Interview mit Ökonom Bräuninger "Der Euro könnte einen Staatsbankrott verkraften"
Der Euro in der Krise? Wirtschaftsexperte Bräuninger will davon nichts wissen. Die Gemeinschaftswährung könnte mit dem Bankrott eines einzelnen Staates leben, sagt er im Interview mit tagesschau.de. Voraussetzung sei aber ein robustes Bankensystem. Dauerhaft krisensicher werde der Euro-Raum nur mit festen Regeln und strikter Haushaltskontrolle.
tagesschau.de: Die Schuldenkrise hält Europa in Atem. Manche Stimmen warnen schon vor einem Auseinanderbrechen des Euro. Wie müsste man sich das denn vorstellen?
Michael Bräuninger: Es wäre technisch möglich, dass der Euro-Raum zerfällt. In vielen Staaten würde das zu einer tiefen Krise führen. Auch für Deutschland hätte das gravierende negative Konsequenzen. Denn der Euro-Raum ist ein wichtiger Absatzmarkt für uns. Insofern würde das eine erhebliche Unsicherheit und Instabilität bringen. Wenn Griechenland zum Beispiel aus dem Euro-Raum ausscheiden würde, würde die nationale Währung dort eine starke Abwertung hinnehmen müssen. Die Schulden bestünden aber weiterhin in Euro, die Zinszahlungen müssten entsprechend weiterhin auf die Euro-Schulden geleistet werden. Das würde einen Staatsbankrott letztlich erzwingen.
tagesschau.de: Wie gefährdet ist der Euro?
Bräuninger: Aus meiner Sicht haben wir keine Krise des Euro, keine Währungskrise, sondern eine politische Krise im europäischen Währungsgebiet. Der Euro als Währung könnte den Ausfall einzelner Staaten durchaus verkraften, ohne dass es deswegen zu einem Zusammenbruch der Währung käme.
tagesschau.de: Was muss geschehen, damit nach Irland und Griechenland nicht noch weitere Staaten in den Strudel gerissen werden?
Bräuninger: Man muss den Ländern mit ihren Altschulden helfen. Das Problem dabei ist: Wenn wir diesen Ländern helfen, dann signalisieren wir, dass man sich auch zukünftig keine Gedanken um solide Staatsfinanzen machen müsste. Insofern muss man diesen Staaten gleichzeitig sehr, sehr strikte Regeln für die künftige Neuverschuldung auferlegen. Oder sie aber zu einer soliden Haushaltsführung zwingen, indem die neu ausgegebenen Bonds von vornherein die Möglichkeit eines Staatsbankrotts beinhalten. Solche Klauseln sehen vor, dass im Falle eines Ausfalls Gläubiger und Staat privatwirtschaftliche Verhandlungen führen können.
Prof. Dr. Michael Bräuninger ist Forschungsdirektor am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) und Professor an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Sein Forschungsbereich umfasst konjunkturelle und langfristige wirtschaftliche Analysen.
tagesschau.de: Haben Europas Politiker mit ihren Rettungsaktionen also alles richtig gemacht?
Bräuninger: Es war alternativlos zu helfen. Die Alternative wäre, den Euroraum aufzulösen mit all den negativen Konsequenzen, die es aus meiner Sicht zu vermeiden gilt. Sicher wäre es besser gewesen, wenn das Ganze kontrollierter und geplanter abgelaufen wäre. Aber man kann den Politikern das nicht vorwerfen, denn niemand hat diese Entwicklung vorhergesehen.
tagesschau.de: Was muss langfristig geschehen, um den Euro-Raum krisenfester zu machen?
Bräuninger: Langfristig muss jeder Euro-Staat starken Regeln unterworfen werden. Und es muss kontrolliert werden, ob sie sich daran halten. Genauso wichtig ist es aber, dass wir das Bankensystem konsolidieren und robuster machen, so dass es den Ausfall eines Eurostaates, also einen Staatsbankrott, auch überstehen würde. Denn im Augenblick können wir Staatsbankrotte nicht zulassen, weil wir das Bankensystem gefährden würden. Der Euro könnte aber durchaus mit dem Staatsbankrott eines einzelnen Landes leben. Das würde bedeuten, dass die Schulden eines Landes nur teilweise zurückgezahlt werden. Das wäre ein Ausfall für die Gläubiger - was aber nicht bedeutet, dass dann die Währung zusammenbricht.
tagesschau.de: Sie fordern strikte Regeln für die Haushaltsführung. Brauchen wir eine Neuauflage des Stabilitätspakts oder andere, neue Regeln?
Bräuninger: Wir haben den Pakt aufgeweicht und letztlich zerstört. Die alten Regeln haben nicht gegriffen. Deswegen müssten wir viel stärker privatwirtschaftlich vorgehen und die Staatsinsolvenz als Möglichkeit von vornherein vorsehen.
Das Interview führte Claudia Witte, tagesschau.de.