Kursverluste Banken im Stress
Seit der SVB-Pleite ist auch die europäische Geldbranche nervös. Die Turbulenzen um die Credit Suisse verstärken die Sorgen. Bleibt die EZB bei ihrem angekündigten Zinsschritt um 0,5 Prozent? Daran wachsen Zweifel.
Ein Gespenst geht um in Europa - es ist das Gespenst der Bankenpleite. Seit Ende vergangener Woche in den USA die Silicon Valley Bank (SVB) dichtgemacht wurde, ist auch die europäische Geldbranche in Unruhe. Und als heute jäh die Frage der Finanzierung die Großbank Credit Suisse aufploppte, fielen Volkswirte in Alarmstimmung. Zwar spricht weiterhin vieles für eine Zinserhöhung um 0,5 Prozentpunkte durch den Rat der Europäischen Zentralbank am Donnerstag. Die Zweifel an diesem angekündigten Schritt wachsen jedoch.
Die arabische Saudi National Bank war vergangenes Jahr mit anderthalb Milliarden Dollar bei Credit Suisse eingestiegen. Ammar Al Khudairy, Vorstandsvorsitzender der Saudi National, sagte der Nachrichtenagentur Bloomberg, mehr Geld werde nicht überwiesen. Sein Institut habe keinerlei Interesse, mehr als die derzeit 9,8 Prozent der Aktien zu halten. Ab zehn Prozent drohen härtere Staatsaufsicht, höhere Transparenzvorschriften und strengere Regulierung.
In der seit der Silicon-Valley-Bank-Pleite nervösen Geldbranche sorgte das Interview für Kursverluste nahezu aller Bankaktien. Credit Suisse verlor zeitweise fast ein Drittel seines Börsenwerts. "Wir sind eine starke Bank", versuchte Vorstandsvorsitzender Ulrich Körner branchenuntypisch im Fernsehinterview zu beruhigen, "wir erfüllen und übertreffen im Grunde alle regulatorischen Anforderungen. Unsere Kapital- und Liquiditätsbasis ist sehr, sehr stark."
Kaum vergleichbare Situation der Banken
Die Unterschiede zwischen der mittelgroßen und schnell gewachsenen Silicon Valley Bank und dem etablierten Riesen Credit Suisse sind groß. Die US-Bank ging pleite, weil sie enorme Mengen festverzinslicher Anleihen gekauft und behalten hatte. Seit das Zinsniveau immer weiter steigt, sind diese niedrig verzinsten Papiere immer weniger wert. Das schwindende Vermögen ruinierte die Bank. Der Jahresabschluss von Credit Suisse zeigt demgegenüber, dass Anleihen drastisch verringert wurden und nur einen geringen Teil der Bilanz ausmachen.
Doch wenn sich Krisenstimmung breit macht, spielen verschiedene Fälle keine Rolle mehr. Eine Anti-Banken-Stimmung ist zu spüren.
Viele Volkswirte aus der Geldbranche versuchen, die Lage zu beruhigen. Sie weisen auf Unterschiede hin und versuchen, Europa in günstigeres Licht zu stellen. Sofern es sich um Angestellte von Banken handelt, ist ihr Eigeninteresse klar. Auch die Aufsichtsbehörde Bafin muss zu vorsichtiger Darstellung neigen. Sie gehört zum Bundesfinanzministerium. Dass die Bafin der Nachrichtenagentur Reuters erklärte, in Deutschland gebe es keine Anzeichen, dass Kunden ihr Geld von Banken abzögen, sagt wenig aus. Niemand stellt derzeit Hinweise auf "Bankruns" fest.
Viele halten Bankenkrise in Europa für unwahrscheinlich
Stimmen von außerhalb der möglichen Betroffenen und von jenseits politischer Rücksicht kommen nun besonderes Gewicht zu. Die Ratingagentur Moody’s wies noch am Dienstag darauf hin, dass europäische Banken viel weniger Anleihen in den Büchern haben als amerikanische. Daher sei es unwahrscheinlich, dass eine Bankenkrise in Amerika nach Europa schwappe. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Marcel Fratzscher beruhigte ebenfalls. Anders als bei der Bankenkrise 2008 läge das Problem nicht in schlechtem Banking. Ursache sei der schnelle Zinsanstieg. "Das hat viele kalt erwischt", sagte Fratzscher, der selbst lange bei der Europäischen Zentralbank gearbeitet hat.
Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, hatte angekündigt, dass bei der Sitzung des EZB-Rats am Donnerstag die Leitzinsen abermals um 0,5 Prozent erhöht werden sollte. Das würde Banken, ob sie nun auf niedrig verzinsten Wertpapieren sitzen oder ihnen Finanzierungsprobleme drohen könnten, weiter belasten.
Kommt das halbe Prozent?
Der Chefvolkswirt für Europa der Deutschen Bank, Mark Wall, war schon am Dienstag vorsichtig geworden. Angesichts eines "globalen Finanzschocks unbekannter Größe und Dauer" rechnet er nur noch mit 0,25 Prozentpunkten Zinsanstieg. Die meisten andern professionellen Beobachter ("ECB-Watchers") waren dagegen am Vormittag noch der Meinung, das halbe Prozent werde kommen. Je klarer die Probleme der Credit Suisse erschienen, desto vorsichtiger wurden die ECB-Watcher. "Ich kann mir vorstellen, dass die neue Unsicherheit die Entscheidung der EZB beeinflussen könnte", sagt der Chefvolkswirt der Deka-Bank, Ulrich Kater, dem Hessischen Rundfunk.
Sein Commerzbank-Kollege Jörg Krämer hatte am Morgen noch eine Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent für die Zinserhöhung ausgemacht und dem Hessischen Rundfunk gesagt: "Auch ich erwarte einen Zinsschritt in dieser Höhe." Angesichts der hohen Unruhe durch Credit Suisse wurde er zurückhaltender. Marktdaten zeigten Mittwoch spätnachmittags die Erwartung der Mehrheit von nur einem Viertelprozentpunkt Zinserhöhung.
Enorme Folgen für Volkswirtschaften möglich
Dass pleitegefährdete Banken - wie aktuell in den USA - vom Staat gestützt und gerettet werden, wird vielfach kritisch gesehen. Gern wird behauptet, der Staat schlage sich auf die Seite des Großkapitals, während mittlere und kleine Unternehmen dem kalten Wind des Marktes ausgesetzt seien. Tatsächlich hätte der Ausfall einer Großbank enorme Folgen für Volkswirtschaften. Nicht nur hochverdienende Banker verlören ihren Job, sondern es würden große Werte vernichtet: Angefangen bei Einlagen von Privaten über Anlagen von Pensions- und Aktienfonds bis hin zur wegbrechenden Finanzierung zahlreicher Unternehmen.
Probleme von Banken sind Gift für das gesamte Wirtschaftsleben. "Aber so ist das eben, wenn man aus dem Land, wo Milch und Honig fließt (= die Nullzinszeit) wieder in die Normalität (= normale Zinsen von 3 bis 4 Prozent) vertrieben wird", sagt Deka-Chefvolkswirt Kater sarkastisch. "Bis man sich wieder dran gewöhnt hat, ist es zwischenzeitlich ganz schön unbequem."