EU-Gipfel vor Debatte über Euro-Bonds Gemeinsam Geld leihen hilft nicht allen
Die Debatte um europäische Staatsanleihen, sogenannte Euro-Bonds, spaltet die Mitglieder der Eurozone. Die Argumente zeigen: Es geht nicht nur um Kosten - das ganze Projekt Euro steht auf dem Prüfstand. Luxemburgs Premier Juncker will auf dem EU-Gipfel für seine Idee werben.
Von Klaus-Rainer Jackisch, HR, für tagesschau.de
Jean-Claude Juncker ist kein Mann, den man schnell auf die Palme bringt. Der Luxemburger Premier und Chef der Eurogruppe gilt als geschickter Diplomat, der es versteht, Kompromisse zu finden. Doch das harte Veto der Bundesregierung gegen seine Idee der Euro-Bonds veranlasste ihn, ungewöhnlich scharf auszuteilen: Deutschland denke "da ein bisschen simpel", so der Finanzexperte in der "Zeit". Das Verhalten der Bundesregierung sei "uneuropäisch". Die Eurogruppe brauche jetzt Solidarität und nicht national-staatliches Denken.
Juncker weiß, dass die Gemeinschaftswährung vor einer Zerreißprobe steht und dass sein eigenes Taktieren in den vergangenen Monaten ziemlich ungeschickt war. Deshalb preist er seine Idee der Euro-Bonds jetzt als Lösung für die Eurozone, mit der er gleichzeitig Führungsstärke beweisen will. Doch worum geht es bei seinem Vorschlag genau?
Schlechte Kreditwürdigkeit zwingt bisher zu höheren Zinsen
Nach dem Juncker-Plan sollen Euro-Bonds künftig einen Großteil der Finanzierung der Euro-Staaten übernehmen. Bislang geben alle Euro-Länder eigene Staatsanleihen heraus und zahlen je nach ihrer Kreditwürdigkeit unterschiedlich hohe Zinsen. Länder, die solide gewirtschaftet haben, wie etwa Deutschland, zahlen für zehnjährige Staatsanleihen derzeit einen Zinssatz von knapp drei Prozent. Länder, die hoch verschuldet sind und massive wirtschaftliche Probleme haben, wie etwa Griechenland, müssen fast zwölf Prozent aufbringen.
Das höhere Ausfall-Risiko lässt die Zinsen steigen. Denn die Tatsache, dass ein Land weniger solide wirtschaftet, lassen sich die Anleger teuer bezahlen. Dadurch wird es für diese Länder aber noch schwieriger, ihre Probleme in den Griff zu bekommen. Die unterschiedlichen Zinssätze ermöglichen es aber auch Spekulanten an den Finanzmärkten, die Nationen in der Eurogruppe gegeneinander auszuspielen.
Zinssatz für Euro-Bonds läge bei etwa vier Prozent
Damit soll nun Schluss sein, ginge es nach Junckers Willen. Denn die von ihm propagierten Euro-Bonds würden von allen Euro-Staaten gemeinsam herausgegeben und hätten damit einen einheitlichen Zinssatz. Dieser dürfte sich um die Marke von vier Prozent bewegen. Damit läge er unter den Zinssätzen von Griechen und Iren, aber über denen von Deutschen und Niederländern. Schwache Länder wie Griechenland und Irland würden frisches Geld damit zu besseren Konditionen als jetzt erhalten. Solide Länder wie Deutschland und die Niederlande müssten hingegen mehr zahlen, weil sie quasi indirekt über die Euro-Bonds die Risiken der schwachen Länder mit schultern würden.
Nach dem Juncker-Plan würden sich die Länder nur zum Teil über Euro-Bonds finanzieren, nämlich maximal zu 40 Prozent. Der Rest würde weiter über eigene Staatsanleihen abgewickelt. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat errechnet, dass der Juncker-Plan für Deutschland Mehrbelastungen von rund 17 Milliarden Euro verursachen würde. Genau dazu ist Berlin nicht bereit.
Mehr Macht für Brüssel?
Aber nicht nur die Kosten, die umverteilt und teilweise auf die starken Länder abgewälzt würden, spielen eine Rolle. Im Kern geht es vielmehr um die Frage, ob die Staaten bereit sind, weitere Souveränitätsrechte nach Brüssel zu übertragen. Das Haushaltsrecht ist die zentrale Hoheitsgewalt eines jeden Staates. Würden Euro-Bonds herausgegeben, würde dieses Recht teilweise auf eine europäische Institution übertragen, die diese Euro-Bonds herausgibt. Im Gespräch ist eine Europäische Schuldenagentur. Die Nationalstaaten würden einen weiteren Teil ihrer Souveränität verlieren.
Damit ist die seit Jahren schlummernde Frage, ob eine Wirtschaftsunion auch eine politische Union braucht, wieder voll entbrannt. Sie war schon einer der zentralen Streitpunkte bei der Einführung des Euro. Doch damals entschied man sich, diesen Aspekt auszuklammern, weil die Staaten auf keinen gemeinsamen Nenner kamen. In einer politischen Union würden die Länder enger zusammenrücken und weitere Souveränitätsrechte, wie eben das Haushaltsrecht, auf Brüsseler Institutionen übertragen.
Dazu wären umfangreiche Änderungen in den Europäischen Verträgen und den nationalen Verfassungen notwendig. Doch bereits die bisher letzten Änderungen, insbesondere des Vertrages von Lissabon, waren für die EU ein zermürbender Kraftakt. Kritiker fürchten, dass eine weitere Änderung bei den jetzt diskutierten zentralen Souveränitätsrechten die Union sprengen könnte - zumal die Stimmung der Bevölkerung im Zuge der Euro-Krise in vielen Ländern zunehmend antieuropäisch wird.
Große Meinungsunterschiede in der Eurozone
Die Positionen der einzelnen Länder zu den Euro-Bonds sind sehr unterschiedlich: Italien hat signalisiert, den Juncker-Vorstoß zu unterstützen. Das ist verständlich, denn Rom ist wegen seiner hohen Verschuldung möglicherweise bald der nächste Kandidat, der europäische Hilfe benötigen könnte. Frankreich will zunächst die politische Union vorantreiben. Erst wenn diese existiere, so das Denken im Elysée, gäbe es eine Basis für die Euro-Bonds. Die Bundesregierung sieht das ähnlich. Sie ist nicht generell gegen eine politische Union, will sich im Zuge der jetzigen Euro-Bonds-Debatte aber nicht unter Druck setzen lassen. Ohne den Rahmen einer politischen Union kommt für sie die Einführung von Euro-Bonds nicht in Frage.
Hintergrund ist die Sorge, dass sich die Eurozone im Zuge der Debatte zu einer Transferunion entwickeln könnte, in der starke Länder direkt schwache Länder unterstützen müssten. Damit würde Deutschland endgültig zum Zahlmeister in der Eurozone, so die Überlegung, die auch vom ehemaligen Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, Ottmar Issing, geteilt wird: "Durch Euro-Bonds wird der Steuerzahler ohne jedes Mitspracherecht zu Transferzahlungen gezwungen", sagt er. "Das halte ich für zutiefst undemokratisch."
Euro-Bonds mindern Sanierungsdruck ...
Die Gegner argumentieren auch, dass schwache Länder durch die Euro-Bonds einen Anreiz verlören, besser zu wirtschaften. Denn sie wüssten ja, dass sie von den starken Ländern gestützt würden. Da die Zinsen, die sie zahlen müssten, durch die Euro-Bonds niedriger wären als für die eigenen Staatsanleihen, gäbe es keinen Druck, die Haushalte zu sanieren. Die Folge: Der Schlendrian in diesen Ländern würde noch unterstützt.
... aber Deutschland kann sich die Alternativen nicht leisten
Die Befürworter argumentieren, Deutschland müsse die Kröte der Euro-Bonds schlucken. Schließlich profitiere es als Europa-Exportmeister überproportional stark von der Eurozone. Einen möglichen Kollaps des Euro und ein Zurück-zur-D-Mark als diskutierte Alternative könne sich das Land nicht leisten. Es würde teurer kommen, als über Euro-Bonds die Union zu stützen. "Und deswegen sollten wir auch bereit sein, im Zweifelsfall etwas dafür zu bezahlen", so der Wirtschaftsweise Peter Bofinger in der ARD. Eine baldige Lösung der Krise sei notwendig, weil die Gemeinschaftswährung durch den Vertrauensverlust noch mehr Schaden nähme. Und auch dies könne zum Auseinanderbrechen der Währungsunion führen.
Die Euro-Bonds-Debatte hat es also in sich: Es geht nicht nur um Geld und um Transferzahlungen. Es geht im Kern vielmehr um die Zukunft und die Überlebensfähigkeit der Europäischen Union. Kein Wunder, dass sich alle Beteiligten schwer tun, dieses heiße Eisen anzugehen. Auf Juncker, den Chef der Eurogruppe, und die gesamte Europäische Union kommen schwere Zeiten zu.