Erneuter Umsatzschwund im Februar Wie tief reicht die Krise im Einzelhandel?
Die Kunden können sich für einen Euro immer weniger leisten, auch mit Folgen für den Einzelhandel. Dieser rechnet 2023 mit dem größten Umsatzrückgang seit der Finanzkrise. Die ersten Geschäfte mussten ihre Tore bereits schließen.
Die Geschäfte der deutschen Einzelhändler kommen wegen der Kaufkraftverluste ihrer Kunden nicht in Schwung. Sie setzten im Februar 0,5 Prozent weniger um als im Vormonat, wie das Statistische Bundesamt heute mitteilte. Grund sind vor allem die hohen Lebensmittelpreise. Inflationsbereinigt, also real, sank der Umsatz sogar um 1,3 Prozent.
Der Rückgang kommt überraschend: Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten hier mit einem Wachstum von 0,5 Prozent gerechnet. Im Vergleich zum Vorjahresmonat verzeichnete der Einzelhandel sogar ein reales Umsatzminus von 7,1 Prozent.
Die anhaltend hohe Inflation mindert die Kaufkraft der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland. Die Menschen können sich für einen Euro weniger leisten. Das dämpft den Privatkonsum. "Inflationsbedingte Kaufkraftverluste machen vielen Haushalten zu schaffen", erläuterte das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung unlängst.
Preise dürften schneller als Löhne steigen
Den Beschäftigten droht das vierte Jahr in Folge mit Reallohneinbußen, da die Preise nach Prognose von Ökonomen erneut schneller als die Löhne steigen dürften. "Ein Konsum-Comeback verhindern vor allem steigende Nahrungsmittelpreise", sagte der Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank, Alexander Krüger. "In der aktuellen Magerzeit ist schwer erkennbar, wo eine Konsumwende herkommen soll. Hohe Lohnabschlüsse werden nur kurzzeitig für Erleichterung sorgen, da sie die Preiserhöhungen von morgen sind."
Gegen den Trend nahm der reale Umsatz im Einzelhandel mit Lebensmitteln im Februar zu, wenn auch nur um 0,2 Prozent zum Vormonat. "Damit erholte sich der Umsatz im Lebensmitteleinzelhandel in den ersten beiden Monaten des Jahres leicht vom Umsatztief im Dezember", betonten die Statistiker. Ende des vergangenen Jahres war er so niedrig ausgefallen wie seit über acht Jahren nicht mehr, was mit den um mehr als ein Fünftel gestiegenen Lebensmittelpreisen erklärt wird. Im Internet- und Versandhandel zog der Umsatz um 4,0 Prozent zum Vormonat an.
Größter Umsatzrückgang seit Finanzkrise
Der deutsche Einzelhandel rechnet in diesem Jahr wegen der hohen Inflation mit dem größten Umsatzschwund seit der globalen Finanzkrise 2009. Inflationsbereinigt dürfte er um drei Prozent sinken, sagte der Handelsverband Deutschland (HDE) kürzlich voraus.
In den vergangenen Tagen und Wochen bekamen viele Einzelhändler die gesunkene Kauflust der Kundinnen und Kunden zu spüren. So meldete diese Woche etwa die Osnabrücker Schuhhandelskette Reno mit rund 180 Filialen und etwa 1000 Mitarbeitern nur ein halbes Jahr nach einem Eigentümerwechsel Insolvenz an.
Dabei habe mehr als jedes zehnte Schuhgeschäft im vergangenen Jahr seine Türen für immer geschlossen, berichtete kürzlich der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Textil Schuhe Lederwaren (BTE), Rolf Pangels. Insgesamt verringerte sich die Zahl der Schuhgeschäfte nach Berechnungen des Verbands binnen Jahresfrist um 1500 oder 13 Prozent auf rund 10.000. Auch der bekannte Schuhhändler Görtz musste im vergangenen September ein Schutzschirmverfahren beantragen.
Schutzschirmverfahren und Umsatzeinbrüche
Peek & Cloppenburg KG Düsseldorf ging diesen Schritt Anfang diesen Monats - das verstärkte Online-Engagement war hier mehr Be- als Entlastung. Doch auch die Auswirkungen der Corona-Pandemie wie auch steigende Zinsen und höhere Kosten spielten eine Rolle für die finanzielle Schieflage. Eine Schließung der 67 Häuser sei nach aktuellen Planungen zumindest nicht beabsichtigt.
Die Handelskette Galeria Karstadt Kaufhof (GKK) steckt derzeit mitten in einem Sanierungsplan, der das Überleben der Kaufhauskette sichern soll. Dennoch sollen 47 Filialen geschlossen werden, wovon rund ein Viertel der insgesamt knapp 16.000 Mitarbeiter betroffen sein dürften.
Auch der Online-Modehändler Zalando leidet unter der abnehmenden Kauffreude vieler Kunden. Der Nettogewinn des Unternehmens brach im vergangenen Jahr deutlich ein. Unter dem Strich verdiente Zalando 16,8 Millionen Euro - nach 234,5 Millionen Euro ein Jahr davor. Man erkenne Veränderungen im Kundenverhalten, bestimmte Preisschwellen bei Kaufentscheidungen hätten sich verschoben, sagte dazu Co-Geschäftsführer David Schneider. "Auf der einen Seite gibt es einen Trend zu geringeren Preislagen, auf der anderen Seite bleibt das Designer- und Luxus-Segment stabil." Zalando selbst hatte im Februar mitgeteilt, dass Hunderte Stellen gestrichen werden sollen, Details dazu ließ das Unternehmen aber bis zuletzt offen.
Und auch der Hamburger Versandhändler Otto meldete kürzlich einen Umsatzeinbruch von fast zwölf Prozent im vergangenen Jahr. Die Verbraucher hätten wegen der hohen Inflation weniger Geld im Portemonnaie, erklärte Bereichsvorstand Marc Opelt den Einbruch des abgelaufenen Jahres. "Entsprechend meiden sie Spontankäufe, verzichten häufiger auf Markenprodukte und stellen größere Kaufentscheidungen zurück", so Opelt.
Händler, die der Flaute trotzen
Doch es gibt auch Händler, denen die durch die Inflation ausgelöste Zurückhaltung vieler Menschen beim Bekleidungskauf nichts ausmacht. Dazu gehört Deutschlands größter Schuhhändler Deichmannn. Das Familienunternehmen erzielte 2022 erstmals einen Bruttoumsatz von mehr als acht Milliarden Euro und übertraf damit sogar das Niveau des letzten Vor-Corona-Jahres 2019 um 23 Prozent.
"Wir stehen für ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Deshalb kommen die Menschen in Krisenzeiten zu uns", sagte Firmenchef Heinrich Deichmann. "Schuhe für 120 Euro sehe ich erst einmal nicht bei uns", sagte der Unternehmer.
Hoffen aufs Ostergeschäft
Impulse erhoffen sich die Einzelhändler nun vom anstehenden Ostergeschäft. Erwartet werden Einnahmen von 2,2 Milliarden Euro, wie der Handelsverband Deutschland schätzt.
"Die Handelsunternehmen hoffen angesichts des schwierigen Umfelds mit hoher Inflation und der vielen Ungewissheiten infolge des russischen Krieges in der Ukraine auf ein gutes Ostergeschäft und einen positiven Impuls für die Konsumstimmung", sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Ostern ist nach Weihnachten der zweitgrößte feiertagsbezogene Anlass für den Konsum.