Zinshype und kein Ende US-Anleger bleiben in Kauflaune
Überwiegend mit moderaten Gewinnen sind die US-Indizes aus dem Handel gegangen. Es gab weitere Höchststände, die aber nicht gehalten werden konnten. Die Börse rechnet nun mit baldigen Zinssenkungen.
An der Wall Street bot sich den Anlegern heute ein ähnliches Bild wie zuvor in Europa. Anfängliche neue Bestmarken konnten nicht gehalten werden, im Gefolge bröckelten die Gewinne wieder. Allerdings bleiben die großen Aktienindizes weiterhin auf höchstem Niveau, getrieben von der Hoffnung auf baldige Zinssenkungen durch die Notenbank Federal Reserve (Fed). Bereits seit Wochen rechnet die Street fest mit Zinssenkungen und hat diese in den jüngsten Kurssteigerungen verarbeitet.
Am Vorabend bereits hatte Notenbankchef Jerome Powell auf der letzten Zinssitzung der Federal Reserve in diesem Jahr Zinssenkungen in Aussicht gestellt und damit für viel Fantasie an den Märkten gesorgt. Laut Powell rückt die Frage ins Blickfeld, wann eine Lockerung angebracht sein werde: "Das wird ein Thema für uns."
"Die Euphorie der Anleger war offensichtlich eine Reaktion darauf, dass Powell seine Sprache drastisch geändert und sich deutlich weniger entschlossen als erwartet geäußert hatte", sagte am Donnerstag Michael Green, Chefstratege beim Vermögensverwalter Simplify in New York. Bisher hat sich der Notenbankchef sehr zurückhaltend geäußert in Sachen Lockerung und zu große Euphorie eher gedämpft.
Der heutige Handel knüpfte zunächst an die Gewinne des Vorabends an und bescherte sowohl dem Leitindex Dow Jones als auch dem Nasdaq-Auswahlindex Nasdaq 100 neue Rekorde. Der Leitindex Dow Jones erreichte bei 37.299 Punkten ein weiteres Allzeithoch und übertraf damit den Rekordwert vom Vortag bei 37.123 Punkten. Der Schlussstand lag dann bei 37.248 Zählern, ein Tagesgewinn von 0,43 Prozent.
Auch der Auswahlindex Nasdaq 100 erreichte heute im frühen Geschäft bei 16.660 Punkten zunächst eine neue Bestmarke. Im Gefolge bröckelten dann aber die Gewinne stärker ab auf letztlich 16.537 Punkte, ein leichtes Minus von 0,15 Prozent. Der Nasdaq Composite endete hingegen 0,2 Prozent höher. Der marktbreite S&P Index blieb mit 4719 Punkten rund 50 Punkte oder knapp ein Prozent unter seinem Rekordhoch bei 4766 Punkten vom Jahresende 2021.
Trotz der hohen Niveaus der Indizes: Die Gefahr eines Rücksetzers am Aktienmarkt nimmt nach Einschätzung von Experten jedoch zu, je länger die Rekordjagd andauert. Ein Gradmesser dafür sei der "Fear & Greed Index" von CNN Business, sagte Christian Henke vom Broker IG.
Dieser soll die Emotionen der Anleger an der Börse messen. Der Index befinde sich im "Sektor Gier", kurz vor dem Eintritt in den Marktzustand "Extreme Gier", erläuterte Henke. "Damit mehren sich die Warnsignale für eine Überhitzung an der Wall Street." Steige der Index weiter, müssten die Investoren mit einer bevorstehenden Korrektur rechnen.
Die schon seit Wochen massive Zinsfantasie diesseits und jenseits des Atlantiks hat heute den DAX erstmals knapp über die Marke von 17.000 Punkten getrieben. Kurz nach dem Handelsstart übersprang der deutsche Leitindex die neue Tausendermarke und markierte bei 17.003 Zählern ein weiteres Rekordhoch.
Auch andere Indizes in Europa legten heute zunächst deutlich zu, fielen dann aber auch zurück: Der europäische Auswahlindex EuroStoxx 50 erreichte den höchsten Stand seit mehr als 20 Jahren. Der französische Leitindex Cac 40 markierte ebenfalls ein Rekordhoch. Der US-Leitindex Dow Jones hatte gestern nach dem Zinsentscheid der US-Notenbank bereits ein Allzeithoch erreicht.
Am Ende konnte der DAX das hohe Niveau aber nicht verteidigen und fiel sogar ins Minus bis auf sein Tagestief bei 16.670 Punkten zurück. Der Schlussstand lag mit einem Mini-Minus von 0,08 Prozent bei 16.752 Punkten letztlich fast unverändert.
Vor allem die etwas verhalteneren Kommentare aus der EZB nach dem heutigen Zinsentscheid dämpfen nach der US-Steilvorlage vom Vorabend die Euphorie. So erklärte EZB-Chefin Christine Lagarde, man habe über Zinssenkungen heute gar nicht gesprochen.
Der Gewinn im Zuge seiner Jahresendrally seit dem Zwischentief im Oktober beläuft sich aktuell aber immer noch auf fast 15 Prozent. Der DAX ist ein sogenannter Performance-Index. Das bedeutet, dass bei ihm Dividenden der Unternehmen bei der Berechnung mit berücksichtigt werden.
Auslöser der Vormittags-Hausse waren Äußerungen von US-Notenbankchef Jerome Powell am Vorabend. Die Fed hatte den Leitzins zwar unverändert gelassen, die Währungshüter signalisierten aber, dass sie Zinssenkungen jetzt in Erwägung ziehen. "Die Wahrscheinlichkeit einer Senkung in den kommenden Monaten ist größer als die einer Erhöhung", lautet das Fazit von Analyst Eric Winograd vom Vermögensverwalter AllianceBernstein. Voraussichtlich Mitte nächsten Jahres werde die Fed erstmals wieder die Zinsen senken.
Am Nachmittag hat auch die EZB in ihrem Zinsentscheid erwartungsgemäß das Leitzinsniveau unverändert bei 4,5 Prozent belassen. Der am Finanzmarkt maßgebliche Einlagensatz, den Geldhäuser für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, bleibt weiter auf dem Rekordniveau von 4,00 Prozent. "Die zukünftigen Beschlüsse des EZB-Rats werden dafür sorgen, dass die Leitzinsen so lange wie erforderlich auf ein ausreichend restriktives Niveau festgelegt werden", erklärten Europas Währungshüter.
Gleichzeitig kündigte die EZB angesichts abebbender Inflation und weiterhin schwächelnder Konjunktur ein allmähliches Zurückfahren ihrer Anleihenkäufe im kommenden Jahr an. Für den Ökonomen Friedrich Heinemann vom Forschungsinstitut ZEW ist nun die weitere Inflationsentwicklung entscheidend. "Wenn es im Januar keinen deutlichen Rückschlag bei der Inflation gibt, dürfte sich der Weg für eine erste Zinssenkung im Frühjahr öffnen", glaubt der Experte.
Der Euro profitierte von Kursverlusten des Dollar und baute seine deutlichen Vortagsgewinne aus. Die US-Währung wurde durch die von Jerome Powell geschürten Aussichten auf niedrigere Zinsen in den USA belastet. Am späten Nachmittag mussten in der Spitze etwas über 1,10 Dollar bezahlt werden, zuletzt wurde der Euro im US-Handel für 1,0989 Dollar gehandelt. Damit ging es mit dem Kurs seit Mittwoch um etwa zwei Cent nach oben auf den höchsten Stand seit Ende November. Die EZB setzte den Referenzkurs auf 1,0919 (Mittwoch: 1,0787) Dollar fest
Die Schweizer Notenbank SNB beließ ihre Leitzinsen ebenfalls unverändert, deutete aber eine Abkehr von ihren Fremdwährungsverkäufen an. "Die SNB möchte also mit ihren Devisenmarktinterventionen den Franken nicht noch weiter mit Aufwertungsdruck befeuern", kommentierte Chefvolkswirt Thomas Gitzel von der VP Bank. "Aufgrund der niedrigen Inflationsraten bedarf es keiner starken Währung, um die Inflation einzudämmen." Der Franken gab gegenüber dem Euro etwas nach.
Unterdessen deuten die deutschen Erzeugerpreise in der Landwirtschaft eine weitere Entspannung in Sachen Inflation an. Die Herstellerpreise für landwirtschaftliche Produkte fielen im Oktober um 14,5 Prozent niedriger aus als ein Jahr zuvor, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Das war der kräftigste Rückgang seit Dezember 2014. Hauptverantwortlich dafür ist ein sogenannter Basiseffekt: Im Oktober 2022 waren die Preise mit 38,1 Prozent außergewöhnlich stark gestiegen.
Die Entwicklung auf Herstellerebene kommt meist verzögert auch bei den Verbrauchern an. Der spürbare Rückgang signalisiert, dass sich der überdurchschnittliche Preisauftrieb bei Nahrungsmitteln abschwächen könnte.
Die Ölpreise haben am Donnerstag an ihre deutlichen Vortagsgewinne angeknüpft. Ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent kostete rund drei Prozent mehr, ebenso wie ein Fass der amerikanischen Sorte West Texas Intermediate (WTI) . Die deutlich gesunkene Dollar-Kurs stützte die Ölpreise.
Für Preisauftrieb sorgte am Erdölmarkt die Aussicht auf sinkende Zinsen in den USA. Von niedrigeren Zinsen dürfte die Konjunktur der Vereinigten Staaten und damit die Rohölnachfrage in der größten Volkswirtschaft der Welt profitieren.
Am Markt ist aber auch von einer Gegenbewegung die Rede. Die Ölpreise notierten nur leicht über ihren halbjährigen Tiefständen. Für eine grundsätzliche Preisbelastung sorgt unter anderem ein wachsendes Angebot aus den USA. Daneben hat der große Ölverbund Opec+ zuletzt für Verwirrung gesorgt, weil er zusätzliche Förderkürzungen als freiwillig bezeichnet hat. Unter Marktteilnehmern hat das die Frage aufgeworfen, inwieweit die Kürzungen auch umgesetzt werden.
Im DAX gehörte die T-Aktie mit einem ungewöhnlich hohen Minus von zuletzt immer noch 3,6 Prozent zu den größten Verlierern. Auch Papiere der DHL Group Deutsche Post gaben nach. Laut dem "Spiegel" will die Bundesregierung die Sanierung der Deutschen Bahn mit Verkäufen von Aktien der Telekom sowie der DHL finanzieren. Hintergrund ist die Haushaltskrise nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Bei der Telekom, bei der der Bund derzeit 30,5 Prozent der Aktien hält, wolle die Regierung wohl nur noch eine strategische Beteiligung von 25 Prozent zuzüglich einer Aktie halten. Bei der DHL hingegen soll die Ampel planen, sich von mehr Anteilen zu trennen, schreibt das Magazin. Bei dem Post-Konzern hält der Bund über die staatliche KfW-Bank knapp 20.5 Prozent der Anteile.
Die Aussicht auf wieder sinkende Zinsen hat den europäischen Immobiliensektor beflügelt. Der Subindex erreichte den höchsten Stand seit Anfang Februar. Vom Tief von Ende Oktober ging es seitdem um mehr als 40 Prozent aufwärts.
Investoren setzen auf wieder sinkende Zinsen, mit denen die Refinanzierung der Immobiliengesellschaften deutlich günstiger werden dürfte. Zudem dürfte sich auch die Lage bei den Verkäufen aus Portfolios entspannen, weil die Finanzierungskosten für Käufer sinken. Im DAX gehören Vonovia mit einem Plus von über acht Prozent zu den größten Gewinnern, im MDAX steigen LEG Immobilien fast sieben Prozent.
Im Gegenzug gaben Versicherungsaktien nach. Hannover- und Münchener Rück sind derzeit die größten Verlierer. Die Assekuranz als große "Kapitalsammelstelle" gilt als Profiteur höherer Zinsen. Auch Allianz-Papiere verloren im DAX etwas über zwei Prozent. Im MDAX gaben Talanx über drei Prozent nach. Die Aktien der Branche waren allerdings zuvor sehr gut gelaufen.
Der Lebensmittel-Großhändler Metro setzt sich für das neue Geschäftsjahr 2023/2024 zwar kleinere Ziele und rechnet neben erneuten Belastungen durch den schwachen russischen Rubel mit einer unterdurchschnittlichen Entwicklung in Deutschland. Bei Anlegern zählt aber offenbar zunächst nur die Dividende. Erstmals seit mehreren Jahren werden sie sich wohl wieder über eine Ausschüttung freuen können. Für das Geschäftsjahr 2022/2023 schlägt der Konzern 55 Cent je Aktie vor.
Das Biotechunternehmen Morphosys will sich mit einer Kapitalerhöhung frische Mittel in die Kasse spülen. Im Rahmen einer beschleunigten Platzierung bietet die Firma bis zu 3.423.194 neue Aktien an, teilte Morphosys mit. Es handelt sich um eine Kapitalerhöhung gegen Bareinlage unter Ausschluss des Bezugsrechts. Der Platzierungspreis werde im Rahmen eines beschleunigten Platzierungsverfahrens bestimmt, welches mit sofortiger Wirkung beginne und kurzfristig abgebrochen werden könne.
Der US-Softwarekonzern Adobe hat mit den Aussichten für das neue Geschäftsjahr die hohen Erwartungen an seine Programme rund um Künstliche Intelligenz (KI) nicht erfüllt. Adobe plant für das laufende Geschäftsjahr 2023/24 einen Umsatz von rund 21,4 Milliarden Dollar ein. Investoren hatten sich mehr Erlös erhofft. Der in Aussicht gestellte bereinigte Gewinn blieb im Mittel ebenfalls hinter den durchschnittlichen Markterwartungen zurück. Anleger hoffen, dass Adobe mit seinen generativen KI-Funktionen wie automatisch erzeugten Bild- und Medieninhalten früh vom Hype um die KI-Technik profitieren kann. Die Aktie fiel an der Nasdaq deutlich um 6,35 Prozent.
Apple wird im Streit mit Spotify über wettbewerbswidrige Praktiken einem Medienbericht zufolge wohl den Kürzeren ziehen. Die EU-Wettbewerbshüter bereiteten ein Verbot der Praktiken im App Store des Smartphoneherstellers vor, meldet die Agentur Bloomberg unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Personen. Apple hindere Musikdienste daran, ihre Nutzer vom App Store zu alternativen Abonnement-Optionen zu bringen, hieß es darin weiter. Stellungnahmen des US-Konzerns und der EU lagen zunächst nicht vor.
Der Kurznachrichtendienst Threads des Facebook-Konzerns Meta ist heute auch in der EU an den Start gegangen. Threads setzt auf Metas Foto- und Videoplattform Instagram auf. Damit kann der Dienst von Anfang an auf Verbindungen zwischen Hunderten Millionen Nutzern zurückgreifen. Der Dienst ist eine Konkurrenz für Elon Musks Online-Plattform X (ehemals Twitter).