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Zukunftstechnologie KI Die riskante Dominanz der US-Tech-Konzerne

Stand: 13.05.2024 06:32 Uhr

Künstliche Intelligenz wird Wirtschaft und Alltag immer mehr bestimmen. Dominiert wird die Entwicklung von den großen US-Technologie-Konzernen. Ist das Rennen für Europas Tech-Branche verloren?

Eine Analyse von Thomas Spinnler, ARD-Finanzredaktion

Das Thema künstliche Intelligenz (KI) wird weitgehend von US-Unternehmen dominiert. An der Spitze stehen altbekannte Tech-Konzerne wie Microsoft und Alphabet, die als Vorreiter im Bereich von KI-Anwendungen und Entwicklungen den Markt beherrschen. Aber auch Apple, Amazon und Meta spielen eine wesentliche Rolle.

Experten prognostizieren in den kommenden Jahren ein rasantes Wachstum im Bereich KI. Deshalb ist es nicht überraschend, dass sich die Unternehmen beim Wettlauf um die besten Positionen auf diesem attraktiven Geschäftsfeld gegenseitig übertreffen wollen. Vor allem Entwickler wollen vom Trend profitieren und die Richtung bestimmen, während andere für die Anwendungen bezahlen werden.   

Die Marktanalysten von Grand View Research rechnen ausgehend von einem aktuellen Marktvolumen von knapp 200 Milliarden Dollar bei einer jährlichen Wachstumsrate von mehr als 36 Prozent mit einem Marktvolumen von über 1.800 Milliarden Dollar im Jahr 2030. Wer jetzt investiert, kann bald die Ernte einfahren, lautet die Wette.    

Wettlauf um den Markt der Zukunft

Dass im Sektor KI ungeheure Renditechancen auf die marktbeherrschenden Unternehmen warten, haben die Investoren längst erkannt. Ein Blick auf die Kursentwicklungen der Aktien, die sich im Börsenwert der Tech-Konzerne manifestieren, zeigt die Dominanz der US-Tech-Unternehmen.  

Mit einem Börsenwert von knapp 3,1 Billionen Dollar ist Microsoft das wertvollste Unternehmen der Welt. Apple hat eine Marktkapitalisierung von rund 2,8 Billionen, der Google-Mutterkonzern Alphabet ist an der Börse 2,1 Billionen Dollar wert. Der Chiphersteller Nvidia erreicht als wichtigster Ausrüster der Tech-Konzerne nach einer Kursrally einen Börsenwert von 2,3 Billionen Dollar. Das deutsche Technologieunternehmen SAP erreicht eine Marktkapitalisierung von etwas mehr als 210 Milliarden Euro.

Vorsprung durch spektakuläre Gewinne

Die Investoren wetten also auf eine erfolgreiche KI-Zukunft und treiben die Aktienkurse weniger Unternehmen immer weiter an. Einige Marktbeobachter sprechen bereits von einer neuen Technologieblase, die an die Dotcom-Blase der früher 2000er Jahre erinnere. Nicht nur die Experten der US-Investmentbank Goldman Sachs sehen das anders. Sie weisen auf den wichtigen Unterschied hin, dass die heutigen Marktführer sehr profitabel seien. Deshalb würden sie selbst in einem aktuellen Umfeld höherer Zinsen große Investitionen tätigen können.

Auch Alexander Pirparmer, Geschäftsführer Portfoliomanagement bei BlackPoint Asset Management, sieht in der Profitabilität die entscheidende Differenz. Denn letztlich verfügen alle Big Techs über funktionierende Geschäftsmodelle, die genügend Geld für Milliardeninvestitionen abwerfen. Sie sind wahre Gewinnmaschinen: Die Google-Mutter Alphabet erwirtschaftete im Jahr 2023 einen Nettogewinn von fast 74 Milliarden Dollar, Microsoft kommt auf mehr als 72 Milliarden Dollar. Metas Jahresgewinn lag im vergangenen Jahr bei knapp 40 Milliarden Dollar.

Nach Berechnungen des Handelsblatt haben Deutschlands gesamte DAX-40-Konzerne im vergangenen Jahr insgesamt 102,3 Milliarden Euro verdient. Damit kommen Deutschlands größte Unternehmen zusammen nicht einmal auf die Summe, die Alphabet und Microsoft erzielen. Das zeigt, mit welcher finanziellen Macht die US-Unternehmen die Entwicklung vorantreiben können.

Wer kann diese Milliarden stemmen?

Auch bei den Investitionen zeigt sich ein dramatisches Ungleichgewicht. Schließlich erlauben es die Milliardengewinne den Big-Tech-Konzernen, den technologischen Vorsprung auszubauen und die KI-Konkurrenz abzuhängen. Notfalls kann technologisches Wissen und Können durch Übernahme kleinerer Unternehmen oder Investition in deren Geschäft eingekauft werden. So hatte Meta-Chef Mark Zuckerberg jüngst mitgeteilt, er beabsichtige, in diesem Jahr 45 Milliarden Dollar in den Ausbau der KI-Fähigkeiten zu investieren. Zuckerberg will den technologischen Rückstand auf Rivalen wie Microsoft oder Alphabet verringern.  

Welches Unternehmen außerhalb der Big-Tech-Konzerne aus den USA kann bei solchen Summen mithalten? Ein Vergleich mit den Investitionen der gesamten 40 DAX-Unternehmen zeigt: Deren Ausgaben für Forschung und Entwicklung beliefen sich 2023 nach Berechnungen der Unternehmensberatung EY auf 68 Milliarden Euro. Danach hat Deutschlands größter Technologiekonzern SAP den höchsten Anteil von Forschungs- und Entwicklungskosten am Gesamtumsatz gehabt. SAP habe 20 Prozent seines Umsatzes in Höhe von rund 31 Milliarden Euro dafür ausgegeben.   

Die Risiken der Marktdominanz

Diese US-Dominanz birgt Risiken. Zum einen manifestiert sich allein durch das Kursplus und den gestiegenen Börsenwert ein massives Ungleichgewicht am Markt, das Folgen hat. Insbesondere die bedeutenden US-Tech-Konzerne sind für einen Großteil der Gewinne vieler Aktienindizes verantwortlich: "Die sogenannten Glorreichen Sieben werden seit Monaten gefeiert, weil sie die Börsen von einem Hoch zum nächsten trieben", schreibt Mathias Beil, Leiter Private Banking bei der Sutor Bank. Hinter dem Marketing-Begriff verbergen sich die US-Konzerne Alphabet, Amazon, Apple, Meta, Microsoft, Nvidia und Tesla.

Denn wenn man sich die Gewichtung der Big Techs in wichtigen Börsenindizes ansieht, zeigt sich, dass sie allein durch ihren hohen Börsenwert einen erheblichen Anteil am Erfolg oder Misserfolg des Index haben. Beispielsweise stehen die größten fünf Unternehmen für fast ein Fünftel der Gewichtung im gesamten MSCI World-Index, der insgesamt fast 1.500 Aktien enthält. Sollten also diese Technologiewerte einmal an der Börse abstürzen, würde das den gesamten Index sinken lassen. Ähnlich sieht es auch beim S&P 500 und an der Nasdaq aus.  

Schlüsseltechnologie in US-Hand

Das Übergewicht der US-Technologieriesen ist aber auch aus anderen Gründen einen kritischen Blick wert. Holger Hoos, Professor für Methodik der Künstlichen Intelligenz an der RWTH Aachen, hält es für problematisch, dass einige wenige US-Unternehmen Schlüsseltechnologien kontrollieren.

"Das Problem besteht darin, dass Wirtschaft und Gesellschaft in eine kritische Abhängigkeit von diesen Unternehmen geraten. Im Bereich KI ist das besonders heikel, weil diese Technologien in allen Bereichen unserer Wirtschaft eine Schlüsselrolle spielen werden und damit unsere globale Konkurrenzfähigkeit direkt davon abhängen wird", stellt Hoos gegenüber tagesschau.de fest.  

Wenn wir heute von den KI-Technologien weniger US-Unternehmen abhängig würden, so würden wir es morgen oder übermorgen in allen Segmenten unserer Wirtschaft sein, meint der KI-Experte. Als Beispiele nennt Hoos die Automobilindustrie, die Fertigungstechnik und die Medizintechnik. 

Kurskorrektur erforderlich

Zum anderen sind KI-Technologien laut Hoos nicht wertneutral. "Insbesondere generative KI-Systeme spiegeln sehr deutlich die Werte derjenigen wider, die sie entwickeln. Gerade in Bereichen wie Gesundheit, Erziehung und öffentliche Verwaltung unterscheiden sich US-amerikanische Werte recht deutlich von unseren in Deutschland und Europa."

Deshalb fordert der Fachmann eine Kurskorrektur bezüglich der deutschen und europäischen KI-Strategie und plädiert unter anderem für die Einrichtung einer neuen europäischen Forschungseinrichtung für KI, um die Grundlagenforschung zu stärken.

Die Grundlagenforschung von heute bestimme die Anwendungen von morgen, und wer in der Grundlagenforschung hinten dran sei, werde es auch in den Anwendungen im Wesentlichen sein und bleiben, erklärt Hoos: "Je länger wir warten, desto größer wird der Vorsprung, den es aufzuholen gilt - und desto teurer wird es."