Neue IG-Metall-Vorsitzende Aufbruch und Umbruch
Christiane Benner ist die erste Frau an der Spitze der IG Metall. Vor der neuen Chefin liegen viele Herausforderungen - etwa der klimaneutrale Umbau der Industrie und die Suche nach neuen Mitgliedern.
Christiane Benner ist die neue Chefin der größten Einzelgewerkschaft der Welt. Beim Gewerkschaftstag der IG Metall in Frankfurt sprachen sich heute mehr als 96 Prozent der Delegierten für die 55-Jährige aus. Erstmals in der 132-jährigen Geschichte führt damit eine Frau die Metallgewerkschaft.
Der Weg Benners an die Spitze ist für eine Industriegewerkschaft unüblich: Soziologiestudium, Bachelor-Abschluss in den USA und Diplom an der Frankfurter Goethe-Universität. 1997 stieg sie hauptamtlich bei der IG Metall ein und dann schnell auf. Zuletzt war sie acht Jahre lang zweite Vorsitzende.
"Beschäftigte beim Wandel mitnehmen"
Ob für sie als erste Frau in dieser Position die hohen Erwartungen ein Ansporn seien, eine Last oder ob sie diese Frage mittlerweile sogar nerve, beantwortet Christiane Benner mit einem Kopfschütteln und einem Lachen: "Nein, das trifft alles nicht zu. Ich freue mich auf die anstehenden Aufgaben und möchte loslegen."
Vor der IG Metall und ihrer neuen Chefin liegen viele Aufgaben. Benner gibt sich selbstbewusst und kampfbereit. "Wir wollen alles dafür tun, dass wir die Industrie klimaneutral umbauen. Die Beschäftigten müssen in diesem Wandel mitgenommen werden", sagt die Vorsitzende. "Ob das gemeinschaftlich geht, hängt auch von den Arbeitgebern ab. Leider gibt es auch manche mit Strategien, die nicht nach vorne gehen. Da gibt es sicherlich auch Auseinandersetzungen."
Unterstützung für den Brückenstrompreis
Auch die Metallindustrie leidet unter den im internationalen Vergleich sehr hohen Strompreisen in Deutschland. Christiane Benner ist deshalb für einen Brückenstrompreis. "Lieber über eine Brücke gehen als in eine Sackgasse. Wir denken nicht nur an große energieintensive Unternehmen, sondern auch an kleine Betriebe wie Gießereien oder Schmieden", so Benner.
"Wir wollen eine Überbrückung, bis es durch grüne Energie wettbewerbsfähige Strompreise gibt. Das Kanzleramt sagt, bis 2030 haben wir einen Strompreis von unter 10 Cent pro Kilowattstunde. Bis dahin brauchen wir den Brückenstrompreis. Ansonsten wandern ganze Industriezweige ab." Aus Benners Sicht brauchen die Betriebe gerade jetzt Planungssicherheit - eine klare Forderung an die Adresse der Bundesregierung. Die Gewerkschafts-Chefin warnt langfristig vor einer Deindustrialisierung.
Forderung nach 32-Stunden-Woche
Um die Schlagkraft der IG Metall in der Fläche zu steigern, will Christiane Benner die Gewerkschaft auch verstärkt in kleinen und mittleren Betrieben verankern. "Das ist ein wunder Punkt", räumt die neue IG-Metall-Vorsitzende ein. "Wir wollen dort die Gründung von Betriebsräten und die Tarifbindung auf jeden Fall stärken."
Um die IG Metall für neue Mitglieder interessanter zu machen, hat die Chefin auch schon einen Plan. "Mit der Forderung nach der 32-Stunden-Woche mit Entgeltausgleich werden wir in die nächste Tarifrunde gehen. Das wird auch die Industriearbeit gerade bei jungen Menschen und Frauen, die noch in Teilzeit arbeiten, attraktiver machen."
Kleine Betriebe fühlen sich übergangen
Tief in der Eifel, direkt am Nürburgring, hat die Köllemann GmbH ihren Sitz - ein kleiner Betrieb mit 80 Mitarbeitern. Es ist ein sogenannter "Hidden Champion", der in die ganze Welt exportiert. Köllemann fertigt hochspezialisierte Maschinen zur Herstellung von Kunststoff- und Aluminiumprodukten. Auch hier schaut Geschäftsführer Guido Fiedler auf den Gewerkschaftstag und die neue Vorsitzende - dabei gibt es in der Firma gar keine IG-Metall-Vertreter.
"Wir unterliegen den Gesetzen des Marktes. Die Kollegen sehen, was die IG Metall vereinbart, und verlangen das dann auch bei uns für sich", erklärt Fiedler. "Es gibt seit Jahren eine betriebliche Vereinbarung, dass wir als Unternehmen die tariflichen Festlegungen übernehmen. Wir sind am Ende also mit dabei."
Fiedler arbeitet seit 1980 bei Köllemann. Damals fing er als Azubi an. "Mein Eindruck ist, dass sich die IG Metall nie so richtig um uns Kleine gekümmert hat. Vielleicht ändert sich etwas mit Frau Benner und es gibt einen neuen Führungsstil in der männerdominierten IG Metall." In der strukturschwachen Region seien Gewerkschaften auch bei anderen kleineren Firmen bislang praktisch kein Thema.
"Wir brauchen qualifizierte Leute aus dem Ausland"
Damit Gewerkschaften auch für ihn Gesprächspartner werden, hat der Geschäftsführer konkrete Wünsche. Die IG Metall solle sich für mehr Flexibilität und weniger Bürokratie einsetzen. "Seit einem Dreivierteljahr versuchen wir, einen Ingenieur aus der Türkei zu holen. Hier stehen schon eine Wohnung und ein Pkw für ihn bereit. Mit der Arbeitsagentur, der IHK und der deutschen Botschaft geht es hin- und her", klagt Fiedler.
"Wir brauchen qualifizierte Leute aus dem Ausland, und das schnell. Sie sichern auch unser Fortkommen hierzulande", fordert der Unternehmer. Hier seien auch die Gewerkschaften in der Pflicht, endlich zu handeln. Die 4-Tage-Woche sieht Fiedler nicht als Standortvorteil.
Auch in Sachen Energiekosten sieht Fiedler keine Langfristkonzepte für Unternehmen und Beschäftigte. "Ein Brückenstrompreis wäre für viele Betriebe wichtig. Aber das ist nur Augenwischerei. Irgendjemand muss am Ende bezahlen. Wir haben ein Strukturproblem, und echte Lösungsansätze sehe ich weder bei den Arbeitgebervertretungen noch bei den Gewerkschaften." Bis auf Weiteres sieht Guido Fiedler also keinen Grund, sich der IG Metall anzuschließen.
Mehr Kooperation statt Konfrontation
Auch Hagen Lesch beobachtet den Gewerkschaftstag der IG Metall genau. Er leitet den Bereich Arbeitswelt und Tarifpolitik beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln. "Die IG Metall ist stark in Großbetrieben - speziell in der Automobilindustrie. Aber sie hat Probleme in kleinen und mittleren Unternehmen, die Metallerzeugnisse herstellen." Das zeige sich auch in der Tarifpolitik. "Die IG Metall hat die Großen im Blick. Das sieht man auch in den Abschlüssen, die oft kompliziert sind. Das schreckt kleine und mittlere Betriebe ab, überhaupt in die Tarifbindung zu gehen."
Der Mittelstand verfüge in der Regel nicht über Rechtsabteilungen, die die komplexen Vereinbarungen dann auch umsetzen zu können, betont Lesch. "Verträge müssten verschlankt, vereinfacht und als Module angeboten werden. Nur so kommt man an die Kleinen ran", rät er. Als Negativ-Beispiel für zu viel Bürokratie nennt der Experte den sogenannten T-Zug von 2018, dem tariflichen Zusatzgelt, bei dem Arbeitnehmer zwischen Entgelt und Freizeit entscheiden können. Das überfordere kleine Betriebe.
IG Metall sucht neue Mitglieder
Dabei ist die IG Metall dringend auf neue Mitglieder angewiesen. Sie ist zwar weiter die größte Einzelgewerkschaft der Welt - mit rund 2,15 Millionen Mitgliedern. Allerdings verliert sie seit Jahren ebenso wie die übrigen Gewerkschaften Mitglieder. Christiane Benner will diesen Trend umkehren. Wie realistisch ist das?
"Viele ältere Mitglieder gehen bald in den Ruhestand. Jüngere haben grundsätzlich eher wenig Neigung, in eine Gewerkschaft zu gehen", so Lesch. Auch die IG Metall stecke im demographischen Wandel. "Was ist mit Zuwanderern? Wie können Frauen besser geworben und gefördert werden?", fragt er deshalb.
Mehr Kooperation mit den Firmen?
Für Lesch ist die Vier-Tage-Woche gesamtwirtschaftlich kein erfolgversprechender Weg. "Das hört sich für die Beschäftigten erstmal gut an. Aber wir haben einen Arbeitskräftemangel. Und dann soll alles nochmal verdichtet werden und die Produktivität so gesteigert werden, dass wir die gleiche Arbeit in weniger Stunden schaffen?"
Angesichts der großen Herausforderungen für die Industrie sieht Lesch eine verstärkte Kooperation zwischen Gewerkschaften und Unternehmen als Gebot der Stunde. "Für die Beschäftigten ist Arbeitsplatzsicherheit das Wichtigste. Sie wollen ihre gut bezahlten Jobs auch behalten. Der Umbau sollte deshalb gemeinsam gestaltet werden. Das wäre aus meiner Sicht auch für die IG Metall wünschenswert."