Work-Life-Balance Wo die Vier-Tage-Woche schon funktioniert
Die Debatte über die Vier-Tage-Woche nimmt Fahrt auf. Die Gewerkschaften sind dafür, viele Arbeitgeber dagegen. Manche Betriebe probieren das Modell schon aus und machen gute Erfahrungen.
Die Vier-Tage-Woche: Bei Natursteine Glöckner im saarländischen Neunkirchen ist sie schon Arbeitsalltag. Vier der 25 Angestellten arbeiten nur von Montag bis Donnerstag. Auch Dirk Hammerschmidt bleibt seit einiger Zeit am Freitag zu Hause, arbeitet dafür an den anderen Tagen länger. Seitdem gehe es ihm einfach besser, sagt der 55-jährige Steinmetz: "Ich habe weniger Stress, mehr Erholung, und am Freitag kann ich Sachen erledigen, zu denen ich vorher nicht gekommen bin."
Seine Chefin Katja Hobler war anfangs skeptisch, als die ersten Mitarbeiter mit dem Wunsch nach der Vier-Tage-Woche zu ihr kamen: "Ich dachte nicht, dass wir das organisiert bekommen. Aber wir haben es dann einfach mal ausprobiert, und es funktioniert wirklich gut." Sie habe die Erfahrung gemacht, dass sich das Konzept auch für sie als Arbeitgeberin lohne: "Die Angestellten sind motivierter und bleiben länger im Unternehmen."
Work-Life-Balance wird wichtiger
Der Steinmetz Hammerschmidt ist keine Ausnahme: Für viele Beschäftigte hat die Work-Life-Balance, also der Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit, in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Das hat auch der Volker Hielscher vom Saarbrücker Institut für Sozialforschung beobachtet. "Befragungen zeigen, dass viele Vollzeit-Beschäftigte insgesamt etwas weniger arbeiten wollen", sagt der Soziologie-Professor.
Mittlerweile genieße "Zeitwohlstand" eine ähnlich hohe Präferenz wie die Gehaltsvorstellung. Das erkläre auch, warum die Forderungen nach einer Vier-Tage-Woche immer lauter werden.
Britische Studie zeigt positive Effekte
Rückenwind bekommt die Diskussion durch eine neue Studie aus Großbritannien. Dort haben 61 Unternehmen die Vier-Tage-Woche ein halbes Jahr lang getestet, oft bei vollem Lohnausgleich. Die Ergebnisse waren eindeutig: Die Beschäftigten waren weniger gestresst, zufriedener und gesünder. Die Fehltage gingen um 63 Prozent zurück. Die Produktivität konnte sogar leicht gesteigert werden, weil die Angestellten in der kürzeren Zeit effizienter arbeiteten. 56 der Unternehmen wollen die Vier-Tage-Woche daher einfach beibehalten.
Arbeitgeber sehen viele Probleme
Viele Arbeitgeber hierzulande sind dennoch skeptisch. Für Martin Schlechter von der Vereinigung der Saarländischen Unternehmensverbände hat die Studie nur eine begrenzte Aussagekraft. So hätten an dem Projekt vor allem Unternehmen mit Bürojobs teilgenommen. In der Industrie ließe sich die Produktivität nicht so ohne weiteres steigern: "Die Arbeiter müssten die gleiche Arbeit schaffen wie gerade - und das in 20 Prozent weniger Zeit. Ich glaube nicht, dass das funktionieren kann."
Über flexiblere Arbeitszeiten und eine Umverteilung der Wochenarbeitszeit könne man reden, wenn es aber um eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich ginge, sei das nichts anderes als eine großflächige Arbeitszeitverkürzung. Und die habe ihren Preis: "Am Ende müssen wir uns als Volkswirtschaft überlegen, ob die investierte Arbeitszeit dann noch reicht, um unseren jetzigen Wohlstand zu erwirtschaften. Und da bin ich sehr skeptisch."
Gewerkschaften planen eher langfristig
Die Gewerkschaften sehen das etwas anders. Zuletzt hatte die IG Metall NRW angekündigt, mit der Forderung nach einer Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich in die nächste Tarifrunde zu ziehen. Für Lars Desgranges, Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Völklingen, könnte die Vier-Tage-Woche in der Stahlindustrie ein "Game Changer" sein. Mit ihr ließen sich die Jobs in der Branche attraktiver machen. Das sei in Zeiten des Fachkräftemangels ein gewichtiges Argument.
Allerdings sei die Arbeitszeitverkürzung für die Gewerkschaften eher ein langfristiges Ziel. Der Umstieg auf eine grüne Stahlerzeugung verspreche perspektivisch neue Produktivitätsgewinne. "Die dürfen nicht ausschließlich als zusätzlicher Profit in den Taschen der Arbeitgeber landen, sondern müssen auch den Menschen zu Gute kommen, die sie erarbeitet haben", so Desgranges.
Große Unterschiede von Branche zu Branche
Wie realistisch eine Vier-Tage-Woche mit Arbeitszeitverkürzungen ist, hänge sehr von der jeweiligen Branche ab, sagt Bernd Fitzenberger, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. In Bereichen, in denen sich die Produktivität kaum steigern ließe, wie etwa im Handel oder der Pflege, brauche es dann zusätzliche Arbeitskräfte: "In Branchen, die schon jetzt große Rekrutierungsprobleme haben, ist das sicher eine Herausforderung."
Insgesamt rechnet der Institutsleiter damit, dass die Arbeitszeit pro Kopf bei Vollzeitbeschäftigten zukünftig weiter zurückgehen wird. Dass die Vier-Tage-Woche großflächig zu einem neuen Standard wird, glaubt er aber nicht: "Es ist eher davon auszugehen, dass es mehr individuelle Vereinbarungen der Arbeitszeiten geben wird und es so zu einem Nebeneinander von verschiedenen, flexiblen Modellen kommt."
Diskussion dürfte weiter an Fahrt aufnehmen
Klar ist: die Debatte über die Vier-Tage-Woche steht noch am Anfang. Aber es kommt mehr und mehr Bewegung in die Sache. Und das dürfte auch an der aktuellen Lage auf dem Arbeitsmarkt liegen, sagt der Soziologe Hielscher: "Vor dem Hintergrund des allgegenwärtigen Arbeitskräftemangels haben die Beschäftigten gerade einfach eine sehr starke Verhandlungsposition. Und das könnte auch der Vier-Tage-Woche den Weg ebnen."