Konjunkturaussichten "Wachstum ist kein Schicksal"
Die deutsche Wirtschaft schwächelt, Experten rechnen mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung in diesem Jahr. Für 2024 sind sie optimistischer - fordern aber Maßnahmen der Regierung.
In der deutschen Wirtschaft herrscht Flaute. Und die aktuellen Daten deuten es an: Ein belebendes Lüftchen ist nicht zu erwarten. Die Industrieproduktion ist im Juli um knapp zwei Prozent gegenüber Juli 2022 gesunken. Und auch die neuen Bestellungen an das Verarbeitende Gewerbe sind um zwölf Prozent gefallen. "Die Auftragsbücher sind leer, die Vorratslager sind voll, und das war noch nie ein gutes Zeichen für die Industrieproduktion in den kommenden Monaten", sagt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt bei der ING-Bank.
Entsprechend negativ fallen die Prognosen für die deutsche Wirtschaft aus. So rechnet das ifo-Institut mit einem Rückgang der deutschen Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent in diesem Jahr. Die Fachleute vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erwartet ebenfalls ein Minus von 0,4 Prozent. Noch pessimistischer ist das RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, das mit einer um 0,6 Prozent schrumpfenden Wirtschaft rechnet.
Es fehlen die Abnehmer
Auch andere Wirtschaftsinstitute wie das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) sehen 2023 eine konjunkturelle Abkühlung in Deutschland. In den kommenden beiden Jahren gehen die Experten allerdings wieder von einem Wachstum aus. 2024 soll es dem IWH zufolge um 0,9 Prozent aufwärts gehen, laut DIW sogar um 1,2 Prozent.
Doch woher soll das Wachstum kommen? Das deutsche Wirtschaftsmodell wackelt. "Wir haben 20 Jahre ein exportorientiertes Geschäftsmodell gehabt", sagt Brzeski. "Wir haben immer den Vorteil gehabt, dass es irgendwo auf der Welt immer wieder ein Land gab, dass einen Aufholprozess durchgemacht hat und deshalb hohe Nachfrage nach Investitionsgütern hatte."
Ein solches Wachstumsland gibt es momentan nicht. China ist sehr viel schwächer durch die Krise gekommen als gedacht und hat sich langsamer wieder erholt als erwartet. Andere Länder arbeiten konsequent daran, ihre Wirtschaft zu stärken. Die USA sorgt mit ihrem "Inflation Reduction Act" für einen Investitionsboom in die Energiewende. Steuersenkungen sollen zudem ausländische Unternehmen anlocken.
Planungssicherheit würde helfen
Die deutsche Wirtschaft hört diesen Ruf wohl und könnte ihm auch in Teilen erliegen, befürchten Experten. Es sei also Zeit, sich um die heimische Wirtschaft zu kümmern, sagt ING-Analyst Brzeski. "Wir haben in den letzten zehn, 15 Jahren zu wenig investiert in Infrastruktur, Bildung", beklagt er. Es liege weder an der Pandemie, noch am Krieg in der Ukraine, dass die deutsche Wirtschaft stagniere, "sondern das ist auch selbstgemacht, hausgemacht".
Einen "Deutschland-Pakt", wie ihn Bundeskanzler Olaf Scholz vorgeschlagen hat, hält der Ökonom durchaus für sinnvoll, doch müsse dieser für die kommenden Jahre geschmiedet werdet. Es reiche nicht aus, die Wirtschaft mit Subventionen durch den Winter zu bekommen. Eine der wichtigsten Subventionen, so hört man immer wieder, sei Planungssicherheit.
Auch dem DIW-Chef Marcel Fratzscher zufolge könnte ein kluges Transformationsprogramm sowohl Angebot als auch Nachfrage stärken - etwa indem die Politik Bürokratie und Regulierung abbaue, in Infrastruktur, Bildung und Forschung investiere und auf sozialen Ausgleich achte. Warnungen vor einem Abstieg Deutschlands ungeachtet der aktuellen Konjunkturschwäche hält er dagegen für übertrieben. "Nein, Deutschland ist nicht der kranke Mann Europas", so Fratzscher heute bei der Vorstellung der neuen Prognosen. "Er könnte es werden, wenn jetzt wichtige Reformen nicht gemacht werden."
Wachstumsaussichten ohne Stärkung der Standortfaktoren mau
Der Konjunkturchef des IfW, Stefan Kooths, verweist ebenfalls auf nötige Maßnahmen der Bundesregierung: "Wachstum ist kein Schicksal. Es gilt jetzt, wirtschaftspolitisch diejenigen Standortfaktoren zu stärken, die man selbst in der Hand hat - Stichwort Bildung, Infrastruktur, Bürokratie, Abgabenquote - und so auch für ausländische Fachkräfte attraktiver zu werden."
Ansonsten seien die Wachstumsaussichten für Deutschland mau. Die Produktionsmöglichkeiten der heimischen Wirtschaft könnten in den nächsten Jahren spürbar sinken und im Mittel dann nur noch Steigerungsraten von jährlich 0,4 Prozent zulassen, wie das IfW mitteilte. Das wäre weniger als ein Drittel des langjährigen Durchschnitts von 1,3 Prozent. Eine alternde Gesellschaft und damit der Verlust von Arbeitskräften hemmten ebenso wie die Folgen der Corona-Pandemie und der Energiekrise.
Generell sei die Stimmung derzeit aber deutlich schlechter als die Realität, betont DIW-Chef Fratzscher. Daher müssten Politik und Unternehmen müssten aufpassen, "dass sich wirtschaftliche Sorgen und Ängste nicht weiter hochschaukeln und zu einer wirtschaftlichen Abwärtsspirale führen".
Mit Informationen von Stefan Wolff, ARD-Finanzredaktion.