EU-Gipfel beschließt Fiskalunion Ein lückenhafter Pakt gegen Europas Schulden
25 der 27 EU-Migliedsstaaten haben den Fiskalpakt unterzeichnet. Er sieht Schuldenbremsen in den Ländern und weitgehend automatische Sanktionen bei Verstößen vor. Doch einige Hintertüren schüren Zweifel, ob alle Staaten die Vorgaben wirklich umsetzen.
Von Martin Bohne, MDR-Hörfunkstudio Brüssel
Mit einem neuen Wort ans rettende Ufer: Jetzt soll also ein Fiskalpakt Europa retten. Der Anti-Schulden-Pakt wurde innerhalb weniger Wochen auf Druck der Bundesregierung regelrecht aus dem Boden gestampft. Ganz im Sinne der deutschen Euro-Rettungsphilosophie: Das Wichtigste ist, den unseligen Geist der staatlichen Spendierfreudigkeit in die Flasche zu zwingen.
"In Europa besteht große Einigkeit, mit dem Fiskalpakt einen großen Schritt in Richtung einer wirklichen europäischen Stabilitätsunion zu gehen", sagt Bundesaußenminister Guido Westerwelle. "Damit können wir das Vertrauen der Bürger und auch der Märkte zurückgewinnen", fügt er mit Blick auf die erhoffte Signalwirkung des neuen Regelwerks hinzu.
Hoffnung auf wirksame Überwachung
Stabilität - das hatten die Väter des Euro auch schon versprochen. Sie schmiedeten dafür den Pakt gleichen Namens mit der berühmten Drei-Prozent-Obergrenze für das Defizit. Nur hat sich keiner dran gehalten. Doch diesmal solle das anders werden, verspricht die Bundeskanzlerin. Sie verweist darauf, dass alle Staaten Schuldenbremsen in der Verfassung einführen sollen. Zugleich könne die EU-Kommission die Einhaltung der Vorgaben überwachen und der Europäische Gerichtshof die Umsetzung auch kontrollieren. "Die eigentliche Botschaft heißt: Wir sind bereit für mehr Verbindlichkeit, wir reden uns nicht mehr raus", sagt Merkel.
Schuldenbremse heißt, dass die Teilnehmerländer sich zu einen quasi ausgeglichenen Haushalt verpflichten. Als Defizit sollen nur noch maximal 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung toleriert werden. Es sei denn - und das ist die erste Hintertür -, es liegen ungewöhnliche Umstände vor. Diese Schuldenbremse sollen alle Euro-Staaten verbindlich in ihrer nationalen Rechtsordnung verankern. Am besten in der Verfassung, so wollten es die Deutschen. Aber das sei den meisten denn doch zu weit gegangen, sagt der Brüsseler Ökonom Daniel Gros. "Es ist nur noch davon die Rede, dass Länder wünschenswerterweise eine Schuldenbremse mit Verfassungsrang haben sollten", erläutert er. "Aber wenn nicht, dann halt nicht."
Strafen in Milliardenhöhe drohen
Die EU-Kommission soll prüfen, ob alle Länder die Schuldenbremse tatsächlich ausreichend verbindlich gemacht haben. Hat ein Land das nicht getan, droht eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof - mit potenziell schmerzlichen Konsequenzen, sagt der Chef der Finanzminister der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker. "Wir sind uns alle einig, dass das Gericht bei Nichtbefolgung Strafen verhängen darf." Und zwar bis zu 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Bei größeren Ländern kann das in die Milliarden gehen.
Seltsamerweise darf aber die EU-Kommission als Gutachter nicht selbst die Klage einreichen. Sie muss eine Regierung finden, die das tut. Das ist, als wenn ein Schiedsrichter bei einem Foul zwar aufgeregt pfeifen darf, die rote Karte aber ein Spieler zücken muss. Die Bundeskanzlerin hatte sich das eigentlich anders vorgestellt. Aber nun macht sie gute Miene zum bösen Spiel. "Entweder klagt die Kommission oder einer oder mehrere Mitgliedsstaaten anstelle der Kommission - ich sehe da, ehrlich gesagt, keinen großen Unterschied", sagt sie.
Strafverfahren wird verschärft
Die Schuldenbremse ist der eine Eckpunkt im Fiskalpakt. Der zweite ist die Verschärfung im Defizitstrafverfahren. Ein solches Verfahren kann laut EU-Vertrag eingeleitet werden, wenn ein Land die Drei-Prozent-Defizitgrenze reißt. Dazu kam es bisher aber trotz unzähliger Verstöße noch nie, weil eine qualifizierte Mehrheit der Euro-Finanzminister dem zustimmen musste - und das viel Raum für politisches Geschacher ließ.
Im Fiskalpakt verpflichten sich die Teilnehmer nun, die Empfehlung der EU-Kommission für ein Verfahren quasi automatisch zu akzeptieren. Es sei denn, eine qualifizierte Mehrheit der Finanzminister stimmt gegen die Empfehlung. Das Problem dabei ist nur, dass der Fiskalpakt damit im Widerspruch zum gültigen EU-Recht steht. Denn die neuen Regeln können ja wegen des britischen Widerstands nicht in den EU-Vertrag aufgenommen werden. Das ist einer der Gründe, warum etliche im Fiskalpakt nur einen zahnlosen Tiger sehen, so wie der Ökonom Gros. "Dieser ganze Fiskalpakt kommt mir wie ein Sturm im Wasserglas vor. Dieser neue Fiskalpakt schreibt nur fest, was schon zehnmal vereinbart wurde, was schon im Stabilitätspakt steht", sagt er. "Deswegen wird dieser neue Schuldenpakt wohl nicht viel erreichen."