EU und Klimaschutz Große Chance vertan
Das EU-Parlament hat die Zeichen der Zeit und die Botschaft des Weltklimarates begriffen - das Juncker-Team in Brüssel hingegen nicht, meint Ralph Sina. Eine kleine Chance könnte das Kompromissverfahren sein.
Das Juncker-Team und die Umweltminister der EU hatten eine große Chance: Sie hätten das Weltklima schützen können - und gleichzeitig die deutsche Autoindustrie. Vor sich selbst und vor Angela Merkel, der Schutzpatronin der "Weiter-so-Mentalität" in den Vorstandsetagen von Wolfsburg bis Weissach, von VW bis Porsche.
Wer es mit Europas erfolgreichster Autoindustrie und ihren Arbeitsplätzen wirklich ernst meint, der muss sie in die Zukunft katapultieren und neue Anreize geben. Eine CO2-Reduktion von 40 Prozent, wie sie das europäische Parlament mehrheitlich befürwortet, ist das richtige und überfällige Signal. Das EU-Parlament in Straßburg hat die Zeichen der Zeit und die Botschaft des Weltklimarates begriffen. Nicht hingegen das Juncker-Team in Brüssel, die EU-Umweltminister gestern Nacht in Luxemburg und die Regierung in Berlin. Wenn wir im Kern so weitermachen wie bisher, wird sich unser Planet dramatisch verändern.
Sackgasse der automobile Vergangenheit
Und wenn die Autoindustrie der EU - allen voran VW und Audi, BMW, Mercedes und Porsche - weiter mit ihren erstklassigen Verbrennungsmotoren und Doppelkupplungsgetrieben in die Sackgasse der automobilen Vergangenheit rast, dann ist auch der wichtigste Arbeitgeber der EU schwer beschädigt. Schon jetzt wird in den USA die Mercedes-C-Klasse vom E-Mobil Tesla abgehängt.
Das Heimatland des Automobils und der Herren Daimler & Diesel gerät allmählich ins Hintertreffen. Reine Elektromobile aus deutscher Produktion haben ebenso wie Plug-In-Hybride Seltenheitswert. Frühestens in drei Jahren ist die deutsche Autoindustrie in diesem CO2-freien Segment konkurrenzfähig. Jetzt rächt sich, dass sich die EU-Kommission unter ihrem Präsidenten Jean-Claude Juncker nicht mehr als Avantgarde in Sachen Klimaschutz betrachtet, sondern als Kanzleramtsgehilfe und als Erfüllungsgehilfe der starken Brüsseler Autolobby.
Zeichen der Zeit erkannt - vor 23 Jahren
Das war einmal anders. Der durchschnittliche Kraftstoffverbrauch alle Personenwagen müsse auf vier Liter beschränkt werden, schrieb die EU-Kommission energisch 1995 - also bereits vor 23 Jahren. Damals hatte sie die Zeichen der Zeit erkannt und machte Druck in Sachen Grenzwerte für Kohlendioxid. Einer der besten Festkörperphysiker und Maschinenbauingenieure im Dienst der EU-Kommission, Abteilung Generaldirektion Umwelt, entwickelte sich damals zum Alptraum für die deutschen Antriebsentwickler.
Bis die Bundesregierung schließlich eingriff und ein Machtwort sprach.
Auch 23 Jahre später erweist sich Berlin bei der Schadstoffreduktion erneut als Ausbremser - gemeinsam mit Bulgarien und Ungarn. Immerhin: Die EU hat noch eine kleine Chance, ihren Schadstoff-Irrtum zu korrigieren. EU-Parlament, Regierungschefs und Kommission müssen sich in einem Kompromissverfahren auf einen gemeinsamen Wert einigen. Vielleicht fällt dieser Brüsseler Kompromiss ja klimafreundlicher und innovationsfördernder aus als von Berlin gewünscht.
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