Hilfspakete, Kredite, Kurzarbeit Was die EU in der Corona-Krise macht
Es sind gigantische Summen, mit denen die EU die europäische Wirtschaft in der Corona-Krise retten will. Woher kommt das Geld? Reichen die 500 Milliarden? Droht ein Zerfall der EU?
Auf welche europäischen Hilfszahlungen in der Corona-Krise hat sich die EU bisher verständigt?
Zentral ist das insgesamt gut 500 Milliarden Euro schwere Paket, auf das sich die europäischen Finanzminister vor zwei Wochen nach zähen Verhandlungen geeinigt haben. Es besteht aus drei Teilen: aus Krediten für die Mitgliedsstaaten aus dem Euro-Rettungsfonds ESM, aus Darlehen und Bürgschaften für kleinere und mittlere Unternehmen von der europäischen Investitionsbank und aus einem Unterstützungsprogramm der EU-Kommission für die Finanzierung von Kurzarbeit in allen EU-Ländern.
Die 500 Milliarden kommen nicht aus dem EU-Haushalt, sondern aus gesonderten Töpfen. Auf den ESM beispielsweise hatten sich die EU-Staaten schon vor rund zehn Jahren nach der internationalen Finanzkrise verständigt. Eigentlich sollte er dazu dienen, nur einzelne wirtschaftlich ins Straucheln geratene Euro-Länder zu stabilisieren. Jetzt habe man ihn zweckentfremdet, sagen Kritiker.
Die Europäische Investitionsbank kann selbst Anleihen herausbringen und damit weitere Kredite vergeben, das wird sie in dieser Krise tun; und das Programm für Kurzarbeit ist ebenfalls kreditfinanziert, auch wenn die Mitgliedsstaaten 25 Prozent der Ausgaben dafür garantieren.
Neben diesem großen Rettungspaket gibt es weitere kleinere Zahlungen aus dem laufenden Haushalt der EU - etwa für Landwirte, Fischer, für Corona-Forschungsprojekte oder für die Beschaffung von medizinischer Ausrüstung.
Wie kommen diese Gelder zu den Menschen in den Mitgliedsstaaten?
In aller Regel nicht auf direktem Weg, weil es sich vor allem um die Unterstützung der öffentlichen Haushalte in den Mitgliedsstaaten handelt. Wenn ein Euro-Staat beispielsweise Kreditmittel aus dem ESM beantragen möchte, muss er nachweisen, dass dieses Geld im Gesundheitswesen zur Corona-Bekämpfung eingesetzt wird - die einzelnen Mitgliedsländer leiten die Summen dann selbst weiter in die konkreten Projekte. Bisher hat allerdings noch kein Staat ESM-Mittel wegen der Corona-Krise beantragt.
Auch mit dem Finanzierungsprogramm für Kurzarbeit werden die Mitgliedsländer unterstützt, jedenfalls dann, wenn sie Kurzarbeit staatlich organisieren. Auf diese Weise profitiert auch Deutschland, weil Kurzarbeit in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten ein bewährtes Instrument in Krisenzeiten ist.
Kredite oder Garantien der Europäischen Investitionsbank dagegen können Unternehmen direkt beantragen, ausgezahlt werden sie dann gegebenenfalls von Partnerbanken.
Reichen die 500 Milliarden Euro, um die ökonomischen Folgen der Krise zu bewältigen?
Das wird nicht reichen. Dieser Meinung sind die meisten Experten. Denn es wird ein massiver Einbruch der Wirtschaftsleistung in der gesamten EU erwartet. Optimistische Schätzungen gehen von einem Minus von zehn Prozent aus, andere schließen auch 20 Prozent Rückgang beim europäischen BIP nicht aus.
Das bedeutet: Die Arbeitslosigkeit wird zunehmen - in ökonomisch schon vor Corona angeschlagenen Staaten wie Italien besonders massiv. Es wird viele Unternehmenspleiten geben, die Steuereinnahmen der öffentlichen Haushalte werden drastisch sinken und Privatleute werden weniger Geld haben, um es auszugeben, was wiederum Umsätze und Gewinne der Unternehmen schwächt.
Es kommt also eine schwere Rezession auf Europa zu, manch einer spricht schon von einer drohenden ökonomischen Depression. Um dem etwas entgegen zu setzen, müssten nicht nur die einzelnen EU-Staaten viel Geld in die Hand nehmen, sondern auch die EU insgesamt, sagen Wirtschaftsforscher. Die Rede ist von mindestens weiteren 1000 Milliarden Euro, wahrscheinlich ist noch deutlich mehr notwendig.
Wie will die EU diese gewaltige Aufgabe finanzieren?
Das ist noch nicht klar. Allerdings spricht man in Brüssel von einem Wiederaufbau-Programm für die europäische Wirtschaft nach dem Ende der akuten Corona-Krise. Also dann, wenn die Infektionszahlen nachhaltig sinken.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verlangt einen "Marshallplan für die Europäische Union" – nach dem Vorbild des massiven Konjunkturprogramms, das die USA nach dem Zweiten Weltkrieg zum Wiederaufbau Europas auf den Weg gebracht hatten. Jetzt, nach Corona, müssen es die Europäer allerdings ohne die USA schaffen.
Das Wort von einem Recovery-Fund, einem Wiederaufbau-Fond, macht die Runde: Das wäre ein großes, gemeinsames und solidarisches Finanzierungsinstrument. Von der Leyen möchte einen solchen Fonds gern in den künftigen EU-Haushalt integrieren, auf dessen Finanzrahmen sich die EU-Staaten noch nicht geeinigt haben.
Von deutscher Seite heißt es allerdings, es sei noch viel zu früh, um über einen solchen Fonds zu verhandeln - was man in Italien, Spanien und Frankreich anders sieht. Tatsache ist allerdings, dass reichere EU-Staaten im nördlichen Europa fürchten, auf Dauer die ärmeren im Süden mitfinanzieren zu müssen. Deshalb rechnet man mit langen Verhandlungen und mit viel Streit.
In der Krise wurde immer wieder über Corona-Bonds diskutiert. Warum beharrt vor allem Italien darauf?
Das Land ist von Corona besonders hart getroffen und hatte schon vor der Krise erhebliche ökonomische Schwierigkeiten. Vor allem schleppt Italien einen massiven Schuldenberg von gut 130 Prozent der eigenen Wirtschaftskraft mit sich.
Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte fordert gemeinsame Schulden in Form von Corona-Bonds.
Die Regierung in Rom befürchtet: Wenn sie sich nun wegen der Corona-Folgen weiter verschulden muss, dann könnten internationale Gläubiger für zusätzliche Kredite deutlich höhere Zinsen verlangen. Das würde Italien in eine Schuldenspirale treiben und Europa möglicherweise in eine neue Finanzkrise. Corona-Bonds, also gemeinsame europäische Schulden, könnten dieses Risiko verringern und Italien stabilisieren. Deutschland, die Niederlande, Österreich und Finnland lehnen solche Bonds aber ab - sie verweisen auf die Europäischen Verträge, die eine gemeinsame Staatsfinanzierung ausschließen.
Droht angesichts des Streits über die Corona-Bonds möglicherweise ein Zerfall der EU oder ein Ende des Euro?
Das ist zumindest ein Szenario, das einige Wirtschaftsforscher nicht ausschließen wollen. Wobei der Grund dafür weniger der Streit um die Frage der Finanzierung der Corona-Folgen ist, sondern vielmehr die Wucht dieser Folgen an sich. Der Deutsche Klaus Regling, Chef des Euro-Rettungsfonds ESM, weist ausdrücklich darauf hin, dass der Wiederaufbau der EU-Wirtschaft nach Corona in einem Gleichklang erfolgen müsse, und zwar in der gesamten EU. Ansonsten drohe eine Fragmentierung von Binnenmarkt und Eurozone - mit anderen Worten: tatsächlich ein Zerfall.