Konvois für Windkraftanlagen Transportstau bremst die Energiewende aus
Der Ausbau der Windkraft stockt - auch wegen unbearbeiteter Anträge für Schwertransporte. Rund 150 Genehmigungen sind in Deutschland für den Transport eines einzigen Windrads nötig. Das dauert Wochen.
Letzte Vorbereitungen, dann geht es endlich los. Zwölf Wochen hat Kai Westphal, Transportverantwortlicher des Windanlagenherstellers Vestas, darauf gewartet. Die Genehmigungen wurden von den Behörden mal wieder sehr schleppend bearbeitet. Der Konvoi mit den drei jeweils 80 Meter langen Flügeln muss aber dringend vom einzigen deutschen Lagerhafen Cuxhaven zum künftigen Standort.
Bei zwölf Wochen Verspätung entstünden enorme Kosten, erklärt Westphal. Schon ein Tag Verspätung koste 30.000 Euro und mehr. Verzögerungen beim Transport seien allerdings kein Einzelfall. "Die mehr als 90 Meter langen Schwerlasttransporte können meist nicht den direkten Weg fahren, denn viele Straßen sind für sie zu eng oder in zu schlechtem Zustand. Auch um Kreisel kommen die Konvois nicht herum. Die wenigsten Kreisel in Deutschland wurden mit einer Durchfahrtsspur in der Mitte gebaut."
Bauarbeiter müssen deshalb mühsam Leitpfosten entfernen und die Spur mit Eisenplatten verbreitern. Ein weiteres Problem: Die Konvois dürfen nur in der Nacht fahren. Tagsüber brauchen sie Parkflächen. Doch von denen gibt es viel zu wenige.
Deutschlands Infrastruktur ist auf die riesigen Schwertransporte schlecht vorbereitet. Umbaumaßnahmen, gewaltige Umwege: All das kostet Geld. Ein Transport eines gesamten Windrades kann am Ende durchaus mehr als eine Million Euro kosten. "Und diese Kosten bleiben bei uns als Hersteller hängen. Das ist nicht etwas, was wir großartig weiterreichen können, sondern das ist das Risiko, was wir zu tragen haben."
Komplizierte Formulare, unklare Kosten, lange Wartezeit
Das Kostenrisiko kalkulierbar für die Kunden machen - das ist eine der Aufgaben der Spedition Balmer aus Holthusen in Mecklenburg-Vorpommern. Dazu inspizieren die Transportprofis jeden Abschnitt der möglichen Strecke, digital und persönlich. Der zweite und nicht weniger aufwendige Schritt: die Genehmigungen einholen.
Für eine Tour werden bis zu 60 Einzelgenehmigungen benötigt. Das sind nicht selten 100 Seiten Formulare. Sollte der beantragte Schwertransport am Abfahrtstag nur wenige Zentimeter länger oder kürzer werden oder das Gewicht nur wenige Kilogramm abweichen, erlischt die Genehmigung sofort. Die Bearbeitung dauert im Schnitt zwölf Wochen.
"Wir brauchen eine wesentlich kürzere Bearbeitung der Behörden, die müssen wesentlich schneller sein", sagt Marcel Siegel, Verkehrsleiter bei Balmer. "Manchmal müssen wir die Projekte verschieben, weil wir die Genehmigungen nicht erhalten. Erst heute habe ich einem Kunden sagen müssen, dass ich das Projekt nächste Woche nicht fahren kann, weil die Genehmigungen nicht vorwärts kommen."
Zum Vergleich: In den Niederlanden dauern solche Genehmigungsverfahren gerade mal ein bis fünf Tage. Doch in Deutschland scheitern schnelle Verfahren schon an den Ländergrenzen, weil jedes Bundesland eigene Vorschriften hat.
Verschlankung würde 90.000 Anträge sparen
Und selbst wenn die Genehmigungen da sind, ist der Transport noch immer nicht sicher. "Wir bekommen häufig nachts auf dem Anrufbeantworter die Infos von unseren Fahrern: 'Wir konnten nicht fahren, eine Nachtbaustelle mit drei Meter Durchfahrtsbreite', und es ist nichts in den Tools hinterlegt. Es weiß kein Amt darüber Bescheid. Und so etwas kann nicht sein. Wie soll man dann noch planen? Wie sollen die Kunden planen?", fragt sich Siegel.
Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) hat ausgerechnet, wie viel allein durch beschleunigte und verschlankte Genehmigungsverfahren eingespart werden könnte: Auf rund 90.000 Anträge pro Jahr könnte verzichten werden - das würde bis zu 70 Millionen Euro pro Jahr Kosten einsparen.
Die langen Genehmigungszeiten wirken sich mittlerweile massiv auf die von der Bundesregierung gesteckten Ziele zur Energiewende aus. Um das Ziel von jährlich zehn Megawatt zu erreichen, müssten eigentlich rund 2000 Anlagen an Land aufgestellt werden. Im Jahr 2022 waren es aber nur knapp über 550 Anlagen mit 2,4 Gigawatt. Will die Bundesregierung bis 2030 ihr Ziel erreichen, müssten ab dem Jahr 2025 etwa 30.000 Schwertransporte pro Jahr genehmigt werden.
Stand heute ist das unrealistisch. Deswegen sorgt sich die Opposition um die Energiesicherheit. "Die Bundesregierung hat beschlossen: raus aus Kernenergie, aus Gas. Für die Verstromung will man auch raus. Man will auch keine Kohle mehr. Und wenn jetzt der Ausbau der Windkraft nicht schnell genug vorangeht, dann haben wir ein echtes Stromproblem in Deutschland", sagt Christoph Ploß (CDU), Mitglied des Verkehrsausschusses im Bundestag. "Und dann befürchte ich wirklich, dass diese Energiepolitik der Ampelkoalition der Deindustrialisierung in Deutschland ordentlich Schub verleiht."
Ministerium plant neues Prüftool
Zuständig für die Behebung der Genehmigungsmissstände ist Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Sein Ministerium setzt auf eine Vereinheitlichung der Genehmigungen über Ländergrenzen hinweg. Ein gemeinsames digitales Beantragungssystem soll Abhilfe schaffen. Auf Anfrage heißt es vom Ministerium:
Die Autobahn GmbH arbeitet mit Hochdruck an den Vorbereitungen für die Einführung des autobahneigenen Prüftools GST.Autobahn. Dieses ist für den Sommer 2023 geplant; nach der Einführung ist eine erhebliche Vereinfachung und Beschleunigung der Antragsbearbeitung und ein Abbau der Rückstände zu erwarten.
"Das neue Tool der Autobahn GmbH ist ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung. Er geht aber nicht an den Kern des Problems", sagt Dennis Rendschmidt vom VDMA. "Was wir stattdessen brauchen, ist tatsächlich ein nationales Geoinformationssystem, indem auch alle Informationen hinterlegt sind über Baustellen, über Brücken, Belastungsgrenzen, über Maße von Autobahnausfahrten, über Rastplätze und dergleichen. Und wenn wir dieses Tool hätten, dann würden wir tatsächlich einen echten Fortschritt sehen."
Denn dann könnten alle am Transport Beteiligten - also Behörden, Speditionen und Hersteller - binnen Minuten Strecken auf ihre Eignung prüfen. Wenn dann noch die Vorschriften bundesweit vereinheitlicht würden, lägen auch in Deutschland die Genehmigungen wohl binnen Tagen vor.
Der Konvoi aus Cuxhaven hat zu seinem Ziel nach Steinburg zwei Nächte gebraucht. Eine weitere Windkraftanlage für die Energiewende hat ihr Ziel erreicht. Besser spät als nie.