Hintergrund

EZB übernimmt die Bankenaufsicht Drei Säulen gegen den Euro-GAU

Stand: 04.11.2014 15:01 Uhr

Die Bankenunion ist das größte europäische Integrationsprojekt seit dem Euro. Als wichtigster Baustein gilt die gemeinsame Aufsicht, die heute offiziell ihre Arbeit aufgenommen hat. Kann das neue Konstrukt künftige Krisen verhindern?

Von Heinz-Roger Dohms, tagesschau.de

Die neue Zentrale der Europäischen Zentralbank misst 185 Meter, hat 45 Stockwerke - und ist zu klein. Zwar bietet der gläserne Doppelturm gut 2600 Mitarbeitern Platz, mehr als genug, dachte man, als die Bauarbeiten vor zwölf Jahren begannen. Doch das war, bevor die EZB zum Machtzentrum der Eurozone aufstieg.

So kommt es, dass dieser Tage zwar ein Großteil der Notenbanker vom alten EZB-Tower in der Frankfurter City in den 1,2 Milliarden Euro teuren Neubau am Mainufer ziehen. Rund 900 EZBler allerdings bleiben zurück. Es sind jene, die von diesem Dienstag an die Aufsicht über die 120 größten Banken der Eurozone übernehmen. Und die damit ein Projekt beginnen, an das vor zwölf Jahren noch niemand dachte: die europäische Bankenunion.

Wie aus der Finanz- die Schuldenkrise wurde

Die Bankenunion ist das weitreichendste europäische Integrationsvorhaben seit dem Euro. Anders als beim Euro handelt es sich dabei allerdings nicht um das Ergebnis einer langen historischen Entwicklung - sondern um das Resultat eines beispiellosen politischen Kraftakts. Denn wie aus dem Nichts drang das Thema Mitte 2012 auf die europäische Agenda.

Wer diese Dynamik nachvollziehen will, muss die europäische Schuldenkrise in zwei Phasen unterteilen. Phase eins war die griechische Tragödie. Die konnte man in gewisser Weise noch als Sonderfall abtun, schließlich war die Athener Regierung hoffnungslos überschuldet. Gut möglich, dass die Griechen irgendwann auch ohne die globale Finanzkrise pleitegegangen wären.

In Phase zwei griff die Verunsicherung dann aber auch auf Länder über, die vor der Finanzkrise solide gewirtschaftet hatten - wie etwa Spanien und Irland. Erst durch die milliardenschweren Rettungshilfen für die irischen Großbanken und die spanischen Sparkassen schossen die Verbindlichkeiten der beiden Länder in die Höhe.

Ein fataler Wirkungszusammenhang

Damit wurde ein fataler Wirkungszusammenhang zwischen globaler Finanz- und europäischer Schuldenkrise sichtbar: Die Regierungen verloren an Bonität, weil sie "ihre" Banken retteten. Und die Banken verloren an Bonität, weil sie als Käufer von Staatsanleihen zu den größten Kreditgebern "ihrer" Regierungen gehörten. Es war diese gegenseitige Abhängigkeit, die in der zweiten Phase der Schuldenkrise immer neue Panikschübe an den Märkten auslöste.

Erst das notstandsartige Versprechen der Europäischen Zentralbank, den Investoren im Extremfall ihre europäischen Staatsanleihen abzukaufen, drehte Mitte 2012 die Stimmung. Und öffnete das Zeitfenster zur Umsetzung der gerade erst ersonnenen Bankenunion.

Drei Säulen - eine für jedes Krisenphänomen

Beschrieben wird das Mammutprojekt gemeinhin als Dreisäulenmodell. Die erste Säule ist die europaweite Bankenaufsicht, die zweite ein einheitlicher Bankenabwicklungsmechanismus und die dritte eine europäische Einlagensicherung.

Den Sinn der Bankenunion macht man sich am einfachsten klar, wenn man jede der Säulen als Antwort auf eines der Krisenphänomene der vergangenen Jahre versteht: Die gemeinsame Bankenaufsicht soll eine neue Finanzkrise verhindern (also die Wiederkehr der Ereignisse von 2007 bis 2009); der Abwicklungsmechanismus ist gedacht als Instrument gegen das tödliche Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Regierungen und ihren Banken (2010 bis 2012); und die dritte Säule soll den Super-GAU eines jeden kapitalistischen Wirtschaftssystems verhüten - den Bank-Run.

Von diesem Schreckensszenario blieb die Eurozone zwar in letzter Konsequenz verschont. Indizien, dass ein Bank-Run bevorstehen könnte, gab es aber durchaus, als reiche südeuropäische Bankkunden 2012 begannen, hohe Milliardenbeträge außer Landes zu schaffen.

Bis zur Krise galt eine strenge Aufsicht als Wettbewerbsnachteil

Gerade die erste Säule, die einheitliche Aufsicht, wird von den meisten Experten gelobt. Als "großen Fortschritt" bezeichnet sie der grüne Europaparlamentarier Sven Giegold, der maßgeblich an ihrer Umsetzung mitgearbeitet hat. "Es gibt sehr gute Gründe, gerade die großen Geldhäuser auf internationaler Ebene kontrollieren zu lassen", sagt auch Bankenprofessor Hans-Peter Burghof von der Uni Hohenhein. Sein Kollege Mark Wahrenburg von der Frankfurter Goethe-Universität erhofft sich "eine substanzielle Verbesserung" des Aufsichtsregimes.

Die Experten sind sich einig, dass der globale Bankencrash nicht nur der Kasinomentalität der Branche geschuldet war, sondern auch einer zu laxen staatlichen Kontrolle. Statt ihrer eigentlichen Aufgabe nachzukommen, hätten sich die nationalen Regulierer und Aufseher häufig als Interessenvertreter der heimischen Banken gesehen, sagt Wahrenburg. Harte Regeln und strikte Kontrollen galten nicht als Wettbewerbsvorteil, sondern als krasser Nachteil.

Eske Hicken, DLF, 04.11.2014 11:03 Uhr

Die erste Säule steht …

Mit der einheitlichen Bankenaufsicht - also der ersten Säule des neuen Regimes - soll nun alles anders werden. In den vergangenen Monaten veranstaltete die EZB einen "Banken-TÜV", bei dem sie nach versteckten Risiken in den Bilanzen der größten europäischen Geldhäuser fahndete.

Milliardenschwere Verluste, über Jahre verschleiert, wurden plötzlich publik. Zudem stärkten die Institute laut Notenbankangaben ihr Eigenkapital um rund 200 Milliarden Euro, um für künftige Krisen besser gerüstet zu sein. Den Abschluss des "Banken-TÜVs" bildete Ende Oktober ein sogenannter Stresstest. Die meisten Banken bestanden ihn ohne Probleme. Die EZB sieht sich darum für die einheitliche Aufsicht gerüstet. 

… die zweite Säule bleibt umstritten …

Weitaus umstrittener als die erste ist die zweite Säule - also die zur Bankenabwicklung. Dass "marode Institute endlich aus dem Markt ausscheiden müssen", wie Finanzprofessor Wahrenburg sagt, in diesem Ziel sind sich zwar Politiker wie Experten weitgehend einig. Doch wer soll das entscheiden? Und wer kommt dafür auf?

Im Frühjahr einigten sich die Regierungen und das Europaparlament immerhin auf einen groben Kompromiss. Bei künftigen Bankenschieflagen sollen statt der Steuerzahler die Gläubiger stärker zur Kasse gebeten werden. Die entsprechenden Regeln sind allerdings eher weich formuliert.

Zwar gilt nun: Ist die Lage einer Bank aussichtslos, soll sie abgewickelt werden. Binnen acht Jahren müssen die Banken dafür einen 55 Milliarden Euro schweren Abwicklungstopf befüllen. Ob das reicht, bezweifeln Experten jedoch. Und auch, wer in letzter Konsequenz entscheidet, ob man eine wackelnde Bank tatsächlich abwickelt, ist bislang nur vordergründig geklärt.

… und dritte Säule ist ein Säulchen

Und die dritte Säule? Man kann argumentieren, dass die längst steht - denn seit ein paar Jahren funktioniert die Einlagensicherung europaweit nach denselben Regeln. Man kann aber auch argumentieren, dass diese Säule gar nicht existiert - denn die darüber hinaus von Brüssel angestrebte Einrichtung eines einheitlichen Sicherungsfonds, in den quasi alle europäischen Sparer einzahlen, scheiterte am Widerstand vor allem der deutschen Sparkassen und Volksbanken. 

Gibt es die europäische Bankenunion also überhaupt? Auf dem Papier ja. Was das neue Regime allerdings im Ernstfall wert sein wird, das muss sich in der nächsten Krise erst noch erweisen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 04. November 2014 um 09:30 Uhr.