Lkw-Fahrermangel Deutsche Speditionen ausgebremst
Etwa 100.000 Lkw-Fahrer fehlen in Deutschland. Viele Speditionen würden gerne Fahrer aus sogenannten Drittstaaten wie der Ukraine einstellen. Doch anders als in anderen EU-Ländern stehen Vorschriften dem im Weg.
Transportunternehmer Horst Kottmeyer hat ein Problem: Auf seinem Betriebsgelände in Bad Oeynhausen stehen täglich bis zu zehn Lkw, die eigentlich unterwegs sein sollten. Es mangelt ihm nicht an Aufträgen, sondern an Lkw-Fahrern für seine Transportaufträge. "Es ist schwer, neue Fahrer zu finden", beklagt sich Kottmeyer.
Der Job des Kraftfahrers oder der Kraftfahrerin ist vor allem bei jüngeren Menschen nicht mehr attraktiv. Das habe mehrere Gründe: Termindruck, Zeitdruck, Parkplatzsuche auf Raststätten. Aber vor allem "muss man ganz klar sagen, dass die Fahrer nicht so entlohnt werden, wie es sein müsste", räumt der Unternehmer ein. "Wir stehen eben unter Druck, werden mit Osteuropäern verglichen, die vielleicht ein Drittel der Lohnkosten haben wie wir. Und die uns als Westeuropäern natürlich auf dem Markt auch noch die Preise kaputt machen."
Preisdruck auf dem Rücken von Truckern
Ein Preisdruck, der auch auf dem Rücken von Truckern aus Nicht-EU-Ländern ausgetragen wird. Wochenlang haben usbekische und georgische Fahrer auf der Raststätte Gräfenhausen an der A5 bei Darmstadt gestreikt. Sie arbeiten für eine polnische Spedition, warten aber teilweise seit Monaten auf ihr Geld, so der Vorwurf der Fahrer.
"Ich möchte doch gar kein Extrageld haben, sondern nur das, wofür ich gearbeitet habe", sagt der Georgier Koba Kvantaliani. Und sein usbekischer Kollege Sakhibov Baron bemängelt zudem noch die geringe Wertschätzung. "Es geht uns darum, dass es mal eine Zeit gab, wo wir als Menschen wertgeschätzt wurden. Das scheint vorbei zu sein." Der Inhaber des Transportunternehmens mit Sitz in der Nähe von Krakau widerspricht allerdings den Vorwürfen der Fahrer. Man habe immer fristgemäß bezahlt. "Ich schulde ihnen gar nichts", so Lukasz Mazur.
Polnische Spedition arbeitet mit Dienstleistungsverträgen
Die usbekischen und georgischen Fahrer verdienen bei der polnischen Speditionsgruppe AZMAZ/LUKMAZ bis zu 80 Euro am Tag. Das ergibt 1600 Euro im Monat. Der Haken: Die Fahrer sind gar nicht angestellt bei der polnischen Spedition. Sie arbeiten auf der Grundlage von sogenannten Dienstleistungsverträgen als (schein)selbständige Lkw-Fahrer.
Der polnische Speditionsinhaber sieht darin kein Problem. "Bei der Beschäftigung gebe ich den Fahrern die Wahl: Möchtest du einen Dienstleistungsvertrag oder einen Arbeitsvertrag haben?", betont Mazur. Und er möchte klarstellen: "Ich als Unternehmer kann nach polnischem Recht so einen Dienstleistungsvertrag nutzen." Er spart dabei natürlich auch die Sozialabgaben. So kann er die westeuropäische Konkurrenz mit billigen Arbeitskräften aus östlichen Nicht-EU-Ländern ausstechen.
"Es existiert ein unbeschreiblicher Dumpingwettbewerb", kritisiert Stefan Körzell vom DGB-Bundesvorstand. "Der Billigste bekommt den Auftrag. Die Fahrer sind wochenlang in Deutschland und in Westeuropa unterwegs. Hier gibt es auch kriminelle Arbeitgeber, die die Not von Menschen, die wenig verdienen in ihren Heimatländern, gnadenlos ausnutzen."
Abzüge für Reparaturen am Lkw
Diese billigen Arbeitskräfte aus Georgien und Usbekistan müssen bei der polnischen Spedition noch eine weitere Kröte schlucken. Denn Reparaturen am Lkw werden ihnen mit bis zu 700 Euro pro Schaden in Rechnung gestellt. Der monatliche Verdienst von 1600 Euro brutto kann da schnell auf 900 Euro brutto zusammenschrumpfen.
Genau diese hohen Abzüge sind der Auslöser für den Streik auf der Raststätte Gräfenhausen in Hessen. "Die polnische Spedition lässt sich einiges einfallen, um uns zu drücken", beklagt sich Lkw-Fahrer Koba Kvantaliani. "Die Lkw sind versichert, aber sie graben alle möglichen Schäden aus. Ich hatte am Lkw einen kleinen Schaden an der Stoßstange unten. Die Spedition hat dafür 486 Euro abgezogen."
Führerscheine gelten nicht bei Anstellung in Deutschland
Bei deutschen Transportunternehmen verdienen Lkw-Fahrer zwischen 2800 und 3000 Euro brutto plus steuerfreier Spesen. Und sie sind festangestellt. Ein Konstrukt mit Dienstleistungsverträgen wie in Polen ist in Deutschland nicht erlaubt. Viele der auf der Raststätte Gräfenhausen streikenden Lkw-Fahrer würden deshalb sehr gerne für deutsche Speditionen arbeiten. Doch das ist so ohne weiteres gar nicht möglich, erklärt Dirk Engelhardt vom Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL e.V.).
"In Deutschland müssen diese Fahrer den kompletten Führerschein neu erwerben: Pkw-Führerschein, Lkw-Führerschein. Und nach dem Berufskraftfahrerqualifikationsgesetz noch einmal eine zusätzliche Prüfung - theoretisch - ablegen. Diese Prüfung wird allerdings nur in deutscher Sprache angeboten. Und daran scheitert das Ganze."
"Warum darf er jetzt nicht bei uns anfangen?"
Seit 1968 gibt es das sogenannte Wiener Abkommen über den Straßenverkehr. Es regelt unter anderem die gegenseitige Anerkennung von Führerscheinen. 95 Länder sind inzwischen diesem Abkommen beigetreten, darunter neben Deutschland auch Usbekistan und Georgien. Allerdings gilt dieses Abkommen in Deutschland nur für jene Personen aus Nicht-EU-Ländern, die vorübergehend - zum Beispiel als Touristen oder im Transit - durch Deutschland fahren.
Es gilt nicht, wenn Personen wie die Lkw-Fahrer aus Usbekistan und Georgien hier dauerhaft wohnen oder arbeiten. Dann ist ein EU-Führerschein notwendig. Oder aber ein Führerschein aus einem Land, das auf der sogenannten Anlage 11 zur Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr steht. Mit diesen Ländern hat Deutschland bilaterale Verträge geschlossen. Georgien und Usbekistan gehören nicht dazu. Fahrer aus diesen Ländern dürfen also durch Deutschland fahren, wenn sie für ausländische Speditionen tätig sind. Aber nicht, wenn sie hier arbeiten oder wohnen.
Baltische Staaten legen es großzügiger aus
Ein Ärgernis für den Transportunternehmer Kottmeyer aus Ostwestfalen. Er wollte selbst gerade erst einen Fahrer aus einem sogenannten Drittstaat einstellen, erzählt er. Doch auch dessen Führerscheine - Pkw und Lkw - werden nicht anerkannt. "Ein Fahrer aus der Ukraine. Er ist jahrelang kreuz und quer durch Westeuropa gefahren für eine litauische Spedition. Warum kann er das nicht für eine deutsche Spedition machen? Der Mann hat Erfahrung, er war in Spanien, er war in England, er war in Skandinavien. Warum darf er jetzt nicht bei uns anfangen?"
Im Gegensatz zu Deutschland legen Polen oder auch die baltischen Staaten das Wiener Abkommen mit den 95 Vertragsstaaten deutlich großzügiger aus, erläutert Dirk Engelhardt vom Bundesverband der Transportbranche. "Dort kann man ohne zusätzliche Prüfung diesen Führerschein in einen polnischen Führerschein umschreiben lassen." Dann können diese Fahrer über Speditionen aus einem Drittland wie Polen in Deutschland Transporte durchführen. "Und die deutschen Unternehmer können diese Fahrer eben nicht einsetzen und haben Fahrermangel. Und es führt zu einem Sozialdumping", kritisiert Engelhardt.
Eskalation bei streikenden Lkw-Fahrern
Dieses Sozialdumping führt schließlich zu Situationen wie auf der Raststätte Gräfenhausen bei Darmstadt. Dort eskaliert der Streik der Lkw-Fahrer kurz vor Ostern. Der polnische Speditionsinhaber Mazur will seine Trucks zurückholen, mit Unterstützung eines polnischen Sicherheitsdienstes. Die Männer von Rutkowski Patrol rücken mit schusssicheren Westen und einem gepanzerten Fahrzeug an - sie erzeugen eher den Eindruck einer Spezialeinheit.
Es kommt zu Handgreiflichkeiten mit den streikenden Lkw-Fahrern. Die Polizei verhindert schließlich mit einem Großaufgebot gewalttätige Auseinandersetzungen. Das Panzerauto wird vorübergehend beschlagnahmt und 16 Personen vorläufig festgenommen: die privaten polnischen Sicherheitskräfte und der Speditionsinhaber. Ein Ereignis, das den Gewerkschafter Körzell fassungslos macht. "Ich war überrascht, dass so etwas möglich ist. Ich frage mich überhaupt, wie ein solches Panzerfahrzeug durch halb Deutschland fahren kann, ohne dass das irgendjemand auffällt."
Einsatz einer Sicherheitsfirma gegen Lkw-Fahrer
Chef der polnischen Sicherheitsfirma ist Krzysztof Rutkowski: ein Privatdetektiv, der vor allem in den 1990er- und den ersten 2000er-Jahren auch im Auftrag von deutschen Versicherungen gestohlene Autos aufgespürt hat. Und dabei gerne auch einmal mutmaßliche Autodiebe mit bewaffneten Einsätzen dingfest machte.
Jetzt wurden seine Leute - zumindest vorübergehend - in Deutschland dingfest gemacht. Das wiederum macht ihn wütend. "Haben die Deutschen schon vergessen, wer mit seinem Leib und Leben ihr Vermögen, ihre Autos zurückgebracht hat? Das Sprichwort: Kaum gestohlen, schon in Polen. Haben sie das schon vergessen?" Mittlerweile konzentriere er sich mehr auf den Eigentums- und Personenschutz. Das sei auch der Auftrag für die polnische Spedition gewesen: Personenschutz für den Inhaber Mazur.
Rutkowski liebt den großen Auftritt. Bei einem Besuch auf seinem Anwesen in der Nähe von Lodz präsentiert er stolz sein gepanzertes Einsatzfahrzeug. Umgerechnet rund 600.000 Euro soll es gekostet haben. Beim Einsatz auf der Raststätte in Hessen vermittelte es aber eher den Eindruck einer Eingreiftruppe, um die Lkw-Fahrer einzuschüchtern. Rutkowski sieht das etwas anders. "Ach, das ist normal. Das ist unser Dienstfahrzeug." Man sei doch schließlich in Deutschland noch mit einem weiteren normalen Pkw gewesen. "Aber Panzerauto: Warum nicht?! Das ist ein Dienstfahrzeug vom Büro Rutkowski."
Einigung mit polnischer Spedition
Der Streik auf der Raststätte an der A5 bei Darmstadt ist inzwischen beendet. Lkw-Fahrer und die polnische Spedition haben eine Einigung erzielt. Jeder streikende Lkw-Fahrer erhält noch einmal zwischen 1000 und 2000 Euro, offenbar als Ausgleich für die Abzüge. Der polnische Speditionsinhaber Mazur fühlt sich trotzdem zu Unrecht als Verbrecher an den Pranger gestellt. Er habe keinen Fahrer gezwungen, für seine Firmen zu arbeiten. "Haben die Fahrer nur Arbeitserlaubnisse für meine Firmen AGMAZ, LUKMAZ, IMPERIAL und dürfen woanders nicht arbeiten? Nein. Sie haben Zugang zum Markt in ganz Polen, in ganz Europa. Nur die Deutschen haben wohl eigene Vorschriften."
Für die Anerkennung von ausländischen Führerscheinen ist in Deutschland das Bundesverkehrsministerium federführend verantwortlich. Dort wird betont, dass man kontinuierlich an Vereinbarungen mit interessierten Drittstaaten arbeite. "Der Abschluss einer solchen Gegenseitigkeitsvereinbarung setzt jedoch stets eine Vergleichbarkeit des Ausbildungs- und Prüfungsniveaus sowie der Straßenverkehrssicherheit und der Verkehrsverhältnisse des Staates mit denen in Deutschland voraus", so das Statement aus dem Hause von Bundesverkehrsminister Volker Wissing.
Zudem wolle man den Vorschlag für eine EU-weite Anerkennung von Drittstaaten-Führerscheinen der EU-Kommission prüfen. Die EU-Kommission hat im März den Entwurf einer vierten Führerscheinrichtlinie vorgelegt. Diese sieht auch einheitliche Regelungen innerhalb der EU für die Anerkennung von Führerscheinen aus sogenannten Drittstaaten vor. Die Mitgliedsstaaten können diesen Entwurf nun prüfen. Dann muss die neue Richtlinie vom EU-Parlament abgesegnet werden. Und schließlich muss Deutschland diese Richtlinie noch in nationales Recht umsetzen.
Keine Verbesserung in naher Zukunft
Das heißt: Für deutsche Transportunternehmer wie Kottmeyer ändert sich auf absehbare Zeit erst einmal nichts. Sieben bis acht neue Fahrer würde er sofort einstellen. Er könnte natürlich die Kosten für den Neuerwerb der Führerscheine übernehmen und die Fahrer aus sogenannten Drittstaaten in dieser Zeit bereits anstellen. Dann müsste er aber pro Fahrer rund 20.000 Euro investieren.
"Soll ich so eine Summe als potenzieller Arbeitgeber vorfinanzieren, ohne zu wissen: Besteht der Mann diese ganzen Prüfungen. Also das unternehmerische Risiko ist einfach zu groß", winkt Kottmeyer ab. Denn ein großes Hindernis sind für ihn die fehlenden Deutschkenntnisse vieler Fahrer aus Nicht-EU-Ländern. Die Prüfung vor der IHK zur Grundqualifikation als Berufskraftfahrer wird aber nur auf Deutsch angeboten.