Ein Mann und ein Mädchen steht im Supermarkt vor einem Kühlregal.

Lebenshaltungskosten Fallende Inflation heißt nicht fallende Preise

Stand: 30.09.2024 14:17 Uhr

Auch wenn sich die Inflationsrate wieder unter der Zwei-Prozent-Marke bewegt - die Teuerung bleibt ein Problem für viele Menschen. Vor allem Familien haben mit dem erreichten Preisniveau zu kämpfen.

Jens Diezinger hat keine gute Laune. Der 46-Jährige ist auf dem Weg zum Wocheneinkauf für die ganze Familie. Mit seiner Frau Carolin hat er fünf Kinder. "Ich habe zuvor immer die Prospekte von Supermärkten und Discountern nach Angeboten studiert. Das Leben wird immer teurer", erzählt der Erzieher aus Stadecken-Elsheim. tagesschau.de hatte vor drei Jahren bereits über die Familie und ihre Probleme mit der damals steil steigenden Teuerung berichtet. Wie sieht es jetzt bei ihnen aus?  

Selbst beim Discounter Hackfleisch ab fünf Euro

Die Lohnerhöhungen seien durch die Teuerung der vergangenen Jahre alle "aufgefressen" worden. "Derzeit kostet die günstigste Butter 2,09 Euro. Aber auch Obst und Gemüse sind inzwischen auf einem ganz anderen Preisniveau als vor ein paar Jahren", klagt Jens Diezinger. Seine Frau Carolin ist ebenfalls Erzieherin und schließt gerade eine Zusatzqualifikation in diesem Bereich ab.

Einkäufe für die Familie seien der Job ihres Mannes, so Carolin Diezinger. "Wenn ich mal unterwegs bin, trifft mich fast der Schlag. Selbst beim Discounter kostet das Hackfleisch fünf Euro aufwärts. Auf dem Wochenmarkt kaufen wir fast nichts mehr. Dort liegen die Preise noch höher." Gute Haltungsbedingungen und Tierwohl seien dem Ehepaar wichtig. "Aber die beste Haltungsform ist für uns praktisch nicht mehr zu bezahlen", erzählt Carolin Diezinger.

Aber es geht nicht nur um Lebensmittel, sondern um die Güter des täglichen Bedarfs. "Heute kosten drei Boxershorts so viel wie früher zehn", so Jens Diezinger. Kleidung sei auch ein wichtiger Ausgabeposten bei fünf Kindern. Die Familie wohnt in einer Wohnung mit 84 Quadratmetern. Das sei schon ziemlich eng, so das Ehepaar. "Im Nachbarort gab es neulich eine schöne Fünf-Zimmer-Wohnung für 2.500 Euro kalt. Mit den warmen Betriebskosten wäre das Gehalt meines Mannes praktisch weg. Also müssen wir hier bleiben", rechnet Carolin Diezinger vor. Die älteste Tochter sei inzwischen ausgezogen, das schaffe zumindest etwas Platz.

Teuerung bestimmt Alltag vieler Menschen

"Die persönlichen Erlebnisse der Familie Diezinger stimmen. Das sieht man beim Blick auf die Entwicklung des Verbraucherpreisindex", sagt Gunther Schnabl. Er ist Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Leipzig und dem Flossbach von Storch Research Institute. "Die Preise liegen heute auf einem deutlich höheren Niveau als noch vor der Corona-Zeit", stellt der Forscher fest. Zurückgehende Inflationsraten wie zuletzt bedeuteten kein zurückgehendes Preisniveau. "Dann hätten wir einen Preisverfall für die meisten Produkte, und das würde die Europäische Zentralbank - kurz EZB - auf jeden Fall verhindern wollen, um eine Wirtschaftskrise zu vermeiden", erklärt Schnabl.

Die eigentliche Ursache der Teuerung, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler, sei die expansive Geldpolitik der EZB im Zuge der Euro-Krise vom Jahr 2010 an und in der Corona-Krise gewesen. So wollte die Zentralbank die Märkte stabilisieren. Die enormen Geldmengen suchten sich ihren Weg - nach Immobilien und Aktien seien nun die Güter des täglichen Bedarfs dran, so Schnabl.

Und auch die zunehmende Bürokratie habe ihren Preis. "Die Unternehmen haben hohe Ausgaben für Arbeitskräfte, die sich um den wachsenden Verwaltungsaufwand kümmern müssen. Auch der öffentliche Dienst wurde stark ausgebaut. Diese Arbeitskräfte fehlen jetzt auf dem Arbeitsmarkt, und die Löhne steigen wegen des Mangels an Fachkräften. Das treibt die Inflation weiter", erklärt Schnabl.

Wo könnte der Staat die Menschen entlasten?

Um der Teuerung zu begegnen, gibt es ganz unterschiedliche Lösungsvorschläge. Der Bund der Steuerzahler kritisiert grundsätzlich die hohe Abgaben- und Steuerlast in Deutschland. Nach einer Studie gehen im Durchschnitt von jedem verdienten Euro 52,6 Cent an den Staat - nur 47,4 Cent bleiben zur freien Verfügung. Auch die gesetzliche Krankenversicherung und die Pflegeversicherung sind teurer als im Vorjahr. Der Umsatzsteuersatz auf Erdgas und Fernwärme liegt seit April wieder bei 19 statt bei sieben Prozent. Und auch die Umlagen auf Strom sind insgesamt etwas höher als 2023.

"Um die Menschen kurzfristig zu entlasten, sollten die Umsatzsteuersätze für Wärme und Strom im privaten Bereich auf den ermäßigten Satz von sieben Prozent gesenkt werden, weil es sich um lebensnotwendige Güter handelt", fordert BdSt-Präsident Reiner Holznagel. "Darüber hinaus müsste die im EU-Vergleich hohe Stromsteuer in Deutschland reduziert werden."  

Auch der deutsche Familienverband kommt zu einem ernüchternden Ergebnis gerade für Eltern und Kinder. "Familien sind bis in die mittleren Einkommen stark durch die Inflation belastet", sagt Bundesgeschäftsführer Sebastian Heimann. "Die Bundesregierung hat angekündigt, das Kindergeld ab 2025 um fünf Euro - also um zwei Prozent - zu erhöhen. Bereits 2024 gab es für Familien eine Nullrunde. Damit wird die Kindergelderhöhung von 250 auf 255 Euro komplett von der Inflation verschlungen."   

Neue Inflationssorgen

Auf die Frage, was sie sich konkret als Lösung vorstellen, hat das Ehepaar Diezinger eine ähnliche Meinung. "Wir brauchen eine ganz neue Bundesregierung und eine große Steuerreform. Vor allem die Mittelschicht muss entlastet werden. Spitzenverdiener sollten mehr zahlen", sagt Carolin Diezinger. "Zudem könnte die Mehrwertsteuer wieder auf 16 Prozent gesenkt werden. Alle Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs sollten auf sieben Prozent der Abgabe gedrückt werden - oder noch niedriger", so ihr Ehemann Jens. Von den bisherigen Entlastungen der Bundesregierung gegen die Inflation haben die Diezingers gar nichts gemerkt.  

Wirtschaftswissenschaftler Schnabl kann den Diezingers wenig Hoffnung für die Zukunft machen. "Wir stehen weltweit vor einer Ära der Geldentwertung." Die gesellschaftlichen Folgen machen Schnabl dabei Sorgen: "Um Geringverdiener kümmert sich der Sozialstaat. Spitzenverdiener können aus Deutschland wegziehen. Die Mittelschicht aber ist die große Leidtragende. Das ist gefährlich. Das sieht man derzeit auch an der politischen Entwicklung - in ganz Europa."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 30. September 2024 um 17:33 Uhr.