Rede in Davos Merkel fordert EU-Pakt für Wettbewerbsfähigkeit
Nur ein wettbewerbsfähiges Europa garantiert nach Ansicht von Bundeskanzlerin Merkel den Wohlstand in Europa. Daher seien weitere wirtschaftliche Reformen nötig. Zuvor hatte der britische Premier Cameron seine EU-Kritik erneuert und sich klar gegen eine politische Union ausgesprochen.
Weitere wirtschaftliche Reformen, mehr Wettbewerbsfähigkeit: Beim Weltwirtschaftsforum in Davos haben europäische Regierungschefs ihre Vorstellungen von Europa skizziert. Auch die Grundsatzrede des britischen Premiers David Cameron hallte noch nach.
Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte weitere wirtschaftliche Reformen in Europa. "Die Wettbewerbsfähigkeit ist das zentrale Thema für die Zukunft", sagte sie vor dem Forum. Nur so könne der Wohlstand gehalten und noch weiter entwickelt werden. Es dürfe dabei nicht so weit kommen, dass etwa die Lohnstückkosten in der EU sich auf einem Mittelmaß einpendelten. Auch die Mobilität der Arbeitskräfte müsse erhöht werden, Stichwort: gemeinsamer Arbeitsmarkt.
Merkel nimmt Nationalstaaten in die Pflicht
Zugleich verteidigte sie die deutschen Exportüberschüsse. "Im Augenblick ist unser deutsches Wachstum fast ausschließlich binnengetrieben. Wir haben alles getan, um den Binnenkonsum zu erhöhen." Überschüsse in den Leistungsbilanzen seien zum Teil Ausdruck einer guten Wettbewerbsfähigkeit, sagte Merkel. "Und die dürfen wir auf gar keinen Fall aufs Spiel setzen."
Ein Pakt für Wettbewerbsfähigkeit sei nötig, so Merkel weiter. Die EU müsse 2013 daran arbeiten, "dass wir in den nächsten Jahren auch eine Kohärenz in der Wettbewerbsfähigkeit im Bereich der gemeinsamen Währung bekommen."
Merkel verwies darauf, dass die EU mit dem dauerhaften Rettungsschirm ESM ein Instrument geschaffen habe, das die Solidarität stärke. Zudem gebe es mit dem Fiskalvertrag ein Instrument zur Sicherung der finanziellen Solidität. Was jetzt noch fehle, sei ein Pakt für Wettbewerbsfähigkeit. Hierfür müssten die Nationalstaaten Verträge mit der EU-Kommission schließen, in denen sie sich verpflichten, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. "Die nationalen Parlamente müssten solche Verträge legitimieren." Nur so könne es einen Überblick geben, welches Land an der Verbesserung seiner Wettbewerbsfähigkeit arbeite. Während diese Abkommen für die Euro-Staaten verpflichtend sein sollen, könnten sich auch Nicht-Euro-Länder anschließen. Der EU-Gipfel soll diese Reformen auf dem Juni-Gipfel beschließen.
Cameron erneuert Europa-Kritik
Merkel reagierte damit auch auf Forderungen des britischen Premierministers. Cameron hatte in Davos seine EU-kritische Position wiederholt. Seiner Meinung nach verliert Europa seinen Status als Vorreiter bei Erfindergeist und Wirtschaftskompetenz. "Ganz Europa ist heute überholt in Sachen Innovation und Wettbewerbsfähigkeit", sagte Cameron.
Zugleich rechtfertigte er seinen Vorstoß für ein Referendum über einen möglichen EU-Austritt seines Landes. Es gehe nicht darum, Europa den Rücken zu kehren. "Es ist genau das Gegenteil", betonte der britische Regierungschef. Es gehe darum, "Argumente für ein wettbewerbsfähigeres, offeneres und flexibleres Europa" zu liefern und "den Platz Großbritanniens darin zu sichern".
Absage an politische Union
Er bekräftigte seine Ablehnung einer weitgehend politisch integrierten Europäischen Union. "Wenn wir sagen, Europa müsse eine politische Union werden, also mehr als ein einziges Land Europa, dann kann ich dem nicht zustimmen." Er denke, dass die Länder Europas ihre Souveränität, die Fähigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen, nicht aufgeben wollten. "Wenn man diese Länder in eine zentralisierte Europäische Union hineinquetschen will, dann wäre das ein großer Fehler. Großbritannien möchte dann nicht dazugehören."
Der Eurozone werde Großbritannien daher wohl auch niemals beitreten. Die Zustimmung zu bestimmten Schritten der Europäischen Union habe in seinem Land abgenommen, sagte Cameron. Es gelte, sich um eine neue Zustimmung zur EU in der Bevölkerung zu bemühen. Er plädierte für eine Stärkung der globalen Wettbewerbsfähigkeit Europas. Dafür müssten unter anderem die Staatsschulden verringert und die Unternehmenssteuern gesenkt werden.
Mit seinen Forderungen und Vorstellungen stieß Cameron auch in Davos auf Widerstand. Am deutlichsten wurde der italienische Ministerpräsident Mario Monti. "Wollen Sie, dass Großbritannien weiter Mitglied der EU ist oder nicht?" Ein Austritt bedeute dann eben auch den Verzicht auf die Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt. Er warnte die britische Regierung vor einer Erpressung der EU-Partner.
Sein niederländischer Kollege Mark Rutte teilte zwar das britische Anliegen, dass die EU wieder wettbewerbsfähiger werden und dass auch über eine Rückverlagerung von Kompetenzen gesprochen werden müsse. "Ich würde (aber) nicht zustimmen, wenn jemand für sich neue 'Opt-Outs' verlangen sollte. Das ist nicht gut", sagte er zu Forderungen Camerons, dass Großbritannien sich teilweise aus der europäischen Innen- und Justizpolitik zurückziehen wolle. Es sei sehr wichtig, dass die EU der 27 Länder zusammenbleibe.
Cameron hatte am Vortag in einer Grundsatzrede tiefgreifende Reformen und einen neuen EU-Vertrag verlangt. Außerdem kündigte er für den Fall seiner Wiederwahl 2015 an, dass er die Briten bis 2017 in einem Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU abstimmen lassen wolle.