Geldpolitik Warum die EZB der Fed bei der Zinswende voraus ist
In der Eurozone rückt die Zinswende nach den neuesten Inflationsdaten in greifbare Nähe. In den USA sieht es dagegen anders aus. Dort werden erste Zinssenkungen erst später im Jahr erwartet. Das hat mehrere Gründe.
Die Inflationsrate in den USA liegt bei 3,5 Prozent, in Europa mittlerweile nur noch bei 2,4 Prozent. Europa steht also besser da - allerdings nicht wirtschaftlich. Und das ist auch der Grund für den einen Schritt, den Europa in Sachen Inflation und Leitzins voraus ist. In den USA brummt die Wirtschaft. Unter anderem auch durch den privaten Konsum.
"Die Fed wird mindestens die US-Wahlen abwarten"
Außerdem haben Amerikaner im Schnitt höhere Löhne als Europäer und können sie auch verlangen, denn Arbeitskräfte werden gesucht in den USA. Das sieht der US- Notenbankchef Jerome Powell mit Sorge, wie er kürzlich in einem Interview erläuterte. Die Arbeitslosenquote liege unter vier Prozent, und das stabil seit mehr als zwei Jahren. Das habe es seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht gegeben, so Powell.
In der Eurozone lag die Arbeitslosenrate zuletzt bei 6,5 Prozent. Insgesamt schwächelt der Konsum, vor allem in Europas größter Volkswirtschaft Deutschland. Für eine Entlastung der Bürger durch niedrigere Zinsen gebe es für die Europäische Zentralbank daher größere Spielräume.
So sei es sehr wahrscheinlich, dass die Zinsen in Europa auch schneller fallen als in den USA, meint Robin Winkler. Er ist Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung für Deutschland bei der Deutschen Bank: "Wir gehen davon aus, dass die EZB im Juni loslegen wird, die Fed wird mindestens die US-Wahlen abwarten." Das hieße, die EZB könnte dann ein halbes Jahr vor der Fed liegen.
EZB dürfte vorlegen
Jerome Powell ist so etwas wie der Chefdiplomat des Finanzwesens. Konkret wird er selten. Man muss bei ihm schon immer genau hinhören, zwischen den Zeilen lesen. Er bestätigte, dass er im Moment wenig Spielraum für eine Zinssenkung sieht. So lange also die Inflation so hoch bleibe, bleibe es beim hohen Zinsniveau.
Es sei denn, der Arbeitsmarkt würde unerwartet schwächeln, betonte der Fed-Chef. Unerwartet - das heißt, Powell glaubt derzeit nicht an eine Schwäche auf dem Arbeitsmarkt. Die EZB dürfte also so gut wie sicher den Amerikanern in Sachen Zinssenkung vorangehen.
Konflikte im Nahen Osten könnten Situation verändern
Abgekoppelt von der Weltpolitik werde das allerdings nicht passieren, so Winkler. Der Nahost-Konflikt könnte einen Strich durch die Rechnung machen. Wenn der eskaliere, könnte es vor allem an den Rohstoffmärkten zu Turbulenzen führen: "Wenn der Ölpreis steigen würde, dann könnte das die Situation bei der EZB nochmal komplizierter machen."
Vielleicht müsse dann noch einmal abgewartet werden, wie sich die Inflation entwickelt. "Aber ich glaube, da müsste schon viel passieren im Nahen Osten, dass die EZB nicht im Juni loslegen würde", sagt der Experte.
Börsenbeben bleibt wohl aus
Nun hatten gerade die Märkte auf vor allem in den USA fallende Zinsen gesetzt. Das passiert nun erstmal offensichtlich nicht. Die Enttäuschung darüber sei an den Aktienmärkten schon spürbar, so Winkler von der Deutschen Bank. Aber die Kurse würden andererseits auch gestützt.
"Ich glaube, diese kleinen Turbulenzen an den Märkten in der letzten Woche sind schon darauf zurückzuführen", betont der Fachmann. "Gleichzeitig boomt die Wirtschaft in den USA, somit steigen auch die Gewinne der US-Unternehmen und das zieht den Märkten einen gewissen Boden ein."
Die Zinswende, auf die die Anleger gesetzt hatten, kommt also nun mit Verzögerung. Zu einem Börsenbeben scheint diese Gewissheit aber sehr wahrscheinlich nicht zu führen.