BDI-Klimakongress in Berlin Deutsche Industrie "nach hinten durchgereicht"?
Damit Deutschland leistungsfähig bleibt, fordert Industriepräsident Russwurm Tempo bei Entlastungen und Genehmigungen. Wirtschaftsminister Habeck schätzt die Chancen auf einen Industriestrompreis derweil auf 50 Prozent.
Die deutsche Industrie fordert von der Bundesregierung mehr Tempo bei der Verbesserung der Standortbedingungen in Deutschland. Das von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vielbeschworene neue "Deutschland-Tempo" wie beim Aufbau der Flüssiggasinfrastruktur sei nur in Einzelfällen auszumachen, sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, beim "Klimakongress" seines Verbands. So brauche etwa der Transport nur einer Windturbine durch Deutschland rund 150 Genehmigungen, die nächste Turbine dann wieder die gleichen.
"Wir stehen ohne Wenn und Aber dazu, dass wir dekarbonisieren müssen", stellte Russwurm im Gespräch mit tagesschau24 klar. Das müsse aber so gelingen, dass das Industrie- und Exportland Deutschland weiterhin leistungsfähig bleibe - auch, um sich diese Transformation zu einer klimaneutralen Industrie überhaupt leisten zu können. Dazu seien mehr Tempo sowie schnellere Genehmigungsverfahren und Verbesserungen in der Bürokratie nötig.
Industrie fordert Absenkung der Stromsteuer
Wenn man so weitermache wie bisher, werde Deutschland im internationalen Wettbewerb weiter "nach hinten durchgereicht". "Wir verlieren Unternehmen, wir verlieren Wertschöpfung", so der BDI-Präsident. Er kritisierte mit Blick auf den vorgeschlagenen "Deutschland-Pakt", Bund und Länder zeigten aufeinander, und es gehe nichts voran.
Scholz will mit dem Pakt unter anderem die Genehmigungsverfahren beschleunigen. Der Kanzler müsse nun Führung zeigen, und die Regierung müsse trotz knapper Kassen Prioritäten setzen. Bei der Modernisierung der Infrastruktur gibt es Russwurm zufolge zu oft Schneckentempo, es brauche eine bessere Zusammenarbeit aller staatlichen Ebenen.
Konkret in Gefahr sei derzeit besonders die energieintensive Industrie. "Industrielle Produktion wird zunehmend eingeschränkt und verlagert", warnte der BDI-Präsident, ohne Zahlen zu nennen. Die Energiepreise seien im europäischen Vergleich viel zu hoch. "Eine Absenkung der Stromsteuer auf das EU-Mindestmaß und eine Senkung der Netzentgelte wären für alle Verbraucher eine große Entlastung."
Habeck schätzt Wahrscheinlichkeit für Industriestrompreis auf 50 Prozent
Angesichts der im internationalen Vergleich hohen Energiepreise debattiert die Ampelkoalition seit Wochen darüber, wie Unternehmen entlastet werden sollen. Dabei gibt es aber zum Teil unterschiedliche Auffassungen zwischen SPD, Grünen und FDP. Im Raum steht neben der Senkung der Stromsteuer auch ein Industriestrompreis für besonders energieintensive Firmen. Beides würde Milliarden kosten - bei begrenzten finanziellen Mittel im Bundeshaushalt.
Trotz Widerstands innerhalb der Regierung setzt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck weiter auf einen nach unten subventionierten Strompreis für die energieintensive Industrie. Die Chancen, dass dieser am Ende komme, stünden bei 50 Prozent, sagte der Grünen-Politiker bei der BDI-Konferenz.
Bei der energieintensiven Industrie gehe es wegen der aktuell sehr hohen Strompreise um die Existenz: "Die Produktionseinbrüche sind ja da." Sie seien dramatisch, rund 20 Prozent in den vergangenen Monaten.
Habeck will den Strompreis bis 2030 bei sechs Cent pro Kilowattstunde deckeln, aber nur für bestimmte Bereiche wie Chemie oder Stahl. Der vergünstigte Tarif würde für 80 Prozent des Basisverbrauchs gelten, um einen Anreiz zum Sparen zu setzen. Es müsse das Ziel sein, dass diese Firmen weiter in Deutschland investierten und an den Standort glaubten. Scholz und Finanzminister Christian Lindner (FDP) sind bislang skeptisch.
IEA hält 1,5-Grad-Ziel noch für erreichbar
Auf dem Klimakongress des BDI diskutieren Experten, Politiker, Branchenvertreter und weitere Gäste zwei Tage lang über die Frage, wie Deutschland "den globalen Wettlauf der grünen Transformation" gewinnen kann. Die Umstellung der Industrie auf nachhaltige Technologien gilt als eine der wichtigsten Herausforderung in der Bekämpfung des Klimawandels.
Doch nur bei verstärkten Anstrengungen hält die Internationale Energie-Agentur (IEA) eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad noch für erreichbar. Eine Voraussetzung sei eine rasche Beschleunigung von Klimaschutzbemühungen und internationaler Kooperation, teilte die IEA heute in Paris mit.
Um auf dem richtigen Weg zu bleiben, müssten fast alle Länder ihre angestrebte Klimaneutralität vorverlegen. Eine schnellere Klimawende in den Industrieländern könne Schwellen- und Entwicklungsländern mehr Zeit für den Wandel geben, betont die IEA in ihrer neuen Analyse. In diesen Ländern müssten noch deutlich mehr Investitionen für den Klimaschutz mobilisiert werden.