Kundgebung der IG Metall
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Streit um Lohnerhöhungen Worauf die Metall-Tarifrunde hinauslaufen könnte

Stand: 20.09.2024 08:31 Uhr

Die IG Metall hat für die neue Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie eine harte Linie angekündigt. Dabei ist sie selbst in der Zwickmühle - und die Lage der Branche schwierig. Wie könnte ein Kompromiss aussehen?

Eine Analyse von Ingo Nathusius, HR

In den laufenden Tarifverhandlungen der Metall- und Elektroindustrie ist die Lage verzwickt. Die Führung der Industriegewerkschaft Metall sieht die schwierige Lage der Branche und ist gleichzeitig mit Forderungen aus der Mitgliedschaft nach deutlich höheren Gehältern konfrontiert. Das hat zu einer Forderung nach sieben Prozent mehr Gehalt geführt.

Auch in den Arbeitgeberverbänden ist grundsätzlich klar, dass auf Erwartungen der Belegschaften Rücksicht genommen werden muss. Das sorgt intern für Probleme, denn viele Verbandsmitglieder sehen es anders als ihre Verbandsfunktionäre. Manche sind bereits in wirtschaftlicher Not; viele befürchten, in Not zu geraten. Das betrifft mittlerweile auch große, ehemals kerngesunde Unternehmen. Die Arbeitgeber weisen die Gewerkschaftsforderung daher als völlig unrealistisch zurück.

Beschäftigte weniger belastet durch Inflation

Zwar waren die Aussichten der Metall- und Elektroindustrie schon trübe, als die Gewerkschaft ihre Tarifforderung vor einem Vierteljahr erhob: drastisch gestiegene Energiekosten in der energieintensiven Branche, Absatzprobleme in der wichtigen Autoindustrie, unklare Folgen der Umstellung auf Klimafreundlichkeit. Doch als Volkswagen vor drei Wochen ankündigte, den gewohnten freundlichen Umgang mit der Gewerkschaft zu hinterfragen und drastisch zu sparen, war klar, dass sich der Wind gedreht hat.

Ihre Sieben-Prozent-Forderung war der IG Metall intern von Anfang an nicht ganz geheuer. Dank bisheriger hoher Gehaltssteigerungen hatten Metaller keinen Reallohnverlust durch die ehemals hohe Inflation zu verkraften. Traditionell begründet die Gewerkschaft ihre Tarifforderungen mit einer offenen Formel aus Inflationserwartung, Produktivitätsfortschritt und Umverteilung. Das konnte dieses Jahr nicht reichen. Aus Befragungen und Diskussionen wussten die Tarifexperten in der Gewerkschaftszentrale, dass die Mitglieder mehr erwarten. Also wurde die Umverteilung von Wohlstand stärker betont. Das lässt sich in der neuerdings offensichtlich kritischen Lage der Branche schwierig begründen. 

Mitglieder zahlen hohe Beiträge

Die Gewerkschaft ist in einer Zwickmühle. Wichtig sind für sie Mitglieder, die in Unternehmen angestellt sind. Anders als Rentner und Arbeitslose sollen Angestellte einen Prozent ihres Bruttogehalts als Mitgliedsbeitrag zahlen. Das geschieht auch weitgehend, weil Leistungen wie der Rechtsschutz an korrekter Beitragszahlung hängen.

Die IG Metall nahm vergangenes Jahr 620 Millionen Euro ein. Ein Regionalgeschäftsführer der Gewerkschaft berichtet von Ingenieuren, die monatlich 100 Euro Beitrag zahlen. Den Angestellten der Metallindustrie dürfte der eigene Arbeitsplatz ein größeres Anliegen sein als vage Hoffnungen und Pläne zur Entwicklung des Unternehmens und der Branche.

Nicht um einzelne Jobs - um die Branche geht es

Der Gewerkschaft muss es dagegen um die gesamte Branche gehen. Nur wenn Unternehmen in Deutschland blühen und wachsen, kann sie neue Mitglieder gewinnen, was in den vergangenen Jahren mühsam geworden ist.

Ähnlich sieht es bei den Verbänden der Arbeitgeber aus. Sie verhandeln mit der Gewerkschaft die Tarifverträge. Wer Mitglied im Arbeitgeberverband ist, muss seine Belegschaft anschließend nach Tarif bezahlen. Um den teuren Metall- Tarifverträgen zu entgehen, sind in den 1990er-Jahren viele Unternehmer aus den Verbänden ausgetreten.

Die Folgen der Tarifflucht

Tarifflucht führte die Eigentümer Tausender kleiner und mittlerer Unternehmen nicht viel weiter. Viele tariffreie Unternehmer haben den Aufwand für dauernde Gehaltsdiskussionen mit der Belegschaft und dem Betriebsrat unterschätzt. Die Möglichkeiten, für qualifizierte Arbeit deutlich unter Tarif zu bezahlen, sind begrenzt. Das gilt allemal, seit Arbeitskräfte knapp geworden sind.

Die Gewerkschaft tat das Ihre, um Tariffreiheit unattraktiv zu machen. Sie knöpft sich gezielt einzelne tariffreie Unternehmen in der Provinz vor. Mit hohem Aufwand werden dort Mitglieder geworben und Betriebsräte durchgesetzt. Es kam auch schon zu lokalen Streiks.

Spielraum durch die Laufzeit

Wenn Unternehmer auch regelmäßig kein Verständnis für konkrete Lohnforderungen haben, stieg doch der Zuspruch zu zentralen Tarifverhandlungen. Erleichtert wird das, weil bei der IG Metall frühere Klassenkampfparolen keinen Platz mehr haben. Bei einem "Sozialpartner-Symposium" im April verabschiedeten Gewerkschaft und der Arbeitgeberverband Gesamtmetall eine gemeinsame Denkschrift, wie sich der Industriestandort Deutschland stützen lassen könnte.  

Eine Lösung des laufenden Tarifkonflikts sehen erfahrene Verhandler in der Laufzeit eines neuen Tarifvertrages. Die IG Metall hat sieben Prozent mehr Lohn für einen einjährigen Tarifvertrag gefordert. Schließt man aber einen länger laufenden Vertrag ab, können Gehaltssteigerungen, die in Summe sieben Prozent ergeben, zeitlich verteilt werden.

Das Ergebnis sähe für Gewerkschafter gut aus, würde Unternehmen aber nicht zu sehr belasten. Zudem praktizieren Gewerkschaft und Arbeitgeber ein System, das in Notfällen und besonderen Lagen Abweichungen vom Tarifniveau erlaubt. Diese Möglichkeiten könnten im neuen Tarifvertrag bestätigt oder gar erweitert werden, so meinen Kenner.