Protest von Lkw-Fahrern in Hessen Im Hungerstreik an der Autobahn
Wegen ausstehender Löhne streiken Lkw-Fahrer einer polnischen Spedition an der Autobahnraststätte Gräfenhausen in Südhessen. Die Situation spitzt sich zu - die Männer sind in den Hungerstreik getreten.
Es gibt eine Tankstelle, die Filiale einer Burgerkette, Parkplätze - Gräfenhausen-West bei Darmstadt an der A 5 ist eine gewöhnliche Autobahnraststätte. Doch was sich hier seit neun Wochen abspielt, hat Bestürzung ausgelöst.
Weil ihr Arbeitgeber seit Mai die Löhne nicht mehr zahlte, parkten Dutzende Fahrer bereits im Juli ihre blauen Laster samt Anhänger auf dem Rasthof - zunächst auf unbestimmte Zeit. Zwischenzeitlich waren es bis zu 150 Männer, die aus Usbekistan, Georgien, Kasachstan und Tadschikistan stammen. "No Money" haben sie auf die Plane eines Aufliegers geschrieben, "kein Geld".
Ein Lkw-Fahrer hält in Gräfenhausen-West ein Blatt hoch, auf das er die Summe geschrieben hat, die sein Arbeitgeber ihm schulde.
Es geht um viel Geld: insgesamt um mehr als 500.000 Euro, die den Streikenden nach eigenen Angaben zustehen. Angestellt sind sie bei der polnischen Spedition Mazur - oder einer ihrer Tochterfirmen. Und Mazur geht mitunter ruppig vor: Als im Frühjahr schon einmal rund 60 Lkw-Fahrer in Gräfenhausen ausharrten, erschienen Männer in schwarz mit einem gepanzerten Geländewagen, um den Fernfahrern ihre Lastwagen wegzunehmen. Von einer "paramilitärischen Einheit" war die Rede.
Spediteur zeigt Fahrer an
Ein Großaufgebot der Polizei konnte damals Schlimmeres verhindern. Doch das Entsetzen war groß. Die Politik schaltete sich ein, Europaabgeordnete besuchten die Raststätte, Ende April zahlte die Spedition - 300.000 Euro, wie es damals hieß. Wohl auch, weil Kunden Druck machten und ihre Ware wollten.
Doch das war offensichtlich nur eine kurzfristige Lösung. Als sich die Fernfahrer Mitte Juli zum zweiten Mal in Gräfenhausen zum Streik verabredeten, zeigte der polnische Spediteur seine Mitarbeiter bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt wegen Erpressung an. "Eine bodenlose Frechheit", urteilt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB).
"Meine Familie wartet auf das Geld"
Weil sich die Lkw-Fahrer immer noch nicht gehört fühlen, griffen sie diese Woche zu einem drastischen Mittel. Seit Dienstag verweigern 30 der 84 verbliebenen Fahrer die Nahrungsaufnahme. So wie ein 53-Jähriger, dem nach eigenen Angaben mehr als 5300 Euro zustehen: "Ich bleibe so lange im Hungerstreik, bis Mazur zahlt."
Entschlossen ist auch Shukhrat, ein Usbeke, er hat vier Kinder in der Heimat. "Ich hoffe, dass ich den Hungerstreik durchstehe. Und dass am Ende alles gut wird", sagte er dem hr. Seiner Familie will er lieber nicht sagen, dass er beim Hungerstreik mitmacht.
Erfahrung mit Hungerstreiks hat hier keiner. Auch nicht Vladimir aus Georgien. Der 49-Jährige sorgt sich um seine Angehörigen, vor allem die vierjährige Tochter. "Meine Familie in Georgien hungert seit Monaten und wartet auf das Geld, das mir zusteht. Deswegen gehe auch ich in den Hungerstreik."
Unterstützung durch Gewerkschaft
Unterstützung erhalten die Fahrer von der europäischen Transportarbeiter-Gewerkschaft. Den niederländischen Gewerkschafter Edwin Atema bestimmten die Trucker zum Verhandlungsführer. Der Hungerstreik zeige, wie groß die Verzweiflung nach mehr als zwei Monaten auf dem Rastplatz an der A5 sei, sagt er.
Denn die Umstände sind prekär. Die meisten Männer schlafen auf Matratzen in den Anhängern, die inzwischen teilweise leergeräumt sind.
Gewerkschafter Atema hätte den Hungerstreik zwar gerne verhindert. "Hungerstreik ist auch neu für mich. Und das ist für mich total bekloppt", sagt der Niederländer. Aber wer könne den Fahrern eine Perspektive bieten?
Schwierige Vertragsverhältnisse
Warum werden die Fahrer nicht bei deutschen Speditionen angestellt? Schließlich suchen die händeringend Fachkräfte. Doch die Rechtslage ist kompliziert. Weil die Trucker allesamt aus Nicht-EU-Staaten kommen, sind Fragen zu Aufenthaltsgenehmigung, Arbeitserlaubnis und Anerkennung des Führerscheins nicht einfach zu beantworten.
Die protestierenden Fahrer kommen aus Usbekistan, Georgien, Kasachstan oder Tadschikistan. Sie geben die Hoffnung nicht auf, ihren Lohn zu erhalten.
Verhandlungsführer Atema sieht die Kunden der polnischen Spedition in der Pflicht. Große deutsche Logistikunternehmen, Handelsketten und Automobilkonzerne - für sie transportieren die Fernfahrer Waren quer durch Europa. Sie sollten den ausstehenden Lohn direkt an die Männer aus Osteuropa und Zentralasien zahlen, sagt Atema. Dass der Spediteur zahlt, glaubt er nicht. Verhandlungen gibt es derzeit keine, auch auf Medienanfragen hat das Unternehmen seit Wochen nicht reagiert.
"Leider die Regel in der Logistikbranche"
Die Kunden wiederum wiesen die Verantwortung von sich, so der Gewerkschafter Atema. "Man denkt, Menschenrechtsverbrechen gibt es nur in Afrika. Aber das ist Gräfenhausen."
Seit langem kritisieren Arbeitnehmer-Vertreter die Umstände, unter denen Beschäftigte im Transportgewerbe tätig sind. "Mit ihrer Aktion haben die Fahrer auf ausbeuterische Arbeitsbedingungen in der Logistikbranche hingewiesen, die leider keine Einzelfälle, sondern die Regel in der europäischen Logistikbranche sind", sagte Stefan Körzell, Mitglied im DGB-Bundesvorstand, schon beim ersten Streik im Frühjahr.
Die Lkw-Fahrer sind zu allem entschlossen. Sie wollen im Hungerstreik bleiben, bis sie ihren Lohn erhalten. "Ein bisschen Hoffnung haben wir noch", sagt der aus Usbekistan stammende Adkhamjon. Doch im Moment ist eine Lösung nicht in Sicht.
Mit Informationen von Lars Hofmann.