Analyse des EZB-Bankenchecks Was der Stresstest verschweigt
Das gute Ergebnis übertüncht ein paar andere Erkenntnisse: Große Mengen fauler Kredite waren nicht als solche klassifiziert. Die Kapitaldecke vieler, auch deutscher Banken bleibt dünn. Und die Ertragslage der Branche ist prekär.
Von Heinz-Roger Dohms, tagesschau.de
Mit der Aktie der Commerzbank geschah am Morgen Wunderliches. Zunächst schoss der Kurs um rund zehn Prozent in die Höhe - schließlich hatte die vermeintliche Krisenbank den EZB-Stresstest ja nicht nur überlebt, sondern geradezu mit Bravour bestanden.
So steil die Aktie allerdings stieg, so schnell fiel sie bald auch wieder. Binnen weniger Stunden wechselten mehr Papiere den Besitzer, als sonst in mehreren Tagen, und je später der Morgen wurde, desto stärker gewannen die Pessimisten die Oberhand.
Trauen die Investoren den Ergebnissen vom Sonntag vielleicht nicht?
Der Stresstest ist ein beachtlicher Erfolg ...
Der Stresstest war ein beispielloser Kraftakt, gestemmt fast aus dem Nichts, mit Tausenden Prüfern, die innerhalb weniger Monate 130 Banken durchleuchteten - ein Projekt, das, nebenbei bemerkt, Hunderte Millionen Euro verschlang. Man möchte lieber nicht wissen, was in der Kürze der Zeit alles schief gelaufen ist, wo menschliche Fehler womöglich übersehen wurden, wo methodische Schwächen womöglich unerkannt blieben.
Trotzdem werden selbst Kritiker eingestehen, dass das Unterfangen unter dem Strich ein beachtlicher Erfolg war. So gründlich wie nie sind die Bilanzen der wichtigsten Banken im Euroraum durchleuchtet worden. Und: So ernst wie nie haben die Institute selbst den Test genommen.
Im Zuge des Bilanz-Checks stärkten die betroffenen Institut ihr Eigenkapital laut Notenbank mit rund 200 Milliarden Euro. Das erklärt zum Teil, warum letztlich nur 13 Institute durch den Test rasselten. Und warum der von der EZB festgestellte Kapitalbedarf mit zehn Milliarden Euro überraschend niedrig ausfällt.
... allerdings sind die Ergebnisse zweischneidig
Trotzdem wäre es zu kurz, die Bilanz des Stresstests auf "Durchfaller" und "Kapitalbedarf" zu reduzieren. So förderten die EZB-Prüfer beispielsweise zu Tage, dass die Banken ihre Vermögenswerte um satte 48 Milliarden Euro zu hoch angesetzt hatten; zudem kam heraus, dass ausfallgefährdete Kredite in Höhe von 136 Milliarden Euro in den Bilanzen gar nicht als "ausfallgefährdet" klassifiziert waren. "Das zeigt, wie großzügig viele nationale Aufseher in den vergangenen Jahren mit 'ihren' Banken umgegangen sind", meint Neil Williamson, Chefanalyst beim Vermögensverwalter Aberdeen Asset Management.
Hinzu kommt, dass die vollständige Analyse der von der EZB publizierten Daten "noch einige Tage dauern wird", wie der Ökonom Nicolas Véron vom Brüsseler Think Tank schätzt - schließlich umfassen die Ergebnisse des Checks Tausende Seiten. Bis sich ein finales Bild ergebe, könnte es noch Wochen oder Monate dauern, glaubt Véron. Denn: Womöglich wird der höhere Bestand an faulen Krediten in den 2014er-Bilanzen zu zusätzlichen Abschreibungen führen.
Das wilde Auf und Ab vieler europäischer Bankaktien am Montagmorgen spiegelt diese Ungewissheit. Die Papiere der italienischen Monte dei Paschi, die am deutlichsten von allen Banken durch den Test gefallen war, mussten zwischenzeitlich gar vom Handel ausgesetzt werden.
War das Stress-Szenario stressig genug?
Umstritten ist auch, ob die Annahmen, die die EZB ihrem Stress-Szenario zugrunde legte, streng genug waren - beziehungsweise: ob solch ein Test die Realität überhaupt hinreichend abbilden kann. Ein Beispiel: Eine möglicher Verfall der Preise in der Eurozone ("Deflation"), also jenes Szenario, vor dem EZB-Chef Mario Draghi seit Monaten warnt, kam im Stresstest überhaupt nicht vor.
"So ein Test kann immer nur bestimmte Annahmen simulieren", sagt Finanzprofessor Martin Faust von der Frankfurt School of Finance. "Die EZB wollte und konnte nicht alle möglichen Szenarien durchspielen. Sonst wäre der administrative Aufwand noch viel größer geworden." Faust empfiehlt, bei künftigen Tests die Annahmen zu verändern.
Die Kapitaldecke wird dicker - ist aber immer noch dünn
Die Hürde, die die EZB den Banken setzte, war verglichen mit früheren Stresstests zwar hoch - trotzdem bleibt sie willkürlich: Im Falle des simulierten Konjunktureinbruchs durfte die sogenannte Kernkapitalquote nicht unter 5,5 Prozent fallen. Zum Verständnis: Die Kennziffer bemisst, wie viel eigenes Kapital eine Bank in Relation zu den Risiken besitzt, die ihr aus Krediten und dem Wertpapiergeschäft erwachsen.
Manchen Kritikern zufolge müsste diese Quote um ein Vielfaches höher liegen, um die Banken wirklich sicher zu machen - so sieht das zum Beispiel der zwar streitbare, aber auch angesehene Bonner Finanzprofessor Martin Hellwig. Selbst ein eher moderater Branchenbeobachter wie Hellwigs Kollege Faust betont, "dass die deutschen Banken ihr Kapital mittelfristig weiter erhöhen müssen".
Einfach wird das freilich nicht: Die Geldinstitute in der Eurozone leiden unter den niedrigen Zinsen, der anhaltenden Konjunkturschwäche und neuen Konkurrenten wie Paypal. 2013 erwirtschaftete die Branche im Durchschnitt gerade noch eine Rendite von vier Prozent - viel zu wenig, um mit einbehaltenen Gewinnen das Kapital ausreichend zu stärken. Die Alternative wäre, neue Aktien zu emittieren. Doch wer investiert in eine Branche, die kaum noch Rendite erwirtschaftet? "Als letzte Möglichkeit bliebe eine Rekapitalisierung durch den Staat", sagt Faust. Doch das gilt politisch als nicht opportun.
24 von 25 - das klingt besser, als es ist
Vordergründig haben 24 von 25 deutschen Banken den Stresstest bestanden - und selbst die Münchener Hypothekenbank gehörte nur zu den "technischen" Durchfallern, denn sie hat ihr Kapital ausreichend aufgebessert, während der Test noch lief.
So souverän wie die Commerzbank oder auch die Deutsche Bank bewältigten allerdings nicht alle deutschen Geldhäuser den Test. Beim viertgrößten Geldinstitut hierzulande, der Frankfurter DZ Bank, fiel das Kernkapital im Stress-Szenario auf 6,0 Prozent, bei der HSH Nordbank war es mit 6,1 Prozent nur unwesentlich mehr.
Überhaupt fällt auf, dass sich gerade die Genossenschaftsbanken (die DZ Bank ist das Spitzeninstitut der Volks- und Raiffeisenbanken) und die zum Sparkassensektor zählenden Landesbanken schwertaten - obwohl die EZB eine Kernkapitaldefinition anlegte, die diesen Banken tendenziell entgegenkam.
"Die deutschen Banken sind heutzutage sicherer, als sie das vor ein paar Jahren noch waren - aber das heißt nicht, dass sie sicher sind", sagt Finanzprofessor Faust. "Nach dem Stresstest ist vor dem Stresstest", meinte Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret am Sonntag mit Blick auf die deutschen Institute. Für Entwarnung ist es zu früh.