Debatte um EU-Beitritt der Ukraine Menschlich verständlich, politisch unklug
Der Ukraine jetzt einen EU-Beitritt in Aussicht zu stellen, so wie es die EU-Kommission gerade getan hat, ist ein Signal zur falschen Zeit, meint Stephan Ueberbach. Denn es weckt Erwartungen, die so schnell nicht erfüllt werden können.
Ja, es stimmt. In der Ukraine werden gerade Freiheit und Demokratie verteidigt, gegen einen skrupellosen Diktator, dessen Angriffskrieg auch auf Europas Werte und Lebensweise zielt. Denn, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer ihre Zukunft im Westen sehen, haben sie seit den Massenprotesten auf dem Maidan 2014 immer wieder mehr als deutlich gemacht. Die Mitgliedschaft in der NATO und der Europäischen Union sind inzwischen als Staatsziele in der ukrainischen Verfassung verankert. Wladimir Putins Bomben sollen das verhindern.
Die Menschen in Kiew und anderswo haben deshalb jede Unterstützung der Europäischen Union verdient. Und die Hilfe der EU ist beachtlich - wirtschaftlich, politisch und militärisch. Umfassende Sanktionspakete gegen den russischen Aggressor sind auf dem Weg, beschlossen mit großer Einigkeit. Alles richtig, alles wichtig.
Mitten hinein in einen blutigen Krieg
Der Ukraine aber jetzt einen Beitritt in die EU in Aussicht zu stellen, so wie es die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gerade getan hat, ist ein Signal zur falschen Zeit. Denn es kommt mitten hinein in einen blutigen Krieg, der sich schnell zu einem unkontrollierbaren Flächenbrand ausweiten kann. Und es weckt falsche Erwartungen.
Denn eine Entscheidung im Eilverfahren, wie sie sich der ukrainische Präsident wünscht, wird es nicht geben. Die Europäische Union hat dafür aus gutem Grund eine feste Prozedur. In kleinen Schritten werden Beitrittskandidaten allmählich an die EU herangeführt. Der Prozess zieht sich über Jahre, damit die nötigen Reformen und Anpassungen an Europas Werte- und Rechtsrahmen vorgenommen werden können. Nordmazedonien etwa wartet schon seit 2005 darauf, dass die Beitrittsverhandlungen beginnen.
Europäische Perspektive ist da
Natürlich hat die Ukraine eine europäische Perspektive. Schließlich ist das Land schon seit 2016 über Assoziierungsverträge eng mit Brüssel verbunden. Über alles weitere, auch über eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union, wird dann zu reden und zu entscheiden sein, wenn die Lage das erlaubt. Den tapferen Menschen in der Ukraine angesichts des furchtbaren Kriegs Hoffnung machen zu wollen, ist menschlich verständlich. Politisch klug ist es nicht.
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