Hasskriminalität im Netz Warum der Kampf gegen Hetze schwierig bleibt
Seit Jahren will die Bundesregierung große Internetplattformen dazu verpflichten, Straftaten im Internet systematisch an das BKA zu melden. Doch nach WDR-Informationen kommt dort weiter kaum etwas an - auch, weil es an klaren Regeln mangelt.
Es ist nur eine kleine Meldung im sozialen Netzwerk X (ehemals Twitter), doch sie steht sinnbildlich für das Problem, das deutsche Behörden bei der Verfolgung von Straftaten im Internet noch immer haben: "#HESSENgegenHETZE" steht dort prominent geschrieben - und dann verweist die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main darauf, dass ein 61-jähriger Mann nunmehr wegen ausländerfeindlicher Hassrede im Internet zu einer Geldstrafe von 4.000 Euro verurteilt wurde.
Ein Erfolg der Justiz, ermöglicht durch eine Meldung bei dem Portal "Hessen gegen Hetze". Die Botschaft: Es lohnt sich, Straftaten im Internet dort zu melden, damit sie verfolgt werden können. Was dort nicht steht: Das ist auch nötig.
Denn obwohl deutsche Behörden seit Jahren versuchen, effektiver gegen Verleumdungen, politischen Hass und andere Straftaten im digitalen Raum vorzugehen, warten die Ermittler im Bundeskriminalamt (BKA) weiterhin auf Meldungen durch die großen Internetplattformen, die eigentlich den besten Überblick darüber haben müssten, welche Straftaten auf ihren Kanälen begangen werden.
Meldungen der Unternehmen?
Geht es nach alten Versprechungen der Politik, so sollten sich die Plattformbetreiber wie Meta, X oder TikTok eigentlich längst selbst daran beteiligen, die auf ihren Portalen verbreiteten Straftaten konsequent den Behörden zu melden. Doch obwohl wieder und wieder neue Gesetzesregelungen dazu geschaffen wurden, kommt beim BKA von den Dienstanbietern selbst offenbar nichts an.
Dabei war Anfang 2022 im BKA eigens die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI) eingerichtet worden. Immerhin hatte BKA-Präsident Holger Münch im Jahr 2021 noch erklärt, er gehe "von einem jährlichen Vorgangsaufkommen von circa 250.000 Meldungen aus, aus denen sich rund 150.000 Ermittlungsverfahren ergeben könnten". Bislang, so heißt es aus dem BKA, lägen allerdings noch keine Meldungen der Unternehmen bei der neuen Meldestelle vor.
Dabei hatte die Bundesregierung längst mit dem sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetz, kurz NetzDG, eine Rechtsgrundlage geschaffen, die kleinere Unternehmen, aber auch Riesen wie Google oder TikTok verpflichten sollte, strafbewehrte Hass und Hetze auf ihren Kanälen an die Ermittler zu melden - doch die Unternehmen wehrten sich erfolgreich juristisch dagegen.
EU-Regelung sollte Besserung bringen
Eine neue Regelung auf EU-Ebene sollte schließlich eine Lösung bringen - der sogenannte Digital Services Act (DSA). Der DSA werde die juristischen Unklarheiten in Deutschland zur Meldepflicht "heilen", so hieß es im vergangenen Jahr aus dem Bundesjustizministerium. Das Digitale-Dienste-Gesetz tritt zwar in Deutschland erst im Februar 2024 breitflächig in Kraft, doch für die sehr großen Onlineplattformen, zu denen Anbieter wie Amazon, Apple und Meta, Google oder TikTok zählen, ist er bereits seit dem 25. August dieses Jahres bindend.
Die EU-Kommission hatte diese und einige weitere Unternehmen Ende April bestimmt - und ihnen anschließend vier Monate Zeit gegeben, ihren Verpflichtungen aus dem DSA nachzukommen. Dabei geht es einerseits um eine schnelle Löschung verunglimpfender Postings.
Darüber hinaus müssen die Unternehmen solche Straftaten melden, "die den Verdacht begründen, dass eine Straftat, die eine Gefahr für das Leben oder die Sicherheit einer Person oder von Personen darstellt, begangen wurde, begangen wird oder begangen werden könnte" - geregelt in Artikel 18 des Digital Services Act.
Doch beim BKA, wo dazu eigens eine Projektgruppe Digitale Eingangsstelle (PG DES) gegründet wurde, kommt offenbar trotzdem noch nichts an. "Dem BKA", so teilte die Behörde auf WDR-Anfrage mit, "wurden seit Inkrafttreten der Meldeverpflichtung für sehr große Online-Plattformen (mit mehr als 45 Millionen monatlich aktiven Nutzern in der EU) zum 25. August 2023 von diesen noch keine entsprechenden Meldungen gemäß Art. 18 DSA übermittelt."
Ein seit Jahren bestehendes Problem
Damit geht ein großes Thema - oder ein großes Missverständnis - nun wohl in seine nächste Runde. Denn bereits in der Vergangenheit hatten die Ermittler vergeblich darauf gehofft, endlich Meldungen seitens der Onlineplattformen selbst zu erhalten. Zwar funktioniert dies dem Vernehmen nach in herausgehobenen Einzelfällen, bei denen es etwa um Amok- oder Suiziddrohungen geht.
Bei niedrigschwelligeren Straftaten wie Hassreden und Hetze mussten sich die Ermittler stattdessen mit den Zuarbeiten von staatlichen oder zivilgesellschaftlichen Stellen zufrieden geben - wie dem Portal "Hessen gegen Hetze", der Meldestelle "REspect!" der Jugendstiftung im Demokratiezentrum Baden-Württemberg oder anderen Strafanzeigen von zivilen Vereinen oder Privatpersonen - sogenannten "mitwirkungswilligen Kooperationspartnern", wie es im Behördendeutsch heißt.
Deutlich mehr Meldungen erwartet
Bis Ende August hatten diese Partner immerhin insgesamt rund 13.000 Meldungen eingereicht, gerade mal ein Bruchteil von dem, was das Bundeskriminalamt künftig erwartet. Dort existierte für die Zentrale Meldestelle (ZMI) zuletzt ein Personalbedarf von 38 Stellen. Künftig könnten es - zumindest laut Vorstellungen des BKA - bis zu 750 Stellen sein. So jedenfalls geht es aus einem Anfang August veröffentlichten Gesetzesentwurf der Bundesregierung zu einem neuen Digitale-Dienste-Gesetz hervor, das die europäischen Regelungen des DSA eigentlich ab Anfang kommenden Jahres ergänzen und konkretisieren soll.
Doch woher die Ermittler im Bundeskriminalamt die Hoffnungen nehmen, künftig in großem Stil von den Plattformen über Hatespeech und andere Straftaten informiert zu werden, bleibt bis auf weiteres unklar.
Denn auf WDR-Anfrage muss auch das Bundeskriminalamt einräumen: "Eine Verpflichtung zur Meldung von Straftaten wie Hassrede oder Volksverhetzung ergibt sich gemäß Art. 18 des Digital Services Act nur insoweit sie eine Gefahr für das Leben oder die Sicherheit einer Person oder von mehreren Personen darstellen." Übersetzt: Wenn es um die besonders verbreitete Hetze im Netz geht, sind die Anbieter noch immer kaum zu Meldungen an die Justiz verpflichtet.
Streit um Zuständigkeit - und Stellen
Grund ist auch, dass die Politik zwar wiederholt versprochen hat, aber nicht liefert: Denn während die Problematik zwar seit Jahren diskutiert wird, herrscht selbst über das Digital-Dienste-Gesetz weiterhin Streit in der Bundesregierung. Weil sich Digitalminister Volker Wissing und sein FDP-Parteikollege, Justizminister Marco Buschmann, bislang nicht einigen können, welche Behörde künftig als Aufsicht und Kontrollstelle fungieren soll: Die Bundesnetzagentur oder das Bundesamt für Justiz. Ein Grund: Für beide Behörden geht es um Planstellen.