Fehlendes Personal Sind die Flughäfen schuld am Chaos?
Wegen des Chaos an deutschen Flughäfen steht die Luftverkehrs-Branche in der Kritik. Sind das "Outsourcing" von Bodendiensten und Entlassungen Grund für die Probleme?
Die Sommer-Urlaubssaison hat für viele Reisende mit einer Nervenprobe begonnen. Am Flughafen Düsseldorf warteten tausende Menschen in riesigen Schlangen am Check-In und vor der Sicherheitskontrolle. An den Airports in Hamburg und München kam es zu Chaos bei der Gepäckabfertigung. Der Ärger unter den Urlaubern war groß.
7200 Jobs fehlen an Flughäfen
Die Airlines und die Flughafen-Betreiber begründen die Zustände mit dem Personalmangel. Laut dem Institut der Deutschen Wirtschaft fehlen derzeit 7200 Beschäftigte an deutschen Flughäfen. Nach Angaben des Flughafenverbands ADV ist momentan ein Fünftel der Stellen bei den Bodendiensten unbesetzt. Viele haben den Job gewechselt und sind zu Paket-Lieferdiensten gegangen.
Auch bei den Fluggesellschaften sind die personellen Engpässe dramatisch: Beim Bodenpersonal fehlen Schätzungen zufolge gut 15 Prozent an Mitarbeitern. Hinzu kommt ein historisch hoher Krankenstand von derzeit 40 Prozent.
Kritik an der Branche
Wer ist schuld am Reise-Chaos? Aus der Bundesregierung kommt Kritik, dass die Flug-Branche das Desaster hätte frühzeitig verhindern können. Die Tourismus-Beauftragte Claudia Müller (Grüne) wirft Flughafenbetreibern und Airlines massive Fehler bei der Personalplanung vor. Es sei zu erwarten gewesen, dass nach zwei Jahren Pandemie wieder sehr viele Menschen auf Reisen gehen wollen.
Der Staat habe Fluggesellschaften und Airports in der Corona-Krise mit massiven Wirtschaftshilfen unter die Arme gegriffen, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). "Es wäre Aufgabe der Unternehmen gewesen, in ausreichendem Maße Vorsorge zu treffen."
Fraport hat Tausende Stellen abgebaut
Tatsächlich haben Flughäfen in der Krise die Bodenpersonal entlassen oder Kurzarbeit nicht aufgestockt. So hat Fraport bis 2021 sein Personal drastisch um rund 4000 Stellen reduziert. Allein bei den Bodenverkehrsdiensten der Fraport-Tochter Fraground mussten 1200 von 3700 Leuten gehen. Fraport habe in der Krise derart viele Beschäftigte abgebaut, dass bei einer Erholung des Fluggeschäfts zu wenig Mitarbeiter zur Verfügung stehen, kritisiert Christoph Miemietz von der Gewerkschaft Verdi. "Das war kurzsichtig."
Inzwischen hat Fraport auf die neue Situation reagiert. Und schafft wieder Jobs. "In diesem Jahr wollen wir bis zu 1000 Beschäftigte im Konzern für die Tätigkeiten der Gepäck und Bodenabfertigung neu einstellen", sagte eine Unternehmenssprecherin gegenüber tagesschau.de. Bisher wurden 870 neue Kräfte bereits wieder eingestellt. Jedoch werde es noch einen Moment dauern, bis diese eine spürbare Entlastung bringen.
Daher hat Deutschlands größter Flughafenbetreiber Mitarbeiter aus der Verwaltung ausgerufen, freiwillig im Terminal und auf dem Vorfeld auszuhelfen. Mehr als 100 haben sich gemeldet und machen jetzt eine Schulung.Zu den Maßnahmen in Frankfurt gehörten auch Flugstreichungen oder Verlagerung von Flügen durch Airlines in verkehrsärmere Zeiten, erklärte die Fraport-Sprecherin.
Gewerkschaften kritisieren Sparmaßnahmen
Die Gewerkschaften werfen der Flugbranche übertriebene Sparwut vor. "Kurzarbeit und Personalabbau ohne jede Weitsicht auf eine mögliche Erholung des Luftverkehrs stand bei den meisten Geschäftsführern an erster Stelle", moniert der Fluglotsen-Gewerkschafter Matthias Maas. Unter den Fluglotsen der Deutschen Flugsicherung sei die Personalsituation deutlich besser, weil dort es dort nicht zu Kurzarbeit und Entlassungen gekommen sei.
Die Fluggesellschaften spielten ihre Marktmacht massiv aus und wollten die Bodenverkehrsdienste zu möglichst billigen Konditionen beauftragen, moniert der Luftfahrtverkehrs-Experte Cord Schellenberg. "Wie sehr die Qualität darunter leidet, erleben wir aktuell." Die Arbeit am Check-in-Schalter oder im Gepäckkeller des Flughafens bilde das Fundament für einen funktionierenden Luftverkehr. Dies werde von den Airlines aber nicht mehr anerkannt und gepflegt, so Schellenberg.
Fremdfirmen zuständig für Sicherheitskontrollen
Tatsächlich ist der Personalmangel auch hausgemacht. Der Outsourcing-Trend hat mit zum jetzigen Sommer-Chaos beigetragen. Die Betreiber der großen Flughäfen wie Frankfurt, Köln-Bonn und Berlin haben ihre Zuständigkeit für die Bodendienste und die Sicherheitskontrolle an Fremdfirmen abgegeben. Diesen sind nun die Mitarbeiter "weggelaufen".
Die Kritik des "Outsourcing" kann der Hautgeschäftsführer des Flughafenverbands (ADV), Ralph Beisel, nicht nachvollziehen. "Die Liberalisierung der Bodenverkehrsdienste war nicht die Idee der Flughäfen, sondern erfolgte 1996 auf Initiative der Europäischen Union", sagt er tagesschau.de. Das Rad lasse sich nun nicht mehr zurückdrehen. "Den Flughäfen ist es wichtig, dass der Wettbewerb bei den Ladediensten nicht zu Lasten der Beschäftigten oder der Qualität geht", so Beisel. "Deshalb haben die Arbeitgeber den Gewerkschaften den Abschluss eines Branchentarifvertrages mit einheitlicher Mindestvergütung angeboten."
Liberalisierung von der Politik gewollt
An den großen Flughäfen ist mindestens eine Fremdfirma bei den Bodendiensten zugelassen. Am Berliner Flughafen sind es sogar drei private Unternehmen, die sich im Wettbewerb um Aufträge der Airlines bemühen. In Frankfurt konkurriert der Flughafen mit seiner eigenen Tochter Fraground mit einem privaten Dienstleister. Für die Abwicklung der Sicherheitskontrollen an den Flughäfen ist die Bundespolizei an den großen deutschen Flughäfen mit Ausnahme von Bayern in der Verantwortung. Die Kontrolltätigkeiten werden von so genannten hoheitlich beliehenen Luftsicherheitsassistenten durchgeführt, die bei privaten Dienstleistern beschäftigt sind. Der Flughafen vermietet lediglich zum Selbstkostenpreis die Kontrollflächen an die Bundespolizei.
Der ADV-Hauptgeschäftsführer Beisel zeigt sich gegenüber tagesschau.de offen für eine Neuverteilung der Aufgaben bei den Luftsicherheitskontrollen. "Die Bundespolizei macht insgesamt einen guten Job bei Organisation der Passagier- und Handgepäckkontrollen", sagt er. "Dennoch glauben wir, dass wir näher am operativen Geschäft sind." Deshalb bieten die Flughafen-Betreiber an, in Zukunft die Steuerung der privaten Dienstleister zu übernehmen. "Dazu führen wir gerne Gespräche mit dem Bundesinnenministerium. Aber zuerst müssen wir gemeinsam mit der Bundespolizei alles daransetzen, gut über den Sommer zu kommen."
Wartezeiten nicht überall
Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel der kleinen sächsischen Flughäfen Leipzig-Halle und Dresden. "Engpässe beim Abfertigungs- und Servicepersonal, die an den anderen Airports zu teilweise stundenlangen Wartezeiten geführt haben, die gibt es aktuell weder in Dresden noch in Leipzig/Halle", erklärt ein Sprecher der Mitteldeutschen Flughafen AG. Der Grund: Man habe während der Pandemie kein Personal entlassen müssen und verzeichne so eine stabile Personalsituation.
Und auch in anderen EU-Ländern wie etwa in Italien herrscht derzeit kein Chaos an den Flughäfen. Experten führen das auch darauf zurück, dass Bodenpersonal nicht "outgesourct" wurde, sondern fest angestellt ist.