Neuer IG-Metall-Vorstand Mit Klassenkampfparolen ist nicht zu rechnen
Beim Gewerkschaftstag der IG Metall konnten die politisch Linken rein zahlenmäßig ihren Einfluss stärken. Doch mit dem neuen Vorstand will die Gewerkschaft ihren pragmatischen Kurs der vergangenen Jahrzehnte fortsetzen.
Als vor zwanzig Jahren ein Massenstreik für Arbeitszeitverkürzung in Ostdeutschland scheiterte, kamen die Gewerkschaftsfunktionäre auf breiter Basis zu der Erkenntnis: Streiks jenseits klarer Lohnforderungen sind teuer, oft wirkungslos und dann frustrierend.
Die Erkenntnis fiel in eine Zeit des Umbruchs der Industrie. Immer höhere Qualifikationen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erforderten eine andere Ansprache. Immer mehr Unternehmen stellten nicht mehr Massengüter her, sondern besondere Produkte für kleine Kundengruppen. Das verlangte nach immer differenzierteren Tarifverträgen mit Öffnungsmöglichkeiten für besonders solvente und auch für besonders schwache Unternehmen.
Politisches Aufbäumen unter Kanzler Schröder
Der Schwenk zu einer pragmatischeren Gewerkschaftspolitik erfasste zwar auch den starken linken Flügel der IG Metall. Politische Überzeugungen wurden aber nicht aufgegeben. Es war eine im Gewerkschaftsmilieu hoch politisierte Zeit. Weite Teile der Gewerkschaften waren enttäuscht von der wirtschaftsfreundlichen Politik des sozialdemokratischen Kanzlers Gerhard Schröder und seines Arbeitsministers Walter Riester, der zuvor Zweiter Vorsitzender der IG Metall gewesen war.
In dieser Situation passierte dem damaligen IG-Metall-Chef Klaus Zwickel "das Unschönste, was einem Gewerkschafter passieren kann", wie es damals ein Funktionär aus der zweiten Reihe umschrieb: Als Aufsichtsrat der mitbestimmten Mannesmann AG hatte Zwickel Millionenzahlungen an Industriemanager zu verantworten. Als auch noch der Streik in Ostdeutschland scheiterte, trat er zurück. Auf offener Bühne kämpften der Linke Jürgen Peters und der Pragmatiker Berthold Huber um die Nachfolge. Schließlich wurde Burgfrieden verabredet: Peters wurde Vorsitzender, Huber sein Vertreter. Nach vier Jahren rückte Huber auf.
Während Peters Amtszeit betrieb Kanzler Schöder sein Programm "Agenda 2010". Es sollte die Massenarbeitslosigkeit bekämpfen, wurde im Bürgertum begrüßt und links vielfach als neoliberal verurteilt. Der leitende IG-Metall-Angestellte ("Bevollmächtigte") Klaus Ernst gründete eine westdeutsche Wählerinitiative, die mit der ostdeutschen PDS zur Partei "Die Linke" fusionierte.
Mühsamer Weg zum Pragmatismus
Nicht nur gilt die Kaderpolitik und der Kampf zwischen Peters und Huber in der IG Metall heute als abschreckendes Beispiel. Auch der Versuch, durch eine Parteigründung politischen Einfluss zu gewinnen, wird heute in der Zentrale in Frankfurt am Main als Irrweg für eine Gewerkschaft eingestuft. Damit sei die SPD nachhaltig geschädigt worden, was nicht im Sinne von Gewerkschaftern sein könne.
Politische Lehren, Wandlungen der Arbeitswelt und der Industrie führten die IG Metall zu ihrer insgesamt pragmatischen Politik. Es war ein mühsamer Weg. Noch vor fünf Jahren sagte ein Betriebsratschef im Funktionärsblatt "Direkt", das "Gesicht der IG Metall ist oft zu einseitig und von roten Fahnen und Trillerpfeifen geprägt. Das spricht viele Gruppen, etwa Akademiker oder Junge, nicht an".
Überalterte Gewerkschaft
Doch der Wandel ist deutlich. Wo früher die Mühsal von Lohnarbeit im Kapitalismus beklagt wurde, veröffentlicht die Zeitung "Metall" immer mehr Portraits stolzer Facharbeiter und Artikel zur Berufskunde. Arbeitgeber loben vernünftige Gespräche mit hochqualifizierten Gewerkschaftern. "Die Folklore stört uns doch nicht", sagt ein erfahrener Arbeitgeberfunktionär zu Demonstrationen vor Tarifverhandlungen.
Versuche, Angestellte für die Gewerkschaft zu werben, gibt es seit 35 Jahren. Erst in jüngster Zeit mit einigem Erfolg. Die Gewerkschaft ist überaltert; viele verrentete Mitglieder sterben. Mit hohem Aufwand konnte der Mitgliederstand bisher bei 2,2 Millionen stabilisiert werden. Allein vergangenes Jahr wurden 117.000 neue Mitglieder geworben, davon 32.000 Angestellte. Die IG Metall ist nach wie vor größte Gewerkschaft der Welt.
Parteipräferenzen heute
Die neue Vorsitzende Christiane Benner und ihr Vertreter Jürgen Kerner sind SPD-Mitglieder. Das neue Vorstandsmitglied Ralf Reinstädler kandidierte für die Linkspartei zum Bundestag. Altvorstand Hans-Jürgen Urban hat zwar nie eine Parteimitgliedschaft genannt. Der Soziologie-Professor war aber von jeher Vertreter der Gewerkschaftslinken. Im Vorstand sind Urban und Reinstädtler für Randgebiete wie Bildung, Sozialpolitik und Interna zuständig.
Von dem neuen Vorstandsmitglied Nadine Boguslawski ist keine Parteimitgliedschaft bekannt. Boguslawski ist nicht nur Schatzmeisterin des Milliardenvermögens ("Hauptkassiererin"), sondern auch für Tarifpolitik und damit die Kernaufgabe der Gewerkschaft zuständig. Die gelernte Elektronikerin mit Industrieerfahrung war Chefin der wichtigen Gewerkschaftsfiliale Stuttgart. Mit 45 Jahren ist sie deutlich jünger als der übrige Vorstand. Ihre Funktionärsausbildung hat Boguslawski erst nach den Umbrüchen vor zwei Jahrzehnten durchlaufen.