EZB-Urteil des Bundesverfassungsgerichts Anleihekäufe erneut Thema in Karlsruhe
Bis heute hatte die Europäische Zentralbank Zeit darzulegen, warum ihre massiven Anleihekäufe verhältnismäßig sind. Nun geht der Streit in eine weitere Runde. Die Kläger wollen Akteneinsicht erzwingen.
Worum geht es?
Am 5. Mai hatte das Bundesverfassungsgericht das milliardenschwere Anleihekaufprogramm PSPP der Europäischen Zentralbank für teilweise verfassungswidrig erklärt. Zuvor hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) geurteilt, dass das Programm rechtlich in Ordnung sei.
Dies akzeptierten die Karlsruher Richter aber nicht. Sie stellten sich damit zum ersten Mal überhaupt gegen den EuGH. Ihr Hauptkritikpunkt am Anleihekaufprogramm: Die EZB habe nicht begründet, warum das Programm verhältnismäßig sei und die erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen auf alle Bürgerinnen und Bürger gerechtfertigt sein sollen.
In seinem Urteil setzte das Bundesverfassungsgericht eine Frist: Sollte die EZB nicht innerhalb von drei Monaten diese Begründung nachliefern, dürfe die Bundesbank bei dem Kaufprogramm nicht mehr mitmachen. Bundesregierung und Bundestag wurden verpflichtet, auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die EZB hinzuwirken. Diese Frist läuft heute ab.
Was ist nach dem Urteil passiert?
Anfang Juni beschäftigte sich der EZB-Rat, das höchste Gremium der Notenbank, noch einmal mit dem Anleihekaufprogramm PSPP. Dabei stellten die Notenbanker fest, dass das Programm unter Berücksichtigung der wirtschaftspolitischen Auswirkungen verhältnismäßig sei. Dabei hat sich der EZB-Rat auch mit den Nebenwirkungen der Anleihekäufe beschäftigt, etwa welche Auswirkungen sie auf Privathaushalte, Sparer und Kreditnehmer haben.
Die EZB stellte anschließend Dokumente zur Verhältnismäßigkeitsprüfung zusammen. Die Bundesbank wurde damit beauftragt, sie der Bundesregierung und dem Bundestag zur Verfügung zu stellen. Insgesamt handelt es sich dabei um sieben Dokumente. Drei davon wurden als geheim eingestuft. Die Abgeordneten konnten sie deshalb nur in der Geheimschutzstelle des Bundestages einsehen.
Anfang Juli stellte der Bundestag mit den Stimmen der Regierungsfraktionen sowie der Grünen und der FDP fest, dass die EZB die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts erfüllt habe. Auch die Bundesregierung kam zu diesem Schluss. In einem Schreiben an das Bundesverfassungsgericht erläuterte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), warum seiner Ansicht nach die vom EZB-Rat vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung plausibel sei.
Wie haben die Kläger reagiert?
Erstritten haben das EZB-Urteil unter anderen der frühere CSU-Politiker Peter Gauweiler und AfD-Gründer Bernd Lucke. Sie bezweifeln, dass die Notenbank die Vorgaben umgesetzt hat. Sie haben deshalb beim Bundesfinanzministerium beantragt, alle Dokumente einsehen zu können.
Nach Angaben des Prozessbevollmächtigten von Gauweiler, dem Freiburger Staatsrechtler Dietrich Murswiek, hat das Ministerium auf die Anfrage nicht reagiert. Deshalb habe man am vergangenen Freitag beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Erlass einer Vollstreckungsanordnung eingereicht. Danach soll das Verfassungsgericht die Bundesregierung dazu verpflichten, Akteneinsicht zu gewähren.
Wie geht es jetzt weiter?
Das Bundesverfassungsgericht muss nun über den neuen Antrag entscheiden. Alles Weitere hängt vom Ausgang dieser Entscheidung ab. Sollte es zu einer umfassenden Akteneinsicht kommen, so Murswiek, behalte man sich nach der Analyse der Dokumente weitere rechtliche Schritte vor. Sollte die EZB keine ausreichende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen haben, werde man einen zweiten Antrag nachreichen. Mit dem Ziel, dass die Bundesbank gerichtlich verpflichtet wird, aus dem Anleihekaufprogramm PSPP auszusteigen. Murswiek deutete an, dass dieser Antrag auch dann gestellt wird, wenn das Bundesverfassungsgericht die Akteneinsicht nicht anordnet.
Mit einer schnellen Entscheidung des zuständigen zweiten Senats, etwa in den nächsten Wochen, dürfte eher nicht zu rechnen sein. Der Ausgang ist völlig offen. Gleiches gilt für den weiteren Verfahrensablauf. Theoretisch wäre es sogar denkbar, dass es erneut zu einer mündlichen Verhandlung und damit zu einem weiteren Schlagabtausch in Karlsruhe kommt.
Für die EZB ist die aktuelle Situation alles andere als erfreulich. Denn nach wie vor ist nicht geklärt, ob sich die Bundesbank weiterhin auf Dauer am Anleihekaufprogramm PSPP beteiligen darf.