Katalanische Separatisten Putins europäische Hintertür?
Neue Ermittlungen sollen die engen Kontakte der katalanischen Separatisten zu Moskau klären, aber auch zu Rechtsextremen in Deutschland und Italien. Das geht aus einer Gerichtsakte hervor, die dem SWR und internationalen Partnern vorliegt.
Am 27. Oktober 2017 ließ der damalige katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont in Barcelona die Unabhängigkeit ausrufen. Spanien stand vor einer der größten Krise seiner Demokratie. Doch was nur wenige zu diesem Zeitpunkt wussten: Laut Ermittlungsbericht soll der Separatistenführer hinter verschlossenen Türen nur einen Tag vorher einen Putin-Gesandten in seinem Haus empfangen haben.
Wie eng die Kontakte zwischen Moskau und den Separatisten gewesen sein sollen, legt nun der spanische Ermittlungsrichter Joaquín Aguirre in einem neuen Ermittlungsbericht detailliert dar. Dieser liegt dem SWR, der spanischen Zeitung El Periódico und dem Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) vor.
Es gebe neue Erkenntnisse zu Verbindungen mit "Personen russischer, deutscher und italienischer Nationalität", von denen einige diplomatische Posten innehatten, "Beziehungen zu den russischen Geheimdiensten" oder zu rechtsextremen Parteien. Deren Interesse bestehe darin, "politische und wirtschaftliche Beziehungen" zu einem unabhängigen Katalonien aufzubauen, was die Europäische Union destabilisieren würde, folgert Aguirre.
Weitere gemeinsame Recherchen des SWR, von El Periódico und dem OCCRP zeigen, wie groß offenbar die Nähe zwischen den katalanischen Separatisten um Puigdemont und Russland war. Ausgewertet wurden unter anderem Chatprotokolle zwischen engen Beratern Puigdemonts in dem kritischen Zeitraum vor und nach dessen Haftentlassung in Deutschland am 6. April 2018.
Katalonien als Putins Kryptobank
Aus den Chatprotokollen, die dem Rechercheteam vorliegen, geht hervor, dass sich die katalanischen Separatisten spätestens seit Januar 2018 konkret um Kontakte zu russischen Geschäftsleuten bemüht hatten. Kurz vor der Haftentlassung Puigdemonts tauschen sich Separatisten über die mögliche Höhe von zu erwartenden Zahlungen aus. Am 10. März heißt es in einem Chat: Die Separatisten würden 56 Bitcoins erhalten, beziehungsweise einen Betrag von 425.000 Euro. Woher genau diese Summen kommen sollen, geht aus dem Chat nicht eindeutig hervor.
Bitcoin-Zahlungen durch Russland an katalanische Separatisten beschäftigen auch Ermittlungsrichter Joaquín Aguirre. Das Gericht fügt seinem Schriftsatz ein Manuskript eines engen Vertrauten des katalanischen Separatistenführers Puigdemont bei: Es ist offenbar die Skizze eines neuen Wirtschaftsmodells auf der Basis von Bitcoins, in der der Name "Putin" eine hervorgehobene Rolle spielt.
Nach früheren Berichten von El Periódico und des OCCRP soll ein "Abgesandter Putins" im Jahr 2017 bei einer Reise nach Barcelona den Katalanen mehrere Milliarden Dollar angeboten haben, um ihre Bemühungen um die Unabhängigkeit der Region zu unterstützen. Im Gegenzug solle Katalonien für die Russen zur "Schweiz der Kryptowährung" werden. Auch militärisch sollte die Unabhängigkeit unterstützt werden, eine russische Gruppe habe Separatistenführer Puigdemont 10.000 Soldaten angeboten - was er nach Medienberichten abgelehnt haben soll.
Russlandnahe Ideologie im Sinne Putins?
Aus den in den vergangenen Monaten von SWR, El Periódico und OCCRP ausgewerteten Chats geht hervor, dass bei geopolitischen Fragen offensichtlich mindestens zwei enge Berater Puigdemonts eine russlandnahe Ideologie im Sinne Putins befürworten, wie sie sonst in Europa vor allem in rechtsextremen Kreisen offensiv vertreten wird.
Im Januar 2018 diskutierte ein enger Vertrauter Puigdemonts mit dem damaligen außenpolitischen Sprecher der Bewegung in den vorliegenden Chats zunächst die geopolitische Lage. Sie stellen fest, dass sich Europa in der Katalonien-Frage "nicht ohne eine Bedrohung durch eine Macht von außen" bewegen würde.
Konkret kommt in den Chats ihr Wille zum Ausdruck, eine geplante Erdgasleitung von Spanien nach Frankreich (MIDCAT) zu stoppen, die Europa unabhängiger von Russland machen würde. In einem internen Entwurf für die katalanische Außenpolitik heißt es dann: Russland könne "Katalonien einen jährlichen Betrag zahlen, um die Entwicklung von MIDCAT zu verhindern." Auf eine Anfrage des SWR hat der außenpolitische Sprecher bisher nicht reagiert.
Im weiteren Chatverlauf geht es um eine sogenannte neue Weltordnung. Die geäußerte Ansicht: Wer Asien dominiere, dominiere die Welt, es geht um die Rolle Chinas, darum, den weltweiten Rohstoffhandel vom US-Dollar abzulösen und um die politische Achse "Iran/China/Russland". In Moskau habe man "über die Variante eines geografischen Europas" unter "russisch-deutscher Allianz" gesprochen. Hier fällt auch der Name Alexander Dugin.
Franziska Davies, Russland-Expertin der Universität München hat sich Auszüge der Chatprotokolle angeschaut und sagt gegenüber dem SWR: "Das ist sehr beunruhigend, dass katalanische Separatisten einen rechtsextremen Ideologen, der Putins imperialistischen Krieg unterstützt, so verherrlichen."
In seinem Schriftsatz hält Ermittlungsrichter Aguirre auch fest, Puigdemonts Berater hätten sich darauf verständigt, dass der im belgischen Exil lebende ehemalige katalanische Präsident auf keinen Fall Kritik an Putins Haltung zum russischen Dissidenten Alexej Nawalny üben dürfe oder auch an dem Präsidenten von Belarus, Alexander Lukaschenko. Laut Einschätzung Aguirres ein eindeutiger Hinweis für "Kontakte zu hochrangigen Kreml-Führern".
Spuren führen auch nach Deutschland
Bei der Frage nach der Finanzierung der Separatisten rücken die Recherchen von SWR, El Periódico und OCCRP ein Konto in Deutschland ins Licht. Es wurde von dem mutmaßlichen Finanzstrategen Puigdemonts, Jaume Cabani, im Oktober 2017 bei einer Onlinebank eingerichtet, wenige Tage vor der einseitigen Unabhängigkeitserklärung Kataloniens durch das katalanische Parlament. Der Bank gab er als Anschrift die belgische Stadt Waterloo an.
Puigdemont und einige weitere Separatisten flohen wenige Tage nach der Kontoeröffnung nach Belgien, unter ihnen offenbar auch Cabani. In Folge wurden auf das Konto in Deutschland mehr als 350.000 Euro eingezahlt.
Gegenüber dem SWR erklärte Cabani, er habe das Konto zur persönlichen Verwendung eingerichtet, um der spanischen Strafverfolgung von katalanischen Demokraten und Teilnehmern am Referendum zu entgehen, sowie um "der Belästigung des öffentlichen Ansehens und dem Missbrauch der polizeilichen und juristischen Institutionen nicht ausgesetzt zu sein". Auf die Frage, woher das Geld stamme, antwortet Cabani: "Das Geld auf dem Konto kam aus eigenem Vermögen und von Kleinspendern."
Nach den vorliegenden Dokumenten rangiert die Höhe der Einzahlungen von Cabani an vierter Stelle, die größten Einzahlungen kamen dagegen von drei Organisationen, die die Unabhängigkeit unterstützen. Die meisten Auszahlungen fallen mit rund 70.000 Euro in die Kategorie Anwalts- und Prozesskosten, aber auch führende Vertreter der Separatistenbewegung erhielten Zahlungen im vierstelligen Bereich.
Streit zwischen Spanien und Deutschland provozieren?
Das Datum der Kontoeröffnung unmittelbar vor der verfassungswidrigen Unabhängigkeitserklärung ist ein Indiz, dass Strafverfolgung erwartet wurde und eine Flucht offenbar schon vorher geplant war. Ein mögliches strategisches Ziel: Der Streit zwischen Spanien und Deutschland über die Verhaftung und spätere Freilassung Puigdemonts sollte für Ärger in der EU sorgen und das spanische Rechtssystem diskreditieren - so können zumindest die entsprechenden geteilten Kommentare in den Chats verstanden werden. Cabani sagte dem SWR, soweit er wüsste, sei nichts Derartiges geplant gewesen.
Seit 2021 steht die Bank unter Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). "Die Gründe für unsere Anordnung waren Defizite in der Prävention von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung", erklärte ein Sprecher gegenüber dem SWR. Bei der Identifizierung und Verifizierung von Kunden seien Mängel festgestellt worden. Zu laufenden Ermittlungsverfahren zu einzelnen Konten dürfe die BaFin aus Verschwiegenheitsgründen keine weiteren Angaben machen.
Sorge in Brüssel
Der Bericht des Ermittlungsrichters könnte den spanischen Regierungschef in Bedrängnis bringen. Denn der Sozialist Pedro Sánchez hat sich seine Wiederwahl im vergangenen November teuer erkauft - für die Unterstützung der Separatisten versprach er eine Amnestie. An diesem Dienstag soll im Parlament darüber abgestimmt werden.
Auf Anfrage erklärte ein Sprecher der EU-Kommission, die Katalonien-Frage bleibe eine innere Angelegenheit Spaniens. Aber man bliebe in Kontakt mit den spanischen Behörden, um festzustellen, ob die Amnestie mit dem EU-Recht und den im Vertrag verankerten Grundwerten vereinbar sei, insbesondere mit Blick auf die Rechtstaatlichkeit.
"Ich halte eine Amnestie für den Separatistenführer Puigdemont für gefährlich", erklärt die EU-Abgeordnete Viola von Cramon von den Grünen. Im vergangenen Jahr hatte sie gemeinsam mit anderen Parlamentariern eine Analyse über die Einflussnahme von ausländischen Diktaturen in Europa vorlegt: "Putin nutzt jede Strategie, noch so jeden kleinen Spalt, um Europa zu destabilisieren". Man sei in Europa viel zu naiv, um zu erkennen, was an russischer Unterwanderung bereits passiert sei. Es sei an der Zeit, dass es auf EU-Ebene eine echte Zusammenarbeit der Geheimdienste gebe.
Der Separatistenführer und EU-Abgeordnete Puigdemont reagierte bisher nicht auf Anfragen des SWR.