Stärkstes Plus seit fast drei Jahren Deutsche Industrie wieder mit mehr Aufträgen
Die deutsche Industrie hat im Mai deutlich mehr Aufträge erhalten als erwartet: 6,4 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Steigende Zinsen und Materialknappheit bereiten den Unternehmen dennoch Sorgen.
Die deutsche Industrie hat im Mai das größte Auftragsplus seit fast drei Jahren verzeichnet, wie das Statistische Bundesamt bekanntgab. Die Bestellungen legten um 6,4 Prozent im Vergleich zum Vormonat zu, was den kräftigsten Zuwachs seit Juni 2020 darstellt.
Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten zwar mit einem Anstieg gerechnet, allerdings nur von 1,2 Prozent. Im April war das Neugeschäft lediglich um 0,2 Prozent gewachsen, im März aber um 10,9 Prozent eingebrochen.
Positive Entwicklung im Inland und Ausland
"Insgesamt stabilisieren sich die zuletzt stark schwankenden Auftragseingänge", betonte das Bundeswirtschaftsministerium. Jedoch verdeutlicht der weniger schwankende Dreimonatsvergleich die weiterhin herausfordernde Lage: Von März bis Mai fielen die Aufträge um 6,1 Prozent niedriger aus als in den drei Monaten zuvor.
Die Bestellungen aus dem Inland stiegen im Mai um 6,2 Prozent zum Vormonat, während die Auslandsnachfrage um 6,4 Prozent zulegte. Einen besonders positiven Einfluss hatten die Fahrzeugbranche mit einem Plus von 8,6 Prozent sowie der sonstige Fahrzeugbau mit einem Plus von 137,1 Prozent. Zu letzterem zählen der Bau von Schiffen, Schienenfahrzeugen, Luft- und Raumfahrzeugen sowie von Militärfahrzeugen.
Jedes dritte Industrieunternehmen beklagt Materialknappheit
Die exportabhängige Industrie hat mit den weltweiten Zinsanstiegen zu kämpfen, mit denen Notenbanken die Inflation in den Griff bekommen wollen. Das verteuert Kredite für deutsche Exportschlager wie Fahrzeuge und Maschinen, was wiederum auf die Nachfrage drückt. Zudem klagt knapp jedes dritte deutsche Industrieunternehmen über Materialknappheit.
Im Juni berichteten 31,9 Prozent über Engpässe bei Vorprodukten und Rohstoffen, nach 35,3 Prozent im Mai, wie das Münchner ifo-Institut mitteilte. "Die Entspannung kann dem Stimmungsabschwung in der Industrie leider kaum etwas entgegensetzen", sagte der Leiter der ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe. "Aufträge können zwar schneller abgearbeitet werden, dennoch kommen im Moment zu wenige neu herein."
Ökonomen sehen keine Trendwende
Trotz des starken Anstiegs der Aufträge geben Ökonomen keine Entwarnung. "Auf den ersten Blick sieht das Plus bei den Aufträgen im Mai super aus", sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. "Aber es geht zur Hälfte darauf zurück, dass sich die immer stark schwankenden Großaufträge erholten."
"Das deutliche Plus ist einmal mehr vor allem der volatilen Komponente 'sonstiger Fahrzeugbau' zu verdanken", erklärte der VP Bank-Chefökonom Thomas Gitzel. "Unter Herausrechnung dieser Komponente fiele die Bilanz weit weniger erfreulich aus." Die Auftragseingänge liegen gegenüber dem Mai 2022 um 4,3 Prozent im Minus. "Die deutsche Wirtschaft wird wohl im Gesamtjahr 2023 einen BIP-Rückgang verbuchen", so Gitzel.
Der Trend beim Neugeschäft weise nach unten, zudem hätten die Unternehmen die während der Corona-Krise liegengebliebenen Aufträge zu einem guten Teil abgearbeitet. Daher "spricht vieles dafür, dass die deutsche Wirtschaft im zweiten Halbjahr erneut schrumpfen wird". Ähnlich sieht das der Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank AG, Alexander Krüger. "Das schwache weltwirtschaftliche Umfeld wird kaum neuen Auftragswind entfachen", sagte er. "Der Produktionsausblick für das zweite Halbjahr bleibt getrübt."