hat bewiesen, dass er in der Lage ist, unter schwierigen Marktbedingungen Ergebnisse zu liefern", erklärte Verwaltungsratspräsident Paul Bulcke. Freixe verfügt über jahrzehntelange Erfahrung in der Nahrungsmittelbranche. Er stieß 1986 zu Nestlé und war die vergangenen 16 Jahre Teil der Konzernleitung. Dabei verantwortete er unter anderem auch das Europa-Geschäft.
Bulcke lobte Freixe als "begabte Führungspersönlichkeit mit strategischem Scharfsinn, weitreichender Erfahrung und Expertise in unseren Märkten sowie einem tiefgehenden Verständnis für Märkte und Konsumenten. Laurent ist genau die Führungskraft, die Nestlé jetzt braucht."
Mittlerweile äußerte sich Freixe bereits zu seinen Ideen - sein Fokus liegt auf Wachstum und Marktanteilen: "Ich möchte sicherstellen, dass wir das organische Wachstum in Zukunft beschleunigen", erklärte der Franzose heute auf einer Telefonkonferenz für Investoren. "Das bedeutet, dass wir in unsere Marken investieren, das bedeutet, dass wir in unsere Wachstumsplattformen investieren, und der Schwerpunkt wird darauf liegen, das aktuelle Portfolio vor allem durch organisches Wachstum voranzutreiben."
Neuer Nestlé-Chef Laurent Freixe
Ungewöhnlicher Kursverfall
Nestlé hat derzeit mit schwindendem Anlegervertrauen zu kämpfen, die Aktie steht seit Monaten unter Druck. Vom Höchststand von über 127 Franken hat sie inzwischen auf unter 90 Franken nachgegeben. Aktien von Konsumgüterherstellern oder Nahrungsmittelkonzernen gelten unter Investoren als wenig schwankungsanfällig, sodass sie in Aktiendepots stabilisierend wirken sollen. Die Neue Zürcher Zeitung weist darauf hin, dass das Unternehmen großes Gewicht im Schweizer Aktienindex SMI habe, und damit Bestandteil vieler Schweizer Pensionskassenvermögen sei.
Während Nestlé die Corona-Krise gut überstand, machte dem Konzern die Inflation zunehmend zu schaffen. Wie andere Konsumgüterhersteller erhöhte das Management die Preise, um Mehrkosten für Rohstoffe an die Verbraucher weiterzureichen. Nach fast drei Jahren mit Preiserhöhungen, die die Lebenshaltungskosten weltweit nach oben treiben, ging Nestlé aber vom Gas, weil Verbraucher zunehmend zu günstigen Produkten griffen.
Die Verbraucher seien preisempfindlicher geworden, zudem herrsche zwischen den Einzelhändlern ein immer intensiverer Wettbewerb, hatte Schneider bei der Veröffentlichung der Halbjahreszahlen erklärt. Nestlé hatte zudem Ende Juli den Ausblick gesenkt und erwartet für das Gesamtjahr 2024 nun noch ein organisches Umsatzwachstum von mindestens drei (zuvor vier) Prozent.
Rascher Chefwechsel wirft Fragen auf
Der erhoffte Rückenwind stellt sich heute zumindest noch nicht ein. Die Aktie fällt an der Schweizer Börse weiter zurück. Auch Experten sind sich darüber uneinig, wie der plötzliche Schritt zu bewerten ist. Die Fachleute der US-Investmentbank JPMorgan geben sich skeptisch. Ein solch unerwarteter und rascher Chefwechsel werfe Fragen auf hinsichtlich des laufenden Geschäfts und die kommenden Jahre.
Von den Analysten der UBS heißt es, in Anbetracht dessen, dass sowohl die operative Entwicklung als auch die Kursentwicklung des Konzerns in den letzten zweieinhalb Jahren enttäuscht hätten, sei die Entscheidung keine große Überraschung.
Vontobel-Experte Jean-Philippe Bertschy erwartet keine radikalen Änderungen. Er rechnet eher mit einer gewissen Kontinuität bei gleichzeitiger Re-Fokussierung auf die Marken und die Konsumenten. Auf jeden Fall brauche Nestle nun Stabilität, um das Vertrauen der Investoren wiederzuerlangen, so Bertschy.