EU-Gipfel in Brüssel Jahrmarkt der Selbstinszenierung
Ost gegen West, Nord gegen Süd - alle klassischen Rollenspiele werden auch diesmal in Brüssel aufgeführt. Dennoch ist eine Einigung programmiert. Denn eine Selbstaufgabe der EU nutzt niemandem.
Nach mehr als 60 Stunden Krisengipfel und zermürbenden Streitereien gibt es nur eine Hoffnung: Die EU kann sich ein endgültiges Scheitern der Verhandlungen nicht erlauben.
Die Frage der Einigung über den Corona-Wiederaufbaufond und den EU-Haushalt ist vor allem eine Frage der Zeit und der Nerven. Eine Einigung ist programmiert. Denn ein endgültiges Scheitern des Sondergipfels wäre der Beginn der Selbstaufgabe der EU. Und diese Selbstaufgabe will niemand.
Ober-Sparkommissar und Gernegroß brauchen die EU
Schon gar nicht der niederländische Regierungschef und selbsternannte EU-Ober-Sparkommissar Mark Rutte. Er weiß, dass kein einziges EU-Land allein das Corona-Wirtschaftsdesaster überstehen kann. Gerade der Exportmeister Niederlande ist nach dem EU-Austritt seines wichtigen Handelspartners Großbritannien stärker denn je auf den EU-Binnenmarkt angewiesen.
Auch Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, der gerne gegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel den Besserwisser und Gernegroß markiert, will eine Einigung. Kurz weiß, dass der österreichische Außenhandel nur dann wieder floriert, wenn der benachbarte Absatzmarkt Italien nicht kollabiert und die für Österreich wichtigen mittelständischen Zulieferbetriebe in der Lombardei nicht reihenweise in Konkurs gehen.
Ein Rettungsfonds hilft nur, wenn es noch etwas zu retten gibt
Dieser EU-Sondergipfel in den Zeiten der Corona-Pandemie ist - so aberwitzig es klingt - auch ein Jahrmarkt des Theaterdonners, der Eitelkeiten und der Selbstinszenierung. Kleine EU-Staaten wehren sich gegen die als übermächtig empfundenen Großen namens Deutschland und Frankreich.
Ost gegen West, Nord gegen Süd - alle klassischen Rollenspiele werden auch diesmal in Brüssel aufgeführt, obwohl die Zeit drängt und jeder verlorene Tag die noch gar nicht vorhandenen Milliarden im Corona-Wiederaufbaufond ein Stück entwertet, weil an jedem Tag reihenweise Unternehmen kollabieren. Ein Rettungsfonds hilft nur dann, wenn es noch etwas zu retten gibt. Je länger die Streitereien um die Höhe der Zuschüsse an die Corona-Krisenzentren in der EU dauern, desto mehr degeneriert dieser EU-Gipfel zum Trauerspiel.
Der stabilisierende Draghi-Effekt wird ausbleiben
500 Milliarden Euro Soforthilfe für die Corona-Krisenzentren haben Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vorgeschlagen. Es geht ihnen um einen psychologischen Befreiungsschlag. "Was immer zu Rettung des EU-Binnenmarktes nötig ist, wird getan", lautet die Botschaft.
Ganz im Stil von Mario Draghi, dem ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank, der auf dem Höhepunkt der Eurokrise versprochen hatte, alles Notwendige zu tun, um den Euro zu retten. "Und glauben Sie mir, es wird genug sein", hatte Draghi im Juli vor acht Jahren hinzugefügt.
Ob nach diesen Gipfelstreitereien genug im Corona-Aufbaufond übrigbleibt, muss allerdings bezweifelt werden. Ein stabilisierender Draghi-Effekt wird von diesem EU-Sondergipfel mit Sicherheit nicht ausgehen.