Österreichisches Modell Wenn der Staat die Ausbildung garantiert
Zu wenig Fachkräfte, zu wenig Azubis - gleichzeitig immer mehr junge Leute ohne Schule, Ausbildung oder Job. Würde eine Ausbildungsgarantie helfen? Österreich macht es vor.
Jeder siebte junge Erwachsene zwischen 20 und 34 Jahren hat keine Berufsausbildung. Besonders von diesem Schicksal betroffen sind Hauptschüler. Jobcenter und andere Behörden kommen an diese jungen Menschen nicht heran. Junge Menschen wie Toni. Er ist im hessischen Offenbach geboren, hier zur Schule gegangen, hat italienische Wurzeln. Der 23-Jährige ist nach dem Tod seiner Mutter abgestürzt, hat auf der Straße gelebt oder notdürftig bei Freunden. Seit drei Jahren lebt Toni in einer Notunterkunft, bezieht Bürgergeld.
Vor sieben Jahren schloss er die Hauptschule ab. Seitdem steckte Toni in diversen Weiterbildungsmaßnahmen des Jobcenters. Ohne Erfolg. Seit vier Monaten arbeitet der Sozialpädagoge Zakari Gammour mit Toni zusammen. Der 51-Jährige ist Teil der Initiative "Joblinge", die Menschen wie Toni unterstützen möchte. "Es geht darum, für das System schwer erreichbare Menschen zu erreichen. Was da genau gebraucht wird, ist sehr individuell." Gammour soll Toni helfen, eine Ausbildung zu finden. Dafür braucht er zuerst eine eigene Wohnung.
Immer mehr Lehrstellen unbesetzt
Tonis Schicksal teilen mehr und mehr junge Menschen - gleichzeitig steigt die Zahl der offenen Ausbildungsplätze. 2022 blieben laut der Bertelsmann-Stiftung bundesweit 68.990 angebotene Lehrstellen unbesetzt - ein neuer Höchststand. Die Zahl der 15- bis 24-Jährigen, die weder in die Schule gehen, noch eine Ausbildung absolvieren oder einen Job haben, wird auf 630.000 geschätzt. 60 Prozent davon sind junge Männer wie Toni.
"Das Risiko, arbeitslos zu werden, ist als Ungelernter sechs Mal so hoch, wie wenn Sie einen Berufsabschluss haben", sagt der Bildungsexperte Clemens Wieland von der Bertelsmann-Stiftung. "Häufig landen diese Menschen auch langfristig in Arbeitslosigkeit oder in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Und das ist ein großer Verlust für die Volkswirtschaft." Der Fachkräftemangel lässt grüßen.
Dabei gibt es Ideen, wie mehr Jugendliche in eine Ausbildung kommen. Die Bertelsmann-Stiftung hat dafür das österreichische Modell der Ausbildungsgarantie auf Deutschland übertragen. Ergebnis: Rund 20.000 Fachkräfte würden der Wirtschaft zusätzlich zur Verfügung stehen.
Eine Garantie hat ihre Kosten
Das Modell funktioniert so: Wer in Österreich keine Lehrstelle findet, der absolviert einen zehnwöchigen Kurs zur Berufsvorbereitung. In dieser Zeit versucht die österreichische Arbeitsagentur intensiv, an Unternehmen zu vermitteln. Wer dennoch leer ausgeht, der macht eine sogenannte überbetriebliche Ausbildung in einer Bildungseinrichtung. Parallel wird stetig weiter versucht, in eine reguläre Ausbildung zu vermitteln. Am Ende erhalten aber auch Jugendliche, die ihre komplette Ausbildung in einer Bildungseinrichtung absolvieren, einen Abschluss. Während der kompletten Zeit wohnen sie oft in einem Azubi-Wohnheim.
Diese Form der Ausbildungsgarantie kostet natürlich: Pro Person und Jahr kommen etwa 72.000 Euro zusammen. Doch Bildungsexperte Wieland findet das vertretbar. Durch jeden Jugendlichen, der mehr in Ausbildung komme, sinke die Arbeitslosigkeit, das persönliche Einkommen steige - und damit insgesamt der Bildungsstand und die Wirtschaftsleistung.
"Es ist eine Win-win-Situation", sagt Wieland und fordert das Modell auch für Deutschland. "Wichtig ist in jedem Fall eine gute und möglichst persönliche, individuelle Begleitung von jungen Menschen. Gerade die, die mit schwächeren Schulleistungen sind, haben oft aus ihrem Elternhaus keinen so guten Rückhalt."
Recht auf Azubi-Platz geplant
Einen ersten Schritt in Richtung Ausbildungsgarantie will Deutschland ab August 2024 machen. Junge Menschen sollen dann erstmals das Recht auf einen Ausbildungsplatz haben. Doch die Kritik an dem beschlossenen Modell wächst. Auch Wieland sieht Schwächen: "Der Kern der Ausbildungsgarantie ist diese Bereitstellung der zusätzlichen außerbetrieblichen Ausbildungsplätze. Und das funktioniert nur in ganz bestimmten Fällen, nämlich in Regionen, wo ein akuter Ausbildungsplatzmangel besteht. Und das ist zu wenig."
Fälle wie Toni würden auch hier erneut durchs Raster fallen. Denn die individuelle Betreuung, wie sie Sozialarbeiter Gammour über die "Joblinge" anbietet, die fehlt in dem von der Bundesregierung verabschiedeten Modell. Dabei ist diese entscheidend. "Er war der Erste, der mich gefragt hat, in welche Richtung ich überhaupt gehen möchte", sagt Toni über Gammour. "Alle anderen haben dich nur irgendwo reingesteckt, Hauptsache du bist aus der Kategorie 'Arbeitslos' draußen."
Toni ist dank der individuellen Unterstützung jetzt auf einem guten Weg, hat ein Praktikum von Anfang bis Ende durchgezogen und will dranbleiben. Er weiß mittlerweile: ohne Ausbildung keine Zukunft.