Interview

Interview zum EU-Gipfel "Der Euro wird nicht scheitern"

Stand: 24.03.2011 08:32 Uhr

Den Euro dauerhaft gegen Krisen zu schützen, ist das Ziel des EU-Gipfels. Die Währungsunion könnte infolge der Beschlüsse bald zur Transferunion werden, sagt Währungsexperte Neumann. Im Interview mit tagesschau.de fordert er, die privaten Gläubiger an der Lösung zu beteiligen.

tagesschau.de: Der EU-Gipfel will das Paket zur Stabilisierung der Euro-Zone beschließen, einschließlich des künftigen Rettungsfonds ESM. Wird damit die Transferunion Wirklichkeit?

Neumann: Die Transferunion wird dann Wirklichkeit, wenn man damit rechnen muss, dass über die Jahre immer mehr Geld für den Fonds bereitgestellt werden muss und die Geberländer immer weniger zurückgezahlt erhalten. Es ist ja vorgesehen, regelmäßig zu überprüfen, ob eine solche Erweiterung  des ESM notwendig ist.

Zur Person

Manfred Neumann leitete viele Jahre das Institut für Internationale Wirtschaftspolitik der Universität Bonn. Der emeritierte Professor gehört bis heute dem Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums an und gilt als einer der führendern Geld- und Währungsexperten.

"Transferunion nur bei Rückzahlungsproblemen"

tagesschau.de: Was ist der Unterschied zwischen den aktuellen Rettungspaketen für Griechenland und Irland und einer Transferunion?

Manfred Neumann: Die Transferunion bedeutet, dass man das Geld nicht wiederbekommt, das man mal verliehen hat.  Wenn man davon ausgehen könnte, dass Griechenland oder Irland oder Portugal das Geld, das sie leihen, immer zurückzahlen können, dann gibt es keine Transferunion. Es ist natürlich vorstellbar, dass man nur Garantien gibt, die dann nie in Anspruch genommen werden. Bislang mussten die Geberländer noch nicht für Griechenland oder Irland einspringen. Aber Garantien müssen in Anspruch genommen werden, wenn ein Staat nicht in der Lage ist, die Zahlungen zu leisten. Das ist dann ein Transfer. Das bedeutet vor allem, dass man in der Zukunft noch größere Kredite geben muss. Es ist ja nicht damit getan, zu sagen "Vergessen wir das", wenn ein Land etwas nicht zurückzahlen kann. Sondern dann braucht das Land anschließend weiteren Kredit. Und so werden Finanzmittel von den potenteren Ländern in die weniger potenten transferiert.

tagesschau.de: Wie lässt sich kurzfristig verhindern, dass allein Geberländer wie Deutschland die Haushaltsprobleme anderer Euro-Staaten auffangen?

Neumann: Es gibt einen Vorschlag von Bundesbankpräsident Axel Weber, den ich für sehr gut halte: Wenn man sagen würde: Jedes Land, das einen Kredit haben möchte, muss zuerst erklären, dass es aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten sämtliche Anleihen, die im Markt umlaufen, um drei Jahre verlängert und damit die Rückzahlung um drei Jahre hinausschiebt. Das würde bedeuten, dass die privaten Anleger automatisch beteiligt werden an der Lösung des Problems - sobald das Land sich an den europäischen Fonds wendet.

Europäischer Stabilisierungsmechanismus (ESM)

Der Europäische Stabilisierungsmechanismus (ESM) soll im Juni 2013 den bisherigen Euro-Rettungsschirm ersetzen. Er wird den Plänen zufolge über eine Kapitalbasis von 700 Milliarden Euro verfügen. Die Euro-Staaten zahlen 80 Milliarden Euro als Grundkapital ein. Die restlichen 620 Milliarden Euro stehen als Garantien oder abrufbares Kapital bereit. Deutschland übernimmt 27,1 Prozent der Summen und muss damit 21,7 Milliarden Euro überweisen und im Notfall weitere 168,3 Milliarden Euro abdecken. Als Gegenleistung für ESM-Hilfen müssen sich überschuldete Länder zu Sparprogrammen verpflichten. Über die Vergabe der Mittel entscheidet ein Gouverneursrat, in dem die Regierungen der Euro-Staaten stimmberechtigt sind.

"Die Länder brauchen einen Kapitalschnitt"

tagesschau.de: Welche Konsequenzen hat eine Einbindung privater Gläubiger?

Neumann: Langfristig würden die privaten Gläubiger oder potenziellen Investoren in die Staatsschuld vorsichtiger werden. Das würde bedeuten, dass es für die gefährdeten Staaten langfristig teurer wird, sich zu verschulden. Zugleich brauchen wir für diese Länder - zum Beispiel Griechenland - einen Kapitalschnitt. Man kann nicht erwarten, dass sie in der Lage sein werden, ihre heutige Staatsverschuldung in Zukunft voll zurückzuzahlen. Würde man sie jetzt um 20 Prozent oder 30 Prozent befreien, dann bedeutete das eine große Erleichterung. Diese Länder müssten weniger Zinsausgaben zahlen, sie müssten weniger tilgen und hätten mehr Kapital zur Verfügung, um wieder einen Aufschwung zustande zu bringen.

tageschau.de: Mit welchen Kosten muss Deutschland durch die Rettungsmechanismen rechnen?

Neumann: Kurzfristig haben wir rund 200 Milliarden Euro aufzuwenden. Das Geld ist aber nicht verloren. Verloren geht davon nur das, was die Länder nicht zurückzahlen können. Bei Griechenland muss man heute leider schon annehmen, dass es nicht in der Lage sein wird, für den derzeit laufenden vorläufigen Rettungsfonds im Jahre 2013 die Rückzahlung zu leisten. Griechenland wird das auch zwei Jahre später nicht können, sondern braucht einen Schuldenschnitt. Dieses Geld wäre verloren und verteilt sich dann nach den Anteilen an dem Fonds auf die Länder. Deutschland wird von allen Verlusten immer 27,1 Prozent tragen müssen.

tagesschau.de: Über die Hilfen des ESM entscheidet die Bundesregierung über den künftigen Gouverneursrat mit. Wie kann der Bundestag darüber mitbestimmen, dem ja die Entscheidung über die deutschen Haushaltsmittel zusteht?

Neumann: Das ist eine sehr gute Frage. Der Bundestag und auch der Bundesrat sind ein bisschen außen vor, wenn das so laufen sollte. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass der Gouverneursrat dann immer in allen Länderparlamenten nachfragen muss. Aber das ist ungeklärt.

"Pleite wäre billiger als weiter Kredite zu geben"

tageschau.de: Wie teuer wäre es für Deutschland, ein Euro-Land pleitegehen zu lassen?

Neumann: Wie teuer das für Deutschland wäre, hinge davon ab, ob dadurch deutsche Banken ins Trudeln kämen, weil sie zu viele Staatsschulden von diesem Land erworben hätten. Wenn deutsche Banken griechische Staatsschuld haben, und wir würden Griechenland kein Geld mehr geben, dann müsste man sehen, wie hoch die Verluste für die Banken sind. Aber das wäre überschaubar und sicherlich billiger, als einfach bedenkenlos weiter Kredite zu geben.

tagesschau.de: Wäre ein Scheitern des Euro wesentlich teurer?

Neumann: Der Euro wird als Gesamtwährung nicht scheitern. Es gibt auf jeden Fall eine Ländergruppe unter den 17 Euro-Ländern, die zusammen immer ohne Probleme die gemeinsame Währung haben könnten. Wenn Sie es ganz einfach sehen wollen, sind es auf jeden Fall die sechs Länder, die das AAA-Rating im internationalen Kapitalmarkt haben. Es gibt aber einige Länder, die herausfallen könnten. Das sind die ganz schwachen Länder, die international eher ein schlechtes Rating haben. Dadurch wäre der Euro nicht bedroht. Es könnte sein, dass das eine oder andere Land für einige Zeit, vielleicht für zehn Jahre, aus dem Euro austreten würde. Das wäre kein Negativum für den Euro und für das Land selber ökonomisch gesehen wahrscheinlich sogar gut.

Das Interview führte David Rose, tagesschau.de.