Zahlreiche Strommasten sind in Schleswig-Holstein zu sehen.
Reportage

Energieintensive Unternehmen Viele Sorgen trotz voller Auftragsbücher

Stand: 29.12.2022 16:11 Uhr

Die Energiepreise sind hoch, die Regierung will mit einem Preisdeckel bis zum Frühjahr helfen. Trotz guter Auftragslage fürchten energieintensive Betriebe um ihre Zukunft. Ein Besuch in einer hochmodernen Gießerei. 

Es zischt, raucht und rattert in der Produktionshalle bei der Gießerei Aco Guss in Kaiserslautern. Gabelstapler fahren hin und her und Arbeiter in silbernen Schutzanzügen stehen an Schmelzöfen. Auf Transportbändern werden glühende Eisenteile transportiert. "Wir sind ein energieintensiver Betrieb", sagt Geschäftsführer Stefan Weber. "Und genau das stellt uns vor immer größere Probleme - nicht, weil unsere Produkte nicht mehr gefragt sind, sondern weil sich die Standortbedingungen ständig verschlechtern."  

Aco Guss ist eine mittelständische Eisengießerei in Kaiserslautern mit etwa 400 Mitarbeitern. Hier werden Gussteile für den Schienenverkehr, Maschinenbau, Nutzfahrzeuge oder auch Bau- und Landmaschinen hergestellt. Der Betrieb arbeitet mit modernen, energieeffizienten Elektro-Induktionsöfen. Aco Guss verbraucht jährlich dennoch etwa 50.000 Megawattstunden Strom - vor allem für die Schmelzprozesse. Genau das macht Geschäftsführer Weber Sorgen.   

Hoffen auf günstige Preise am Spotmarkt

"Wir haben noch einen älteren Stromvertrag mit einigermaßen vernünftigen Preisen, der bis Ende 2022 läuft. Ab dem 1. Januar müssen wir auf günstige Preise am Spotmarkt hoffen. Das heißt: Alle 15 Minuten ändert sich der Preis", erklärt der Geschäftsführer. "Morgens und abends ist Strom sehr teuer. Mittags hängt das Preisniveau davon ab, ob die Sonne scheint oder der Wind weht."

Auch Betriebsrat Jörg Harz schaut sorgenvoll auf das preisliche Auf- und Ab an der Strombörse. "Die Kollegen können dem Strom nicht einfach so hinterherproduzieren”, sagt Harz. "Schaut man nur auf den Strompreis, müssten wir eigentlich nur nachts und am Wochenende arbeiten. Das ist der Belegschaft nicht zuzumuten, die jetzt schon sehr flexibel ist." Weber nickt.    

Ein Stromanbieter für das gesamte Produktionsjahr mit festen Preisen sei bei dem enormen Bedarf von Aco Guss nicht mehr zu bekommen, so Weber. “Energieintensive Betriebe sind auf dem Markt inzwischen ein Risiko. Geht ein Betrieb insolvent oder braucht nicht so viel Strom, hat der Stromanbieter bei diesen Marktpreisen schnell ein eigenes Problem. Der muss ja vorher selber einkaufen."

Derzeit kostet Aco Guss eine Kilowattstunde Strom noch 18 Cent. Nach vorsichtigen Kalkulationen dürfte der Betrieb aber im nächsten Jahr mindestens 40 Cent zahlen. Dieser Kostenanstieg sei auch durch Energiesparmaßnahmen nicht ansatzweise auszugleichen. "Die Gießerei ist sehr energieeffizient. Technisch ist die Anlage an den physikalischen Grenzen", erklärt Harz.    

“Wir haben ein Stromproblem”

Hier soll eigentlich der Strom-Preisdeckel der Bundesregierung helfen. "Nein", sagt Weber und schüttelt mit dem Kopf. “Der Deckel hilft uns wenig. Es gibt zu viele Ausnahmen und Bedingungen. Wir bekommen bestenfalls 3,5 Millionen Euro Entlastung für das gesamte Energieaufkommen hier am Standort Kaiserslautern. Aber alleine für Strom werden wir wohl rund 11 Millionen mehr zahlen müssen", rechnet er vor. Der Deckel sei viel zu kompliziert und löse das Strukturproblem nicht - nämlich dauerhaft wettbewerbsfähige Energiepreise.  "Auch wenn die Bundesregierung etwas anderes behauptet: Wir haben ein Stromproblem."    

Stimmung im Mittelstand ist sehr gedrückt

In Berlin ordnet Matthias Bianchi die letzten Zahlen für 2022. Er arbeitet beim Deutschen Mittelstands-Bund (DMB). Die aktuelle Stimmung in kleinen und mittleren Betrieben ist überwiegend schlecht. Nach einer branchenübergreifenden Umfrage sehen sich mehr als 51 Prozent wegen der im internationalen Vergleich sehr hohen Energiekosten dauerhaft in ihrer Existenz bedroht. 

"Die Situation ist paradox: Viele Firmen haben volle Auftragsbücher. Sie nehmen aber immer weniger neue Bestellungen an und arbeiten die alten Aufträge nur noch ab. Sie wissen nicht, ob sie auch in ein paar Monaten noch kostendeckend produzieren können", zieht Bianchi eine ernüchternde Bilanz. Und: Je energieintensiver der Betrieb, desto größer seien die Zukunftssorgen.   

Das habe, so Bianchi, zahlreiche Konsequenzen. Aufgrund der großen Unsicherheit würden Investitionen aufgeschoben. Dadurch drohe die Gefahr, langfristig an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren - vor allem bei der Digitalisierung. "Die Politik auf Bundes- und Landesebene hat sich zu lange auf guten Konjunkturdaten ausgeruht. Das fällt jetzt in vielen Bereichen auf die Wirtschaft zurück", so Bianchi. Eine Verlagerung ins Ausland wie bei Konzernen sei für die kleinen und mittleren Betriebe nicht möglich. “Unsere Unternehmen sind an ihre Standorte gebunden - sie fühlen sich der jeweiligen Region, ihren Belegschaften verbunden und könnten das auch finanziell nicht stemmen. Sie sind dem Standort auf Gedeih und Verderb ausgeliefert." 

Angst um Arbeitsplätze

In Kaiserslautern stellt sich Aco Guss jetzt auf Mehrkosten von mindestens acht Millionen Euro für 2023 ein. Lohnt sich dann das Arbeiten überhaupt noch? "Das wissen wir nicht. Das entscheiden am Ende unsere Kunden", spekuliert Geschäftsführer Weber. "Wenn wir nicht mehr produzieren, übernehmen das unsere Konkurrenten in Indien. Dort schmelzen die Gießereien aber noch mit Koks. Mit Deindustrialisierung hierzulande ist dem Klima nicht geholfen", so Weber.

Und in der Belegschaft werden die Sorgen um die Arbeitsplätze größer. "Wir fürchten sogar schon Kurzarbeit. Das wären zwar 80 Prozent des Gehaltes, aber nach den Corona-Lockdowns sind die Rücklagen der Kollegen aufgebraucht. Alle sparen jetzt schon, wo sie können", so Betriebsrat Harz. "Am Ende setze ich wie Herr Weber auf die Qualität unserer Arbeit und die Wertschätzung unserer Kunden. Eigentlich wollen wir doch nur zu fairen Löhnen unsere Arbeit machen."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 27. Dezember 2022 um 10:00 Uhr.