Debatte um Arbeitszeit Linkspartei entdeckt die Viertagewoche
Weniger arbeiten bei gleichem Lohn? Verrückte Idee. In mehreren Ländern gibt es Modellversuche für eine Viertagewoche, auch Arbeitgeber in Deutschland probieren dies aus. Linken-Chef Schirdewan greift das Thema auf.
Das Hotel Oswald im Bayrischen Wald ist eine Oase. Nicht nur für die Hotelgäste, sondern auch für die 110 Mitarbeitenden. Denn seit fast drei Jahren gibt es hier die Viertagewoche. Wer möchte, kann an drei Tagen in der Woche freihaben - bei vollem Lohnausgleich. "Das funktioniert super", sagt Senior-Chef Alfons Oswald.
"Immer wieder neue Bewerbungen"
Es habe sich herumgesprochen, dass es in dem kleinen Dorf Kaikenried die Möglichkeit gibt, nur an vier Tagen pro Woche zu arbeiten und trotzdem ordentlich Geld zu verdienen. Mindestens 15 Leute musste das Hotel dafür zusätzlich einstellen und de facto deutlich höhere Löhne zahlen.
Dafür aber bleiben die Mitarbeitenden meist über viele Jahre im Betrieb, es müssen nicht ständig neue Leute eingearbeitet werden und alle sind zufriedener. Unter Strich für den Hoteldirektor ein klares Plus: "Wir haben kein Problem mit Fachkräften und immer wieder neue Bewerbungen."
Etwa 500 km weiter nördlich, in Berlin, würde sich Linken-Parteichef Martin Schirdewan wohl über die guten Erfahrungen aus dem Bayrischen Wald freuen. Denn Schirdewan möchte eine breite gesellschaftliche Debatte über die Viertagewoche in Gang bringen.
Täglich Brot: Überstunden gehören für etwa jeden achten Beschäftigten in Deutschland zum Arbeitsalltag. Muss man wirklich immer mehr und länger arbeiten?
Später in Rente, mehr arbeiten?
Seiner Meinung nach gehen Forderungen nach längeren Wochenarbeitszeiten angesichts des Fachkräftemangels in die völlig falsche Richtung. Oder auch die jüngste Kritik von Kanzler Scholz, wonach zu viele Menschen zu früh in Rente gingen. Oder die Rufe nach Mehrarbeit für Lehrkräfte, um den Mangel an Schulen zu kompensieren. "Glaubt wirklich jemand, dass man mehr engagierte Fachkräfte findet, indem man die Arbeitsbedingungen weiter verschlechtert?", fragt Schirdewan.
Aus seiner Sicht ist eine Verlängerung der Arbeitsbelastung der komplett falsche Weg. Denn die Zahl der Tage, an denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch stressbedingte Krankheiten fehlten, habe sich in den vergangenen 20 Jahren fast verdreifacht. Er schlägt eine neue "Vision einer zukunftsfähigen Arbeitsgesellschaft" vor. Und die wäre aus Schirdewans Sicht eine Viertagewoche mit vollem Lohnausgleich.
Damit unterstreicht der Parteichef seine Forderungen nach einer neuen linken Wirtschaftspolitik. Aus Schirdewans Sicht ist das ein Beitrag, wie die Gesellschaft sich gerade in Krisenzeiten weiterentwickeln sollte. Eine Vorlage für den Bundestag soll daraus - erstmal - nicht werden.
"Glaubt wirklich jemand, dass man mehr engagierte Fachkräfte findet, indem man die Arbeitsbedingungen weiter verschlechtert?": Linken-Chef Schirdewan plädiert für eine Viertagewoche.
Vielerorts Modellversuche für Viertagewoche
Die Idee einer Viertagewoche ist nicht neu. Tatsächlich gibt es zunehmend Betriebe in Deutschland, die auf dieses Angebot setzen, um für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer attraktiver zu sein. Und auch in anderen Ländern macht die Idee für ein verlängertes Wochenende Schule. In Spanien fördert die Regierung einen Modellversuch zu geringerer Arbeitszeit, in Litauen haben Eltern von kleinen Kindern, die im öffentlichen Dienst arbeiten, ein Anrecht auf eine Viertagewoche, in Neuseeland läuft ein entsprechender Modellversuch und auch in Belgien gibt es seit 2022 das Recht auf eine Viertagewoche für alle Angestellten.
Einige dieser Modelle lassen die Arbeitszeit des fünften Arbeitstages an den übrigen Tagen hinzufügen, statt acht Stunden täglich wird dann also neun oder zehn Stunden gearbeitet. Manche Unternehmen verkürzen aber auch einfach die Arbeitszeit pro Woche und setzen auf bleibende Produktivität, weil alle konzentrierter und besser strukturiert arbeiten.
Ein Allheilmittel? Eher nicht
Verschiedene Studien belegen die positiven Auswirkungen: Die Menschen haben mehr Zeit für Familie oder Ehrenamt, melden sich seltener krank und: Arbeit ist zwischen Männern und Frauen gerechter aufgeteilt. Denn bisher sind es deutlich mehr Frauen, die in Teilzeit arbeiten, weil sie sich zusätzlich noch um den Großteil der Familienarbeit kümmern. Das aber hat niedrigere Löhne und am Ende auch eine geringere Rente für viele Frauen zur Folge.
Ist die Viertagewoche also ein Allheilmittel? Nein, sagt Arbeitsmarktexperte Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Wenn die Wochenarbeitszeit reduziert werde, bedeute die Viertagewoche faktisch eine Lohnsteigerung, also höhere Kosten für Unternehmen und damit am Ende womöglich eine galoppierende Inflation. "Ich bin da sehr skeptisch, denn letztlich müssten diese Lohnsteigerungen über zusätzliche Produktivität erarbeitet würden." Zudem bräuchte man zusätzliche Arbeitskräfte für dieses Modell - und die seien zurzeit ja gerade ein Problem.
Linken-Chef Schirdewan dagegen ist sich sicher: "Wenn die Arbeit gerechter verteilt wäre, könnten hierzulande statt Überstunden und Dauerstress etwa eine Million Arbeitsplätze in kurzer Vollzeit mit 30 Stunden pro Woche geschaffen werden." Außerdem wäre aus seiner Sicht eine verkürzte Wochenarbeitszeit durch weniger Fahrtzeiten und Energiekosen auch klimapolitisch sinnvoll.
Hoteldirektor Oswald hat die Entscheidung für kürzere Arbeitszeiten nicht bereut. Die Leute in seinem Team arbeiten neun Stunden am Tag - und das eben nicht mehr an fünf, sondern an vier Tagen. Und: Wer möchte, der darf auch am fünften Tag kommen und bekommt dann mehr Geld. Aber die meisten wollen das gar nicht.